Australisches Schwimmteam bei Olympia:Erfolglos wegen Twitter und Facebook

London 2012 - Schwimmen

Die Schwimmerinnen Blair Evans (l.) und Stephanie Rice mit zwei wichtigen Utensilien auf der Tribüne im Aquatics Center in London: Nagellack und Handy.

(Foto: picture alliance / dpa)

Die australischen Schwimmer waren bei den Olympischen Spielen 2012 in London so schlecht wie lange nicht. Eine Studie sagt nun: Soziale Netzwerke sind schuld. Angeblich haben sich die Sportler gar nicht mehr von Facebook und Twitter lösen können. Mobbing und Einsamkeit waren die Folgen.

Von René Hofmann

Die Zahlen waren imposant. Bei den Olympischen Spielen 2004 in Athen gewannen die australischen Schwimmer sieben Goldmedaillen. Vier Jahre später in Peking waren es sechs. Entsprechend waren die Erwartungen vor den Spielen 2012 in London: "Bringt Gold heim!" Mit solchen Wünschen wurden die Athleten beim Abflug auf Plakatwänden verabschiedet. Was jedoch folgte, war eine große Enttäuschung: Die Schwimm-Nation triumphierte lediglich bei einem Becken-Wettbewerb - im Staffelrennen der Frauen über 4x100 Meter Freistil. Erstmals seit 1976 in Montréal schaffte es in den Einzelrennen keine Australierin und kein Australier ganz nach oben. Bei der Rückkehr konnte das 47-köpfige Schwimm-Team das Wort "Gold" nur selten lesen. Stattdessen titelten die Zeitungen: "Demütigung!", "Qual!", "Enttäuschung!".

Wie konnte es dazu kommen? Diese Frage stellte sich auch Swimming Australia, der australische Schwimmverband - und gab eine Studie in Auftrag. Die Beratungsfirma Bluestone Edge sollte als neutrale Instanz ergründen, was in London anders gelaufen war als in Athen und in Peking. Sie sollte Empfehlungen geben, wie es bis zu den Spielen 2016 in Rio de Janeiro weitergehen soll. Die Ergebnisse der Untersuchung liegen jetzt vor, am 30. Januar wurden sie Swimming Australia zugestellt, seit dieser Woche ist eine 15-seitige Zusammenfassung öffentlich.

Fazit: Die Atmosphäre im Schwimm-Team sei "vergiftet" gewesen. Sportler hätten geschildert, wie ein überehrgeiziges Streben nach Gold die Motivation und die Kommunikation - ja das gesamte Miteinander - ausgehöhlt habe. Als sich der Misserfolg abzeichnete, hätten sich die Schwimmer alleine gelassen und entfremdet gefühlt. The Lonely Games - "die einsamen Spiele": So fassten viele ihre Erfahrungen zusammen. Einer schilderte: "Ich wusste überhaupt nicht, wo ich hingehöre. Es war der größte Moment in meiner Karriere als Unterhaltungskünstler - und ich habe mich unbehaglich und unsicher gefühlt."

In der Folge sei es zu Auswüchsen gekommen. Schwimmer betranken sich, sie hielten die vorgegebenen Ruhezeiten nicht ein, sie mobbten sich gegenseitig. Auch vom Missbrauch verschreibungspflichtiger Medikamente wird berichtet. Das Olympische Dorf wird als ein Ort geschildert, in dem all das problemlos möglich war, als "großes Durcheinander" und als "Bonbon-Geschäft voller Ablenkungen". Die Teamführung ließ offenbar viele Gelegenheiten zum Eingreifen verstreichen. Ihr schreiben die Berater die Hauptschuld an der Abwärtsspirale zu. 24 Delegationsmitglieder waren erstmals bei Olympischen Spielen, sie waren auf das, was sie erwartete, offenbar nicht ausreichend vorbereitet worden.

Ein zentraler Punkt der Studie - und an diesem wird sie über das Schwimmen und Australien hinaus interessant - ist der Einfluss der Medien. "Zum ersten Mal", schreiben die Bluestone-Beobachter, "spielte die Allgegenwart der Medien, und vor allem der sozialen Medien, eine so entscheidende Rolle."

Kontakt mit den Fans ist verlockend

Bei den Olympischen Spielen ist der Wettbewerb nicht nur auf den Bahnen der Sportler größer als bei jedem anderen Wettkampf. Es gibt auch ein Wettrennen um Aufmerksamkeit. "Die Inhalte werden schneller konsumiert, als authentische Sportgeschichten produziert werden", heißt es in dem Bericht. Aus diesem Grund steige die Nachfrage nach allem, was "mehr Farbe" in die Berichterstattung bringe: politische Meinungen, persönliche Interessen, Beziehungen, Eitelkeiten.

Über Facebook oder Twitter hätten viele Sportler diese Nachfrage bedient. Viele hätten dabei aber die Konsequenzen übersehen. Beispielsweise das Gefühl, immer neue Details nachschießen zu müssen, um im Gespräch zu bleiben. Ein Teilnehmer wird mit dem Satz zitiert, er habe irgendwann den Eindruck gehabt, dass es nicht mehr darum gegangen sei, "wer sich das Herz aus dem Leib schwimmt, sondern wer sein Herz am besten verkauft".

Die Zeugen bleiben in der Studie anonym. Bereits in London aber hatte Emily Seebohm auf ein anderes Problem hingewiesen. "Irgendwie bin ich nicht aus den sozialen Medien raus und wirklich zu mir selbst gekommen", hatte die 20 Jahre alte Rückenschwimmerin nach einem verpatzten Auftritt gesagt: "Wenn die Leute dir tausend Mal sagen, dass du Gold gewinnen wirst, denkst du irgendwann, dass du es schon gewonnen hast. Aber das hatte ich eben nicht. Ich hätte mich offensichtlich viel früher bei Twitter und Facebook ausloggen sollen, als ich es getan habe."

Der unmittelbare Kontakt mit den Fans ist verlockend. Er kann aber auch aus einem anderen Grund demotivierend wirken, wie die Studie aufschlüsselt: Auf den Plattformen können sowohl Lob als auch Kritik grenzenlos sein, weil sie "nicht mit journalistischen Fähigkeiten getrimmt" werden. Dies habe bei den Schwimmern dazu beigetragen, "dass Emotionen, gute wie schlechte, befeuert wurden, zu einer Zeit, in der besser Ruhe und Konzentration angesagt gewesen wären".

Für die Zukunft empfehlen die Berater deshalb, die Freiheiten der Sportler zu beschränken und "rigorose Regeln" für den Umgang mit sozialen Medien aufzustellen. Die Athleten sollten sich bei den Wettkämpfen nur über die Kanäle äußern, die der Verband pflegt - und am besten nur zu Dingen, die den Sport betreffen. Außerdem sollte es in Rio einen Gemeinschaftsraum geben, in dem die Sportler auch mal miteinander reden können.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: