Renato Sanches beim FC Bayern:Nervös wie ein Fahrschüler

Renato Sanches beim FC Bayern: Sehr aktiv, auch mal hyperaktiv: Bayern Zugang Renato Sanches (links im Zweikampf gegen Benjamin Stambouli) wirkte mitunter überfordert.

Sehr aktiv, auch mal hyperaktiv: Bayern Zugang Renato Sanches (links im Zweikampf gegen Benjamin Stambouli) wirkte mitunter überfordert.

(Foto: Martin Meissner/AP)

Renato Sanches zeigt bei seinem Debüt Szenen, die unerwartet dilettantisch wirken. Die Bayern beunruhigt das nicht - sie haben einen Plan.

Von Philipp Selldorf, Gelsenkirchen

Beim Blick in seinen Kalender musste Manuel Neuer, so hat er am Freitagabend berichtet, eine schlimme Entdeckung machen: Im kompletten Monat September sei dort kein einziger freier Tag verzeichnet. Die am Dienstag beginnende Champions-League-Saison, die Bundesliga im englischen Rhythmus und die in Bälde anstehende nächste Länderspielrunde in der WM-Qualifikation zwingen den Bayern-Torwart in einen immerwährenden Schichtdienst. Es wäre nun sicher übertrieben zu sagen, dass unter den Zuhörern Bedauern und Mitgefühl um sich griffen, als Neuer nach dem 2:0-Sieg des FC Bayern bei Schalke 04 von seiner Fron erzählte. Aber die Leute zeigten sich zumindest ein bisschen beeindruckt.

Am nächsten Tag war dann aber erst mal trainingsfrei an der Säbener Straße, die Spieler konnten ihren häuslichen Freuden nachgehen, nur Arturo Vidal stürzte sich gleich wieder mitten in ein Getümmel, das ihn mindestens so herausforderte wie abends zuvor die Mittelfeldgefechte in der Schalke-Arena. Auch beim Großeinkauf im Spielzeug-Fachgeschäft am Stachus obsiegte der Chilene mit dem Hahnenkamm, davon zeugte das halbe Dutzend großformatiger Plastiktüten, das er davon schleppte. Die Wünsche von Bayern-Fans, die den schwer Beladenen unbarmherzig um ein Foto baten, erledigte er im Laufschritt.

Vidal hatte auf Schalke genügend Kraft für den langen Samstag in der City sparen können, erst im Laufe der zweiten Halbzeit griff er ins Spiel ein, dies dann aber umso nachdrücklicher. "Brutal, wie die wechseln können", klagte Schalkes Leon Goretzka später. Er vertrat die Ansicht, dass die Übermacht der Münchner Ersatzbank das Spiel entschieden hatte. Außer Vidal kamen Douglas Costa und Joshua Kimmich hinzu, und tatsächlich hatte jeder der drei Eingewechselten einen exponierten Anteil daran, dass die Bayern doch noch gewannen. Costa trieb mit seinen Tempoläufen die Erschöpfung der Schalker Hintermannschaft voran; Kimmich stelle nicht nur wegen des Treffers zum 2:0 die personifizierte Effektivität dar; Vidal brachte Ordnung, Linie und Härte ins bis dahin allenfalls halbwegs souveräne Mittelfeldspiel.

Wobei es an Härte nicht gemangelt hatte. Vier gelbe Karten - für Mats Hummels, Thiago, Renato Sanches und Vidal - sind Ausdruck der Anstrengungen, die den Münchnern in Gelsenkirchen abverlangt wurden. Ihr Gelbe-Karten-Durchschnittswert liegt ansonsten bei Einskommairgendwas, und oft ist dann banales Meckern der Anlass. Gegen ein unerwartet starkes Schalke aber waren es Fouls der offensichtlichen und der notwendigen Art.

"Wir wussten vorher, dass wir nicht unantastbar sind", behauptet Philipp Lahm

Besonders Sanches' Einschreiten gegen den davonstürmenden Goretzka steigerte den ohnehin extrem hohen Lärmpegel auf den Rängen. Raue Begegnungen wie diese ergaben sich in schöner Regelmäßigkeit, die Aggressionen gingen vor allem von Sanches aus. Goretzka lobte seinen Gegner bereitwillig ("herausragender Spieler"), aber mit kritischen Untertönen: "Er ist noch sehr jung", bemerkte der 21-jährige Schalker über seinen neuerdings 19-jährigen Kollegen. Es hatte ja im Sommer Gerüchte gegeben, dass Sanches in Wahrheit vier Jahre älter sei als angegeben, woraufhin Benfica Lissabon für den Handelspartner aus München ein Gutachten anfertigen ließ.

Nun drängte der Anblick seines Spiels den Eindruck auf, dass es keiner medizinische Expertise zum Lebensalter des portugiesischen Nationalspielers bedurft hätte: Bei seinem Bayern-Debüt legte er einen quasi demonstrativen Beweis seiner Jugend vor, als er mindestens so nervös agierte wie ein Fahrschüler vor der ersten Fahrt durch die Innenstadt. Manche Pässe verfehlten ihr Ziel so weit, dass hier und da Gelächter ausbrach. Das Wilde und Ungeschliffene, das der 35 Millionen plus X teure Königstransfer als Tugend mitbringt, trat immer wieder zurück hinter Szenen, die wie Dilettantismus wirkten.

Bayern macht sich keine Sorgen

Bei den Bayern macht man sich deswegen keine Sorgen. Starke Schwankungen hatte man bei Sanches schon während der EM beobachtet; auch in Portugals Nationalelf wechselten imponierende Momente mit irrgeleiteten Pässen und Flüchtigkeitsfehlern. Doch Sanches ist in München nicht als Stammkraft für die anspruchsvolle Frühjahrsphase der Champions League eingeplant, er soll sich zunächst im Alltagsbetrieb an den neuen Klub gewöhnen. Bei den wirklich anspruchsvollen Aufgaben muss der Familienvater Vidal dann wieder zur Vollzeitarbeit antreten.

Ob die Bayern das Halbfinale der Champions League erreichen werden, das ist zwar noch nicht bekannt. Dass sie in der Bundesliga an der Tabellenspitze den Durchmarsch bis ins nächste Jahr vollbringen werden, das ist dagegen schon eine Volksweisheit. Nur die Beteiligten erheben noch Einsprüche, Philipp Lahm berief sich dazu auf die Mühen, die man auf Schalke hatte: "Wir wussten vorher, dass wir nicht unantastbar sind", sagte der Kapitän. Es ist unwahrscheinlich, dass dieser Satz die Konkurrenz ermutigt.

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