Argentiniens Lionel Messi:Ungekrönter Zauberjunge

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So nah und doch so fern: Lionel Messi und der WM-Pokal bei der Siegerehrung nach dem Spiel. (Foto: AP)

Lionel Messi, der beste Stürmer der Gegenwart, zeigt im WM-Finale von Rio seine sagenhaften Fähigkeiten. Doch am Ende bleibt auch er in einem Wald deutscher Beine hängen - und muss weiter auf den einen großen Titel warten.

Von Peter Burghardt, Rio de Janeiro

Er hatte diesen Pokal im Blick, von Anfang an. Schon in Rosario, wo Lionel Messi vor 27 Jahren geboren wurde und wo der Rest seiner Familie lebt. In Barcelona, wo der Argentinier das Idol ist. In Buenos Aires, wo die Operation WM der argentinischen Auswahl Ende Mai begonnen hatte. Was waren schon all die anderen glänzenden Trophäen gegen diesen Cup? Der WM-Sieg sollte den besten Stürmer der Gegenwart endgültig auf eine Stufe mit Diego Maradona heben, den Helden bei Argentiniens Titel 1986.

In Rio de Janeiro betrat dieser immer noch so jung wirkende Lionel Andrés Messi das Estadio do Maracanã unter der Christus-Statue - und hatte die Copa direkt vor sich, Spaniens 2010-Weltmeister Carles Puyol und das Model Gisele Bündchen hatten sie in einem schicken Lederkästchen mitgebracht. Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff würde den Hauptgewinn an diesem Abend überreichen. An ihn? An La Pulga, den Floh, Maradonas Wiederkehrer, den Kapitän von Argentinien?

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Sie haben Deutschland den vierten Titel geholt - sie sind die Mannschaft schlechthin. Die Weltmeister in der Einzelkritik: Manuel Neuer, bester Torhüter der WM, verursacht eine Kung-Fu-Kollision. Bastian Schweinsteiger lässt sich selbst von einer blutenden Wunde nicht aufhalten. Und Mario Götze braucht nur eine Aktion, um alles zu ändern.

Von Christof Kneer und Philipp Selldorf, Rio de Janeiro

Tausende weiterer Messi begleiteten ihn in dieses Spiel seines Lebens, im Stadion und davor. Heerscharen singender Argentinier hatten sich auf den Weg nach Rio gemacht, die wenigsten mit Eintrittskarten, die Schwarzmarktpreise stiegen in absurde Höhen.

Das mit Abstand beliebteste Trikot des Landes ist natürlich das mit der Nummer 10 und dem Namen Messi hintendrauf - himmelblauweiß gestreift, obwohl die Südamerikaner wegen der weißen Deutschen in tiefem Blau spielen mussten. Der richtige Messi betrat die Bühne als Anführer entschlossen vorneweg, ordentlich frisiert, frisch rasiert und mit einem Kaugummi im Mund.

Kaugummis beruhigen, dies sollte auch der Gipfel in seiner Karriere werden. Messi hatte außer diesem größten Titel alles gewonnen: die U-20-WM, Weltpokal, Champions League, Olympia, und oft schoss er die entscheidenden Tore. In den drei Vorrundenpartien Argentiniens dieser WM traf er viermal, in 92 Länderspielen waren es vor diesem Termin mit der Geschichte 42 Tore gewesen. Und wenn er ein wichtiges Match verlor, dann liefen die Tränen.

2006 erlebte er wie ein Schuljunge auf der Bank die Niederlage im Berliner Elfmeterschießen gegen die Gastgeber, 2010 in Kapstadt unter Trainer Maradona wieder im Viertelfinale das 0:4-Debakel - nochmal gegen Deutschland.

Spielanalyse
:'54, '74, '90 - 2014

Dieses Spiel hat beiden Teams alles abverlangt. Erst in der Verlängerung die Erlösung: Flanke Schürrle, Götze mit der Brust, Götze mit links - Weltmeister. Protokoll eines Triumphs.

Beim dritten Versuch sollte es klappen, 40 Millionen Landsleute vertrauten auf ihn, darunter seine Mitspieler. "Messi auf dem Feld zu haben ist ein Privileg", sagt Nebenmann Ezequiel Lavezzi. "Jeder weiß, zu was er fähig ist."

Die Deutschen ahnten es auch, vor allem Gegenspieler wie Bastian Schweinsteiger. Zumal man nie genau weiß, was der Zauberjunge gerade im Schild führt. Mal scheint Messi spazieren zu gehen, mal tritt er an, mit Trippelschritten, am linken oder rechten Fuß seinen besten Freund. Beim Wimpeltausch mit Philipp Lahm wirkte er ähnlich harmlos wie der deutsche Boss, beide sind ja auch ähnlich klein, Messi 1,69 Meter und Lahm 1,70 Meter, doch das täuscht in beiden Fällen. Dann legte er los.

Nach ein paar Minuten rannte Messi rechts außen Mats Hummels davon, Manuel Neuer und Jérôme Boateng beförderten die Kugel aus der Gefahrenzone. Er leitete mit einem Zuspiel auf Lavezzi dessen Querpass und den Treffer von Gonzalo Higuaín ein - doch der stand im Abseits. Er plauderte entspannt mit dem Schiedsrichter. Er zog im Strafraum ab, Lahm blockte im letzten Moment ab. Er rannte erneut ins deutsche Sperrgebiet, Boateng griff noch ein.

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Gonzalo Higuaín vergibt eine Chance, die man in einem WM-Finale nicht vergeben darf. Sergio Romero mimt den heißblütigen Oliver Kahn - und Lionel Messi macht der Christus-Statue Konkurrenz. Die Argentinier in der Einzelkritik.

Von Thomas Hummel, Rio de Janeiro

Auf der Tribüne staunten die Hoheiten - Rousseff, Angela Merkel, Wladimir Putin, Pelé - und 73 000 weitere Menschen, darunter Zico, der populärste Zehner in der Historie des Maracanã. Der brasilianische Patient und Messis Barça-Kollege Neymar hatte sich sogar zum Anhänger des "Messi Fútbol Club" ernannt.

Nach Wiederanpfiff kam dann erst ein noch Furcht erregenderer Messi aus der Kabine, sein Schuss nach kurzem Spurt strich um Zentimeter am rechten Pfosten vorbei. Er mogelte sich durch einen Wald deutscher Beine, blieb allerdings auch immer öfter hängen.

Er ließ sich auf der Suche nach dem geliebten Ball und einer zündenden Idee weit zurück fallen, Argentinien hatte sich ja im Laufe dieser WM vom abwehrlosen Angriffsteam zum torlosen Bollwerk verwandelt. Wenn Messi diesen Brazuca wieder fand, dann sprang der ihm auch mal störrisch weg, oder sein eingewechselter Partner Sergio Agüero rutschte bei seinem Pass aus.

Es würde keine lässige Gala werden, das hätte auch niemand gedacht. Nicht gegen solche Rivalen. Doch Argentinien drehte sich um Messi, und die Gefahr schien immer irgendwie von ihm auszugehen. Wer sonst sollte ein argentinisches Tor schießen? Von den Topstürmern des Teams waren nur noch er und der eingewechselte Agüero übrig. Es kam die Verlängerung, dann traf Mario Götze, Deutschland war Weltmeister.

Lionel Messi, der fünfmal den Goldenen Ball gewonnen hat und weiter auf seine maradonahafte Krönung bei einer WM wartet, sah zu, wie der Deutsche Philipp Lahm in Maracanã den einzigen Pokal bekam, der ihm, Messi, noch fehlt.

© SZ vom 14.07.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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