Borussia Dortmund vor dem Champions-League-Finale:Einfach so wie 1997

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"Natürlich ist mein Tor zum 3:1 wieder ein Thema": Lars Ricken. (Foto: dpa)

Der Torwart der Borussia hat eine Bierruhe wie früher Stefan Klos, Robert Lewandowski könnte vorne der entscheidende Faktor sein - und die Mannschaft weiß, wie die Bayern zu schlagen sind. Was für einen Dortmunder Sieg im Champions-League-Finale spricht.

Ein Gastbeitrag von Lars Ricken

Warum der BVB in London gewinnt? Da fallen einem viele Gründe ein. Die Bayern wirkten zuletzt sehr mächtig, das gebe ich zu. Man hat das Gefühl, dass sie sich zu den Harlem Globetrotters des Fußballs entwickeln wollen, und die hatten, glaube ich, eine 98-prozentige Siegquote. Aber das macht es für uns reizvoll. Wenn eine Mannschaft in den letzten Jahren gezeigt hat, dass man die Bayern schlagen kann, dann Borussia Dortmund. Das wissen natürlich auch die Bayern, und deshalb habe ich das Gefühl, dass die Vorfreude aufs Finale in Dortmund größer ist.

Ich habe mich kürzlich bei Jürgen Klopp bedankt, dass ich wieder so gefragt bin. Seit dem Halbfinale gegen Real Madrid werde ich ständig auf unseren Finalsieg von 1997 gegen Juventus Turin angesprochen, neulich musste ich mit Nobby Dickel noch mal das ganze Spiel angucken, um es für unsere Homepage zu kommentieren.

Unsere Aufstellung kann ich mittlerweile im Schlaf aufsagen: Klos, Heinrich, Kree, Sammer, Kohler, Reuter, Lambert, Sousa, Möller, Riedle und Chapi, Herrlich für Riedle, Ricken für Chapuisat und Zorc für Sousa. Natürlich ist auch mein Tor zum 3:1 wieder ein Thema. Es ist aber nicht so, dass ich abends die DVD vom Spiel einschiebe, um selig einschlafen zu können. Ich hab's nicht mal auf DVD, sondern bloß auf einer VHS-Kassette - leider ohne passenden Videorekorder.

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Die Mannschaft von damals kam wie die jetzige übers Kollektiv, natürlich mit Spielern, die herausragende individuelle Fähigkeiten hatten: Sammer, Sousa, Möller oder Chapuisat. Der große Unterschied zu heute ist, dass unser Team extrem erfahren war. Ich war knapp 20, Stefan Klos 25 oder 26 - alle anderen waren um die 30. Die meisten hatten national und international schon viel gewonnen, wir hatten Welt- und Europameister dabei. Die aktuelle Mannschaft war zwar schon zweimal Meister, aber sie ist noch in ihrer Entwicklung. Deswegen finde ich, dass man ihre Leistung höher bewerten muss: Dass sie aus ihren schlechten Erfahrungen im Europacup so schnell gelernt hat, zeigt, dass sie nicht nur schnell laufen kann, sondern auch extrem intelligent ist.

Trotz der Unterschiede lassen sich die Jahrgänge 1997 und 2013 vergleichen. Bei den Torhütern zum Beispiel: Ich glaube, dass Roman Weidenfeller sich inzwischen genau das angeeignet hat, was Stefan Klos auszeichnete. Stefan hatte eine Bierruhe. Ich kann mich erinnern, wie Roman hierher kam, als Jens Lehmann noch da war. Er hat vor Energie gesprüht, war ehrgeizig bis in die Haarspitzen - aber er hat es teilweise übertrieben. Das hat ihm im Weg gestanden, zwischenzeitlich stand sogar Guillaume Warmusz im Tor, ein Schweizer mit eigenem Wein-Château. Er hatte also eher eine Wein- als Bierruhe. Aus dieser Situation hat Roman viel gelernt. Heute ist er ganz ruhig und abgeklärt, er hat einen riesigen Leistungssprung gemacht.

Matthias Sammer hat sich damals bei Ballbesitz häufig hinter die Abwehrreihen fallen lassen, um von hinten das Spiel aufzubauen. Ähnlich also wie Mats Hummels, der durch seine Pass- und Schusstechnik als heimlicher Spielgestalter wahnsinnig wichtig ist. In Zeiten, in denen es auf dem Feld immer enger wird, wird der erste Pass in die nächste Ebene oder der Chip-Ball über die gegnerische Verteidigung immer wichtiger. Mats kann das wunderbar, da sieht man, dass der Junge gut ausgebildet wurde. Dass er bei Bayern München in die Lehre gegangen ist, ist ja keine Schande.

Was Ilkay Gündogan für die heutige Mannschaft ist, war Paulo Sousa für uns: der Stratege. Wenn ich gegen ihn einen Sprint über 100 Meter gemacht habe, habe ich ihm 40 Meter abgenommen. Aber wenn ich mit dem Ball vor ihm stand, kam ich nicht an ihm vorbei. Paulo hat immer gewusst, was passieren wird, wo die Freiräume sind. Er wollte immer den Ball haben. Er war auch als Typ sehr ungewöhnlich - der einzige Spieler, der seinen eigenen Trainer mitgebracht hat. Wenn wir im Training rechtsrum gelaufen sind, ist er linksrum gelaufen. Wenn wir gelaufen sind, hat er Dehnungsübungen gemacht.

Ottmar Hitzfeld hat es erlaubt, und er hat recht gehabt. Ich glaube nicht, dass wir ohne Paulo Sousa die Champions League gewonnen hätten. Aber Hitzfeld hat den Spielern ohnehin viele Freiheiten gegeben. Er musste Sammer, Möller, Sousa nicht beibringen, wie sie den Ball stoppen, sondern er musste das Gefüge zusammenhalten.

Jürgen Klopp könnte das so heute nicht mehr machen, der Fußball hat sich stark verändert. Wir hatten zum Beispiel keinen Athletik-Trainer, das hat Michael Henke nebenbei gemacht. Heute laufen drei Spezialisten rum, und wir haben einen Kraftraum, der ein paar Hundert Quadratmeter groß und voller teurer Geräte ist.

Vielleicht wird das Spiel am Samstag im Sturm entschieden. Ich will Kalle Riedle und Stephane Chapuisat nicht zu nahe treten, aber Robert Lewandowski vereint alle Stärken, die sie zusammen auf den Platz gebracht haben. Lewandowski ist ein Alleskönner. Schießt Tore mit jedem Körperteil, links, rechts, Kopf, egal. Er ist ein wunderbarer Kombinationsspieler, erkämpft viele Bälle in der Vorwärtsverteidigung. Ich kann verstehen, dass jeder Verein, egal ob Scheich, Oligarch oder Bayern, nachsieht, ob er nicht noch einen Euro rumliegen hat, den er in Lewandowski investieren kann. Fakt ist, und das ist vielleicht ein entscheidender Unterschied: Lewandowski spielt am Samstag bei uns.

Noch etwas halte ich für wichtig, das hat mit der Philosophie des Vereins zu tun: Borussia Dortmund hat ja viele Ratschläge erhalten vor dieser Champions League-Saison; überall hieß es, wir sollten drei, vier erfahrene Spieler kaufen, damit wir über die Vorrunde hinauskommen. Das hat man eben nicht gemacht. Der Verein hat entschieden, den Spielern die Chance zum Lernen zu geben. Damit hat man bewiesen, dass man mit einer konsequenten Philosophie, mit guten Ideen und einem klaren Plan den Bayern auf den Fersen bleiben kann.

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Von Christopher Köster

Ich würde mir übrigens ein 3:1 wünschen, das kann man sich dann leicht merken

Protokoll: Philipp Selldorf

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© SZ vom 24.05.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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