Bastian Schweinsteiger nach dem Finale:Reifeprozess auf die ganz harte Tour

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Der geschwächte Bastian Schweinsteiger erfüllt gegen Chelsea mit großem Kampfgeist die Erwartungen, er spielt wie ein Chef, verteilt besonnen die Bälle - und wird doch zur tragischen Figur, weil er im Elfmeterschießen versagt. Es ist der Unglücksabend eines großen Fußballers.

Claudio Catuogno

Bastian Schweinsteiger gehört zu jenen Zeitgenossen im Fußballgeschäft, die sich recht konsequent an die selbst auferlegte Regel halten, kein Wort zu viel sagen. Das ist an sich eine gute Eigenschaft. Wo Fußball gespielt wird, wird ja immer auch eine ganze Menge geredet, und vor so einem Champions-League-Finale schwillt diese Menge der als berichtenswert erachteten Wortfetzen dann an zu einem ebenso reißenden wie blubberndem Strom.

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Da hat es eine wohltuende Wirkung, wenn einer wie Schweinsteiger einfach mal in einem Satz zusammenfasst, was bestimmt alle dachten, die dem FC Bayern den Henkelpokal wünschten vor diesem Endspiel, aber auch noch das jüngste 2:5 gegen Borussia Dortmund im Kopf hatten. "Ich hoffe halt", sagte Schweinsteiger, und er klang dabei, als würde ihn der Gedanke sogar amüsieren, "ich hoffe halt, dass wir kein frühes Gegentor bekommen."

Das ist dann auch gelungen. Aber es hat die Tragik des Bastian Schweinsteiger an diesem Abend nur noch ein bisschen größer gemacht. Nach dem Abpfiff, nach dieser bitteren Niederlage des FC Bayern im Elfmeterschießen, an dessen Ende Schweinsteiger den Ball an den Pfosten getreten hatte, lag er minutenlang auf dem Rasen, fassungslos erst, dann weinend - und es war dann eine große Geste, dass sogar der alte Londoner Stürmer und Elfmeterschießen-Entscheider Didier Drogba Schweinsteiger lange in den Arm nahm, um ihm Trost zuzusprechen.

Weil wohl niemand so sehr Trost gebrauchen konnte wie der Nationalspieler mit der Nummer 31. Nach diesem Unglücksabend. Nach dieser Unglückssaison. Aber der Reihe nach.

Im Grunde hatte dieses Spiel aus Schweinsteigers Sicht sogar so ähnlich begonnen wie mit einem frühen Gegentor: Er geriet in eine Art Privat-Rückstand, was seine Möglichkeit anging, sich mit aggressivem Zweikampfverhalten hervorzutun. Es war eine dumme Szene in der Nähe des Chelsea-Strafraums, Schweinsteiger stand wohl noch unter der Anspannung der ersten Minuten, er griff nach einem ohne große Gefahr herumfliegenden Ball - und sah die gelbe Karte.

Die Frage war nun erst einmal: War das etwa das frühe Missgeschick, das die Bayern unbedingt vermeiden wollten? Weil einer, der so früh verwarnt wird, entweder bald vom Platz fliegt - oder eben über die gesamte Strecke mit angezogener Handbremse spielen muss, was ja auch nicht gutgehen kann?

Die gelbe Karte machte Schweinsteigers folgenden Auftritt in diesem Finale sogar noch bemerkenswerter. Vielleicht war es auch so, dass sie ihn erst zu jener Selbstdisziplin und Besonnenheit im Zweikampfverhalten zwang, mit der er vor dem neu formierten Deckungszentrum (Boateng/Timoschtschuk, später: Boateng/van Buyten) die Passwege zustellte und die Bälle abfing. Und es kamen dann ja noch weitere Prüfungen hinzu in diesem Marathon-Spiel: Schon nach 90 Minuten konnte sich Schweinsteiger kaum noch auf den Beinen halten.

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Im noblen Münchner Postpalast kamen die geschundenen Bayern-Spieler nach der Niederlage zusammen. Doch Lachs-Carpaccio, liebevolle Ehefrauen und ein fürsorglicher Kapitän boten nur einen geringen Trost.

Aber er hielt weiter durch, er musste ja. Man darf wohl annehmen, dass bisher noch nicht viele Fußballer nach einer Reihe schwerer Verletzungen so extrem gefordert wurden bei ihrer Wiedereingliederung in den Spielbetrieb: Kürzlich erst 120 Minuten in Madrid. Nun 120 Minuten gegen Chelsea. Seinen letzten Reifeprozess als Führungsspieler holte sich Bastian Schweinsteiger in diesem Frühsommer auf die ganz harte Tour.

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Die Bayern dominieren gegen Chelsea fast das gesamte Spiel, doch am Ende fließen Tränen. Zunächst lassen die Münchner zu viele Chancen liegen, dann trifft Müller, ehe Drogba die Briten in die Verlängerung bringt. Dort nimmt das Drama seinen Lauf: Erst scheitert Robben per Strafstoß, dann unterliegen die Münchner im Elfmeterschießen.

Die Partie im Bilder-Rückblick.

Im Winter, als es eine Zeit lang nicht besonders lief im Spiel der Bayern, als es wahrscheinlicher erschien, dass diese Champions-League-Mission der Münchner im Achtelfinale gegen Basel enden würde als in einem Elfmeterkrimi im eigenen Stadion, in diesem Winter hat der Trainer Jupp Heynckes oft darüber gesprochen, wie wichtig Bastian Schweinsteiger für das Bayern-Spiel sei: "Regisseur", "Taktgeber", "Mittelfeldchef", das waren die Beschreibungen.

Heynckes benannte damit allerdings ein Loch: jenes, das Schweinsteigers Verletzung hinterlassen hatte. Über Wochen fehlte er erst wegen eines Schlüsselbeinbruchs. Dann, nach kurzer Rückkehr, nochmals mit einer Knöchelverletzung. Und im Ligaendspurt war dann - auf auch nicht ganz kleiner Bühne - zu beobachten, wie sich Schweinsteiger mühsam wieder herankämpfen musste an sein altes Niveau. Körperlich nicht in bester Verfassung. Aber doch unverzichtbar (weil er eben Bastian Schweinsteiger ist).

Letztendlich war dieses schrittweise Schweinsteiger-Comeback konsequent auf zwei Höhepunkte ausgerichtet. Auf die bevorstehende Europameisterschaft. Und auf das Champions-League-Finale, das er dann ja auch tatsächlich geprägt hat. Wenn am Ende auch anders, als erhofft.

Beim Halbfinal-Erfolg in Madrid hatte Bastian Schweinsteiger auch den letzten Elfmeter geschossen. Er ist der Vize-Kapitän, er ist der emotionale Leader dieser Elf. Und auch in Madrid gab es danach so einen Satz von ihm, den sonst wohl nicht viele Fußballer von sich geben: Auf dem Weg zum Elfmeterpunkt, berichtete er, habe er kurz seine "Eier verloren", aber dann habe er sie ja "rechtzeitig wiedergefunden", zum Glück.

Nun saß er also da auf dem Rasen in seiner Heimatstadt, ein großer Fußballer, der weiter auf seinen ersten internationalen Titel wartet. Glück und Verzweiflung liegen manchmal so nahe zusammen.

© SZ vom 21.05.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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