Markt Schwabener Löwen-Fan:Das Herz blutet weiß-blau

In der Küche brennt ein Toaster das Vereinsemblem aufs Brot: Wegen der Relegation erlebt 1860-Anhänger Zan Stojanovic gerade ohnehin die "Hölle" - und dann verschwindet plötzlich auch noch ein Löwe aus dem Vorgarten.

Von Isabel Meixner

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(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Einmal, da war Zan Stojanovic kurz davor, seine mittlerweile 24-jährige Mitgliedschaft beim TSV 1860 München zu kündigen. Vor vier Jahren war das. Die Löwen dümpelten irgendwo im Niemandsland der zweiten Liga vor sich hin, spielten einen "Grottenkick", wie Stojanovic sagt: "Da hatte ich eine echte Glaubenskrise." Warum er doch Mitglied blieb? "Ich weiß, der Satz klingt abgedroschen, aber: Einmal Löwe, immer Löwe." Im Vergleich zu dem, was der 43-jährige Markt Schwabener derzeit durchmachen muss, waren das ohnehin rosige Zeiten. An diesem Dienstag spielen die Sechziger in der Relegation gegen Holstein Kiel und gegen den Abstieg in die dritte Liga. Die Hölle für einen eingefleischten Fan wie Stojanovic, in dessen Leben der TSV 1860 München dominiert. In der Küche brennt ein Sechziger-Toaster in der Früh einen Löwen auf das Toastbrot, die Bodenfliesen sind blau, selbst der Kratzbaum für die Katze ist in Vereinsfarben gehalten.

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(Foto: Photographie Peter Hinz-Rosin)

Das Gästezimmer haben Zan und Sohn David ebenfalls dem TSV geweiht: Auf dem Bett liegen Dutzende Trikots - aus jeder Saison der vergangenen knapp 20 Jahre eines -, vom Fensterbrett grüßen eine Löwenskulptur, eine Shisha mit blau-weißem Schlauch und ein Gartenzwerg in Sechzigtrikot. Auch ein Sechzig-Bademantel, ein blauweißer Schokonikolaus, Schraubenzieher und Feuerzeug in Vereinsfarben und der ungeöffnete Aufsteiger-Sekt von 1994, eine Spezial-Cuvée trocken, sind im Fan-Zimmer zu finden. Selbst für Spaziergänger ist draußen auf den ersten Blick ersichtlich, welcher Verein bei Stojanovics das Sagen hat: Neben der Haustür prangt der Löwe an der Wand, darunter steht ein Steinlöwe, das Haus selbst ist blau angestrichen. Im Garten weht seit dem Einzug die Vereinsfahne. "Da hat der Nachbar ganz schön geschluckt", erzählt Stojanovic. Der sei nämlich FC-Bayern-Fan. Die Reaktion ließ nicht lange auf sich warten - es wurde die rote Bayern-Fahne gehisst. Er fühle sich wie Asterix, sagt der 43-Jährige: "Nur Rote drumrum."

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(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Auch im Urlaub lässt Zan Stojanovic nicht von seinem Verein. Gemeinsam mit Ex-Löwen-Trainer Werner Lorant sind im Löwen-Stadl am Waginger See, wo Stojanovics einen Wohnwagen besitzen, die Tränen geflossen, als klar war, dass Sechzig in die Relegation muss. Selbst in der Liebe hat Blau eine entscheidende Rolle gespielt: Als Zan seine Claudia in der Disco kennenlernte, trug sie ein blaues Oberteil. "Wäre es rot gewesen, hätte er mich wahrscheinlich nicht angeschaut", erzählt sie und lacht. "Sie hat mich als Löwen kennengelernt", erzählt Zan Stojanovic. Zu der Zeit sei er mit dem Löwenfanclub noch kreuz und durch Deutschland gereist. Mittlerweile schaut er nur noch Heimspiele im Stadion an und selbst das nur selten. "Seit die Sechziger in der Allianz-Arena sind, sind die Karten zu teuer." Für Sitzplätze für die gesamte Familie kommt man schnell auf 100 Euro.

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(Foto: Photographie Peter Hinz-Rosin)

Wie Claudia Stojanovic den Spleen ihres Mannes sieht? Auch sie ist mittlerweile Sechzig-Fan, "zwangsläufig", wie sie sagt, doch wie sie über das Thema redet, zeigt, dass auch sie mittlerweile das Löwen-Gen intus hat. Sohn David trug schon als Baby blau-weiße Strampler, "den haben wir als Sechziger erzogen", erzählt Zan. "Der hatte keine Wahl." Als der Strampler zu klein wurde, schnitten die Eltern kurzerhand die Stofffüßchen ab. Mehr Kinderartikel, etwa einen Schnuller, gab es zum Bedauern des Vaters vor 13 Jahren noch nicht. "Die Familie Stojanovic ist seit 50 Jahren Sechzig-Fan", sagt Ehefrau Claudia. Nur die Sache mit dem hellblauen Haus und der dunkelblauen Holzfassade hat sie nicht ganz kompromisslos über sich ergehen lassen. Jetzt ist die Fassade zur Straße hin blau und Richtung Garten lila. "Meine Lieblingsfarbe", erklärt sie.

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(Foto: Photographie Peter Hinz-Rosin)

Und auch der Löwe vor der Haustüre geht auf sie zurück. Er war ein Geschenk von ihrer Tante. In der vergangenen Woche dann der Schock: Der Löwe war verschwunden. Ein schlechtes Omen für die Relegationsspiele? Ein Streich eines Bayernfans? Stojanovics jedenfalls alarmierten die Polizei, baten Claudias Mutter, im Viertel nach der Skulptur zu suchen, fragten die Briefträgerin. Die wusste letztlich wirklich, wo sich der 40Kilogramm schwere Steinlöwe befand: nur rund 150 Meter weiter an einem Haus, offenbar war er seinen Entführern zu schwer geworden. Pünktlich zum Relegationshinspiel am Freitag war er, wenngleich mit kleiner Delle, wieder zurück an seinem angestammten Platz.

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(Foto: Photographie Peter Hinz-Rosin)

Zan Stojanovic kann viele Gründe aufzählen, warum es in dieser Saison für 1860nicht gut gelaufen ist: "Die Spieler identifizieren sich nicht mehr so mit dem Verein." Richtige Führungsspieler gebe es keine, die, die früher diese Aufgabe übernommen haben, wurden hergegeben, Talente werden verkauft. "Wir sind jetzt in einer Spirale, dass der Verein jeden Euro braucht", sagt der Markt Schwabener. Im vorletzten Spiel der Saison gegen Nürnberg habe sich gezeigt, dass die Löwen nach wie vor ein Publikumsmagnet seien, so Stojanovic: "Das Stadion war voll." Seine Meinung: "So ein Verein gehört nicht in niedrige Ligen."

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(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Und falls der TSV doch absteigt? Für einen echten Schnitt wäre die dritte Liga gar nicht so schlecht, gibt Stojanovic zu. Dann müsste alles auf den Prüfstand gestellt werden - nicht nur die Mannschaft, sondern auch die gesamte Führungsriege und die Zusammenarbeit im Verein: der Präsident, der Sportdirektor, das Miteinander mit dem Investor, der Trainer. Letzterer wurde aus Stojanovics Sicht zu oft gewechselt in den vergangenen Jahren - allein in dieser Saison waren es drei verschiedene Coaches. Doch an den Abstieg will der Mann mit der Mitgliedsnummer 5091 gar nicht denken. Im Urlaub in Niederbayern wird er seinem Verein die Daumen für das Spiel gegen Kiel drücken, auf dass der TSV die Saison übersteht wie die Steinskulptur seiner Frau ihr Verschwinden: nur mit einer kleinen Blessur. Der Steinlöwe ist zurück, es leben die Löwen!

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