Bayern-Niederlage in Mainz:"Das fühlt sich an wie eine Katastrophe"

Lesezeit: 4 min

Die Selbstgewissheit ist weg: Der FC Bayern erleidet beim 2:3 in Mainz die zweite Niederlage in Serie und fällt auf Tabellenplatz drei zurück. Die Liga scheint ein Rezept gegen die Münchner Dominanz gefunden zu haben - und der Rekordmeister selbst hat keines, um die Absenz seines Haltgebers Schweinsteiger auszugleichen.

Maik Rosner, Mainz

Es dauerte eine ganze Weile, bis sie alle hinaufgeklettert waren auf den Zaun, wie die Fans sich das gewünscht hatten. Laut waren ihre Rufe in jenem neuen Stadion zu vernehmen gewesen, das die Mainzer im Sommer bezogen hatten. Von außen sieht die Coface-Arena ein bisschen aus wie eines dieser Möbelhäuser in den Gewerbegebieten am Stadtrand.

Doch jetzt, nach dem 3:2 (1:0)-Sieg gegen den FC Bayern, war ähnlich viel Leben in der Bude, wie das früher häufig im innerstädtischen Stadion am Bruchweg zu erleben war. "Alle auf den Zaun", riefen die Fans. Und als sie sich tatsächlich alle hatten mitreißen lassen, standen die versammelten Mainzer Profis vergnügt vor dem Block auf den Zaun und alberten herum wie im Spielparadies abgegebene Kinder.

Die "Bruchweg-Boys" hatte die Bundesliga in der Vorsaison kennengelernt. Nun bestaunte die Branche die neue Mainzer Krabbelgruppe bei ihrer Kraxeltour. Ein hübsches Bild gab das ab. Und eines, das der Liga nun die Gewissheit gibt, dass sie es tatsächlich wieder aufnehmen kann mit der vermeintlichen Übermannschaft.

Die vorangegangene 0:1-Niederlage gegen Meister Borussia Dortmund war bei dieser noch als Ausrutscher eingeordnet worden. Nun verfestigte sich aber der Eindruck, dass die Bayern ihren Halt, ihre Souveränität und Selbstgewissheit verloren haben. Und das die Liga ein Rezept gefunden hat, um den Münchnern erfolgreich zu begegnen.

Mit ihrem Pressing und den schnellen vertikalen Pässen nach den provozierten Ballverlusten der Münchner hatten die Mainzer das Spiel geprägt, und vieles erinnerte an Dortmunds Strategie vor gut einer Woche. "Es ist für jede deutsche Mannschaft etwas Besonderes, wenn man die deutsche Mannschaft schlechthin schlägt", sagte danach Manager Christian Heidel beglückt.

Verständlich war seine Freude über die Tore von Andreas Ivanschitz (11.), Marco Caligiuri (65.) und Niko Bungert (74.) sowie über den Sprung auf Platz 13. Doch Heidels Einschätzung, dass es sich beim FC Bayern tatsächlich um die deutsche Mannschaft schlechthin handelt, wirkte nach der zweiten Bundesliga-Niederlage der Münchner in Serie zumindest sportlich nicht mehr aktuell.

Daniel Van Buyten hatte mit seinem beiden Toren nach Freistößen von Toni Kroos (56./79.) jedenfalls nicht verhindern können, dass nun erstmals seit dem 27. August nicht der deutsche Branchenführer als Tabellenführer auf die Liga herabblickt. Und auch nicht den Eindruck, dass beim FC Bayern mehr verloren gegangen ist, als nur Bastian Schweinsteigers Präsenz auf dem Platz nach seinem Schlüsselbeinbruch.

Auf Platz drei findet sich die Mannschaft des Trainers Jupp Heynckes nun wieder, hinter Dortmund und der anderen Borussia aus Mönchengladbach. Schweinsteiger wird höchstwahrscheinlich erst nach der Winterpause wieder die sportlichen Geschicke der Münchner lenken können.

Es passte ins Bild, dass der vergrippte Fußballlehrer Heynckes keine Stimme mehr fand, um seiner Verärgerung Ausdruck zu verleihen. Seinen Part übernahm Sportdirekor Christian Nerlinger. "Über 90 Minuten war das ganz klar zu wenig. Die Mannschaft hat die Grundelemente vermissen lassen: die Laufbereitschaft, die Aggressivität und die Kompaktheit, die uns zuletzt ausgezeichnet hat", sagte Nerlinger.

FC Bayern in der Einzelkritik
:Phantome aus München

Philipp Lahm zeigt die Gabe, unentdeckt über den Platz zu laufen, "Kohlekeeper" Manuel Neuer muss sich über zwei Gegentore ärgern, Daniel Van Buyten bleibt der torgefährlichste Innenverteidiger der Liga und Franck Ribéry springt der Ball aus den Schienen. Der FC Bayern beim 2:3 in Mainz in der Einzelkritik.

Maik Rosner, Mainz

Er erinnerte an Dortmunds Phase zu Beginn der Saison, als der Meister mit sich und den Gegnern ähnlich zu kämpfen hatte wie nun der FC Bayern. "Jetzt haben wir eine problematische Phase, wir hängen durch. Insgesamt haben wir einen negativen Trend. Aus den letzten fünf Bundesligaspielen haben wir drei verloren", bilanzierte Nerlinger, "solche Phasen gibt es. Ich bin sicher, die Mannschaft wird ein Zeichen setzen bis zur Winterpause. Dafür müssen wir uns aber im Endspurt ganz anders präsentieren."

Fassungslos in Mainz: die Bayern-Angestellten Mario Gomez, Toni Kroos, Ivica Olic und Holger Badstuber (von links). (Foto: Bongarts/Getty Images)

Die Frage drängt sich allerdings zunehmend auf, wie das gelingen soll. Zu offensichtlich sind die Probleme der Münchner ohne Schweinsteiger, den Impulsgeber ihres Spiels. Im defensiven Mittelfeld ist das entscheidende Leck zu verorten. Dort, wo der Nationalspieler bis vor wenigen Wochen noch Regie geführt hatte.

Seit seiner Absenz mühten sich die Kollegen zu einem schmeichelhaften 2:1-Sieg beim Tabellenletzten FC Augsburg und schafften es wie schon bei der Niederlage in Hannover auch gegen Dortmund und Mainz nicht, einen Rückstand zu drehen. Dort, wo Schweinsteiger während der Seriensiege als "Schaltzentrale" und "Gehirn" der Mannschaft aufgetreten war, wie der ehemalige Bayern-Trainer Ottmar Hitzfeld befand, dort mühten sich nun Luiz Gustavo und das 19 Jahre alte Talent David Alaba vergeblich darum, das Geschehen mit Ruhe und Übersicht zu ordnen. "Die Unantastbarkeit der Bayern ist jetzt dahin", sagte auch Hitzfeld.

Es sind komplizierte Zeiten angebrochen in München. Nun geraten immer mehr Aktionen irrlichternd, und in die abhandengekommene Dominanz mischen sich zunehmend Störgeräusche. Gegen Dortmund war die Reintegration des lange Zeit verletzten und noch nicht wieder fitten Arjen Robben ziemlich überraschend von Heynckes angestoßen worden. Für den Flügelflitzer hatte der Trainer die Mannschaft auf mehreren Positionen umgebaut. Seine Entscheidung, Kroos ins defensive Mittelfeld zurückzuziehen, hat Heynckes inzwischen wieder revidiert.

Doch möglicherweise wurde so auch zusätzliche Unruhe ins Gefüge getragen. In Mainz erhielt nun Thomas Müller wieder den Vorzug vor Robben. Der Holländer wärmte sich zwar während des Spiels lange auf, klagte aber laut Nerlinger über muskuläre Beschwerden und kam nicht mehr zum Einsatz. Ein bisschen Getuschel hatte das zur Folge, genauso wie der angebliche Besuch des Präsidenten Uli Hoeneß im Kabinentrakt während der Halbzeitpause. Die Bayern dementierten das jedoch umgehend.

Den Eindruck, dass bei ihnen etwas aus den Fugen geraten ist, bestätigten aber auch sie. "Wenn man die Tabellenführung hergibt, dann ist das mit Sicherheit ein Tiefpunkt. Das fühlt sich an wie eine Katastrophe", sagte Müller, "es ist ein Gefühl von Dummheit, dass man sich das, was am Anfang so gelobt wurde, kaputtgemacht hat." Mario Gomez, mit 13 Toren bisher erfolgreichster Stürmer der Liga, hatte diesmal nur eine Torchance aufgelegt bekommen. Der Nationalstürmer fasste plakativ zusammen: "Wir haben auf die Fresse bekommen."

Dabei hatte den Mainzern das komplette Stammpersonal in der Innenverteidigung gefehlt. Doch ihr Trainer Thomas Tuchel hatte den negativen Trend der Münchner schon vor dem Spiel erkannt. "Die Bayern sind nun mal das Maß der Dinge. Und aktuell sind sie auch in Europa das Nonplusultra", hatte er zwar artig gelobhudelt - und doch Mut geschöpft: "Vor sechs Wochen hätte ich noch gesagt, es wird schwer bis unmöglich gegen die Bayern in Topform etwas zu holen. Jetzt erscheint es im Bereich des Möglichen, denen Paroli zu bieten." Diese Gewissheit hat nun die ganze Liga.

© sueddeutsche.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: