Aufruhr beim TSV 1860:Ein ganzes Packerl Protest

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"Wie der Poschner die Mannschaft zusammen gestellt hat, dafür würdest du in der Kreisliga rausgeschmissen", findet Karsten Wettberg (M.). (Foto: Sebastian Fischer)

"Was seid's ihr denn für ein Kasperlverein?" Ein angeblicher Präsidenten-Rücktritt, Fan-Proteste gegen den Sportdirektor, eine gefeierte Rede des "Königs von Giesing". Der TSV 1860 München liefert mal wieder einen kuriosen Tag.

Von Sebastian Fischer, München

Es herrschte Verwirrung und Aufruhr am Samstagmittag in Giesing, als dann doch wieder alles anders war: die Welt wieder in Ordnung, jedenfalls ein bisschen, und wieder etwas Hoffnung da. Gerhard Mayrhofer bleibt also doch Präsident des TSV 1860 München. Und er spricht sogar wieder mit Investor Hasan Ismaik. Auch über Gerhard Poschner.

"Wos, is a jetzt wieder do, oder wos?", fragt einer, der gerade erst angekommen ist, vor dem Löwenstüberl, wo sich Fans der Sechziger versammelt haben, um zu protestieren. Sie wollen, dass Sportdirektor Gerhard Poschner entlassen wird, als Konsequenz dieser abenteuerlichen Saison in der zweiten Fußball-Bundesliga, die den Verein beinahe zerstört hat. Wie er überleben soll, das ist in diesen Tagen ja immer noch nicht ganz klar. Mit Poschner, glauben sie, wird er zu Grabe getragen. Und gerade hatten sie geglaubt, dass Poschner nicht mehr aufzuhalten sei, denn sie hatten geglaubt, das Präsidium um Mayrhofer würde zurücktreten. Aber jetzt, jetzt ist er wieder da. Oder war er nie weg?

Es sind etwa 150 Menschen vor das Löwenstüberl gekommen, als um 12 Uhr das Schauspiel beginnt, später werden es etwa 300 sein. Sie fluchen und schütteln mit dem Kopf angesichts der schier ausweglos erscheinenden Situation, in der sich ihr Verein befindet: abhängig von einem Investor, der nicht mit dem Präsidium spricht, und einem Sportdirektor, den das Präsidium loswerden will, wofür es aber mit dem Investor sprechen müsste, der nicht mit dem Präsidium spricht. Da kommt Franz Hell, einer der Initiatoren der Protestkundgebung auf Giesinger Art.

Die Meisterlöwen schließen sich dem "Allesfahrer" an

Hell ist ein sogenannter "Allesfahrer", dieser Begriff wird in der Welt der Fußballfans mit großer Anerkennung gebraucht, er bedeutet: Hell fährt immer überall hin, wo der TSV 1860 ist. Die Spiele, die er in einem halben Jahrhundert verpasst hat, kann er an den Händen abzählen, und irgendwann in 45 Jahren ist er eins geworden mit dem Klub. "Wenn ein Franz Hell ruft, dann muss man kommen", sagt Karsten Wettberg, auch "König von Giesing" genannt, als Aufstiegstrainer eine Löwen-Legende.

In Giesing sind am Samstag vor allem ältere Herren gekommen, Hell trägt dem Anlass entsprechend feierlich ein Sakko über dem Trikot, sie wollen etwas verändern. "Wir möchten zeigen, dass die leidenden Fans der Verein sind", sagt Hell. Also haben sie Plakate gebastelt, "Poschner Go Home" steht auf einem. Und sie rufen: "Poschner raus", immer wieder schwellen die Sprechchöre an, schallen aus wütenden Kehlen der Geschäftsstelle entgegen. Ein Gebäude, das am Samstag natürlich leer ist. Poschner ist nicht zugegen, als sich der Volkszorn gegen ihn erhebt.

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Hell sagt trotzdem: "Ich hab' eine Lawine losgetreten." Denn die Nachricht, mit der er kommt, hat es in sich. Er habe gerade einen Anruf von Präsident Gerhard Mayrhofer erhalten: Das gesamte Präsidium trete zurück. Den Protestierenden ist schlagartig klar, was das bedeutet. Einer, mit weißen Locken und Sonnenbrille, ruft: "Der Clan hat gewonnen!" Er meint Poschner und Noor Basha, den Münchner Statthalter von Investor Hasan Ismaik. Das Präsidium, diese Interpretation macht die Runde, hat den Kampf aufgegeben.

Nicht nur Fans sind gekommen, um ihre Wut zum Ausdruck zu bringen - auch einige der Meisterlöwen von 1966, Peter Grosser, Wilfried Kohlars, Hans Reich und Hansi Rebele. Und vorneweg Karsten Wettberg, der "König von Giesing", der den Klub einst - in den frühen 1990ern - als Trainer wieder in den Profifußball zurückführte. In Giesing verehren sie ihren König, auch wenn der als Trainer längst aus der Zeit gefallen ist. Als er am Samstag spricht, umringt von Fans, raunt einer mit hochrotem Gesicht: "Ruhe jetzt, der Wettberg spricht!"

Der Wettberg, 73, sagt dann Sätze wie diese: "Wie der Poschner die Mannschaft zusammen gestellt hat, dafür würdest du in der Kreisliga rausgeschmissen." Oder auch: "Wir sind die Lachnummer in ganz Deutschland. Überall, wo ich hinkomme, fragen die Leute: Was seid´s ihr denn für ein Kasperlverein?" Und: "Ich habe noch nie jemanden gesehen, der so wenig Ahnung vom Fußball hat wie Noor Basha. Er hat zu mir gesagt: 'Alter Mann, genieße den Moment.' Aber da bin ich gern ein alter Mann. Wenn ich 90 werd', hätte ich noch mehr Fußballverstand als der Noor Basha."

Wettbergs Rede wird immer wieder unterbrochen von "Karsten Wettberg"-Sprechhören der Umstehenden. Oder auch von "Poschner-raus"-Rufen. Die Leute klatschen, nicht amüsiert, sondern hoffnungsvoll.

Auch weil mittlerweile eine Weiterung durchgesickert ist: Das Präsidium ist doch nicht zurückgetreten. Die Erwägung eines Rücktritts hat allerdings zum ersten Mal seit Wochen bewirkt, dass Investor Ismaik in fernen Landen ans Telefon ging, als Mayrhofer am Freitagabend anrief. Sie haben gesprochen, auch über die Zukunft von Poschner.

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Franz Hell gibt dann noch Interviews vor den Kameras in Giesing, Fans klopfen ihm auf die Schulter. Hell hatte sich ja mit Basha und Poschner noch am Mittwoch getroffen, sie wollten ihm abraten vom Protest. Ach, die paar Leute, die da kommen würden, habe Basha gesagt. Aber: "Es ist ja doch ein ganzes Packerl da", sagt Hell kämpferisch, er ist zufrieden, stolz und überzeugt: "Es ist Bewegung reingekommen." Und das, ganz bestimmt, ist auch ein Verdienst der Fans.

© SZ vom 14.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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