Champions League:Chelsea im Finale

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Was für ein Spiel in Barcelona - der FC Chelsea wirft den großen Favoriten raus: Trotz 90 Minuten Überlegenheit kommen die Spanier nur zu einem 2:2. Die totale Dominanz reicht nicht aus, den Engländern genügen zwei Konter. Lionel Messi wird zum tragischen Mann: Erst verschießt er einen Elfmeter, dann trifft er nur den Pfosten.

In den Ergebnisspalten wird man diese spektakuläre Partie unter "Fußball, Champions League, Halbfinale" finden, was offiziell korrekt, inhaltlich aber fragwürdig ist. Das Aufeinandertreffen des FC Barcelona und des FC Chelsea war etwas völlig Neues: Es war ein Handballspiel, das mit den Füßen betrieben wurde. Von der ersten Sekunde dieses Champions-League-Halbfinales an drängten die Gastgeber die Gäste an ihren Strafraum zurück, und dann passten sie nach rechts, nach links, bis sie die Lücke fanden - oder eben nicht.

Obwohl der FC Barcelona aus dem Hinspiel nur ein 0:1 aufholen musste, spielte er von der ersten Sekunde an Powerplay - gerade so, als würden er spüren, dass ihm am Ende die Zeit ausgehen würde.

90 Minuten später saßen die Spieler tieftraurig auf dem Rasen des Nou Camp, sie waren ausgeschieden nach einem kuriosen, unverständlichen, ungerechten 2:2 gegen einen ultra-destruktiven FC Chelsea, der nach Terrys Platzverweis über eine Halbzeit in Unterzahl spielen musste.

Ein - allerdings wunderschönes - Glückstor von Ramires hatte die fast schon geschlagenen Gäste ins Spiel zurückgebracht - um die Ironie dieses Abends abzurunden, hatte sich der Fußballgott noch eine besonders bittere Schlusspointe aufbewahrt: Das 2:2 in der Nachspielzeit erzielte Torres - ein Spanier.

Der FC Chelsea fährt nun also am 19. Mai zum Finale nach München, und zu verdanken hatten das die Engländer dem dichtesten Abwehrverbund, der je im Weltfußball gesichtet wurde. Schon nach fünf Minuten zogen sich neun Feldspieler in die Nähe des eigenen Strafraums zurück, kein Chelsea-Spieler stand weiter als fünf Meter vom nächsten Chelsea-Spieler entfernt.

Man durfte Barcelonas Profis für ihre Fähigkeit bewundern, in diesem lückenlosen Dickicht immer wieder Lücken zu erspähen. In der 20. Minute zauberten Messi, Fabregas mit Hackentrick und wieder Messi eine Kombination auf den Rasen, der der humorlose Torwart Petr Cech eine Glanzparade entgegensetzte. Darauf beschlossen die Chelsea-Profis, ihre strenge Neunerkette zur furchteinflößenden Zehnerkette aufzurüsten: Didier Drogba, letztverbliebener Offensiver, reihte sich auch noch hinten ein.

Für ein paar Minuten gelang es den Engländern, die Spanier etwas aus dem Rhythmus zu bringen, die Kombinationen flossen nicht mehr ganz so flüssig, sie liefen kurz vor dem Strafraum auf Grund. Der Favorit musste sich auch neu sortieren in dieser Phase: Piqué, Mittelmann von Barcelonas Dreierkette, musste früh wegen Verletzung ausscheiden (26.), für ihn kam der Rechtsverteidiger Dani Alves, den Posten des Abwehrchefs übernahm Mascherano.

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Auch Chelsea hatte zu diesem Zeitpunkt schon einen Innenverteidiger eingebüßt: Cahill war ebenfalls verletzt vom Platz gehumpelt, er wurde von Bosingwa ersetzt.

Messi scheitert vom Elfmeterpunkt: Ein Wendepunkt in der Partie (Foto: dpa)

Bosingwa hatte dann einen guten Platz, um das 1:0 zu bestaunen: Alves sah die Lücke, passte nach links draußen, wo Cuenca in Position gesprintet war, seine Hereingabe nutzte Busquets zum Führungstor (35.). Auch das ist Barca: Rechtsaußen Cuenca taucht plötzlich links auf und der defensive Mittelfeldspieler Busquets am gegnerischen Strafraum.

Und was ist Chelsea? Chelsea ist immer noch John Terry, gelegentlich schwächt sich das Team durch Uralt-Reflexe selbst. Terrys alberner Knie-Tritt in den Rücken von Sanchez bescherte ihm zurecht die rote Karte (37.), und kurz darauf sah es so aus, als drohe der englischen Zehn ein Debakel: Die Spanier nutzten die schöne, neue Überzahl umgehend zum 2:0.

Messis Pass öffnete einen Raum, den es vorher nicht gegeben hatte, Iniesta tauchte in diesem Raum auf und vollstreckte cool. Aber nun zeigte Chelsea, dass es auch noch einen anderen englischen Reflex drauf hat: jenen, nicht aufzugeben. Plötzlich lief Ramires in einen Pass von Lampard, Barcelona staunte, was Ramires zu einem wunderhübschen Heber ins Tor nutzte (45.+2).

Und jetzt? Das konnte sich nur doch nur um ein Versehen handeln, dachten alle, zu chancenlos war Chelsea bis dahin. Ein zweites Mal hätte die Partie in Richtung Debakel kippen können - als Drogba nach der Pause Fabregas im Strafraum zu Fall brachte. Elfmeter für Barca, Chelsea in Unterzahl, alles klar also? Fast. Messi schoss wunderschön, schoss überlegt, aber: Er traf nur die Latte.

Nun begann jene Phase, die Barcas Spieler wohl nie vergessen werden. Sie blieben überlegen, natürlich, aber sie quälten sich fürchterlich. Mit jeder Minute, die verging, schlich sich immer mehr die Sorge in ihre Kombinationen. Wir werden doch hier nicht ausscheiden. . . In den letzten Minuten verdrängte die Spanier ihre Sorgen noch einmal, häuften Chance auf Chance, und Messi, der bemitleidenswerte Messi, traf den Pfosten.

Ihn wird das Publikum beim Finale in München nun nicht zu sehen bekommen, aber auch der Sieger dieses Halbfinales wird nicht vollzählig anreisen. Chelsea wird auf Meireles, Ramires, Ivanovic und Terry verzichten müssen - alle gesperrt.

© SZ vom 25.04.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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