Augsburg-Manager Rettig im Gespräch:"Tasmania Berlin? Das ist doch kein Vergleich!"

Lesezeit: 6 min

Kleinster Etat, dünner Kader und erst ein Sieg in der Bundesliga-Klubgeschichte: Andreas Rettig steht als Geschäftsführer des FC Augsburg vor der Aufgabe, den Verein mit begrenzten Mitteln in der höchsten deutschen Spielklasse zu etablieren. Vor dem Spiel gegen Bremen spricht er im SZ-Interview über Risikotransfers, die einzige Chance des FCA und falsche Drehbücher im Abstiegskampf.

Kathrin Steinbichler

Am vergangenen Wochenende schaffte der FC Augsburg in Mainz den ersten Bundesliga-Sieg der Klubgeschichte. Doch ob der Aufsteiger das Zeug hat, in der ersten Liga auch dauerhaft Erfolge zu feiern, muss sich im ausverkauften Freitagsspiel gegen Werder Bremen zeigen.

Seitdem er beim FC Augsburg ist, muss er stets für zwei Ligen gleichzeitig planen: Geschäftsführer Andreas Rettig. (Foto: Bongarts/Getty Images)

SZ: Herr Rettig, hier in der Geschäftsstelle hängen Fotos von ehemaligen Augsburger Klubgrößen wie Helmut Haller oder Karl-Heinz Riedle. Wann bekommt das Elfmetertor von Jan-Ingwer Callsen-Bracker seinen Platz, dem der FCA den ersten Bundesliga-Sieg verdankt?

Rettig: Gute Frage, für solche Überlegungen war noch gar keine Zeit. Aber mal ehrlich: Der Sieg in Mainz war historisch, aber nur deshalb, weil es der erste war. Wir haben drei Punkte geholt - das ist nichts, worüber wir sagen müssen: Da ist ein Wunder geschehen. Natürlich haben wir uns total gefreut, die drei Punkte waren eminent wichtig. Aber wir dürfen nicht so tun, als wenn der Sieg hier alle in Ekstase versetzt.

SZ: Der FCA hat mit 30 Millionen Euro den kleinsten aller Etats. Wie wollen Sie als Außenseiter in der Liga bleiben?

Rettig: Es ist ja nicht so, dass wir keine wirtschaftlichen Möglichkeiten haben, um noch mal in die Mannschaft zu investieren. Der FCA steht wirtschaftlich gut da, weil wir nur das ausgeben, was wir vertreten können. Geld ausgeben ist leicht. Aber wir haben im Sommer eben gesagt, dass wir nicht jeden überhitzten Preis mitmachen. Der eine oder andere Transfer ist an den Forderungen gescheitert, aber es ist nicht so, dass wir finanziell aus dem letzten Loch pfeifen. Wir haben unglaubliche Sponsoren-Erlöse.

SZ: Was heißt unglaublich?

Rettig: Unglaublich für unsere bisherigen Verhältnisse. Wir haben finanziell betrachtet einen Quantensprung gemacht in der ersten Liga. In unserer derzeitigen sportlichen Situation zum Beispiel kommt einer unserer großen Partner, dessen Sponsorenvertrag ausläuft, und verlängert sein Engagement. Mit der Aussage: Wir sind vom Projekt des FCA überzeugt, wir tragen die Entwicklung mit, egal in welcher Liga der FC Augsburg in der nächsten Saison spielt. Das sind Signale für uns, dass unsere Arbeit hier Vertrauen genießt.

SZ: So ganz egal kann Ihnen der drittletzte Tabellenplatz aber nicht sein.

Rettig: Die Reflexe sind doch immer dieselben. Ob derzeit in Freiburg, in Mainz, in Kaiserslautern - überall in der Abstiegszone werden die gleichen Fragen gestellt: Stimmt der Kader? Stimmt der Trainer? Warum machen die Verantwortlichen nicht mehr Geld locker für neue Spieler? Da habe ich höchsten Respekt vor den Kollegen dieser Klubs, dass sie ruhig bleiben und nicht an ihrer Linie zweifeln. Ich finde das ein tolles Signal, das diese Saison von der vorhergehenden unterscheidet.

SZ: Beim FCA geht das Vertrauen so weit, dass der Vorstands-Vorsitzende Walther Seinsch dem Trainer Jos Luhukay zu Saisonbeginn eine Arbeitsplatz-Garantie ausgesprochen hat, egal wie oft er verliert. Hat die auch Bestand, wenn es bei diesem einen Sieg bleiben sollte?

Rettig: Das ist keine leere Phrase, wir sind von Jos Luhukay überzeugt. Und wir haben hier einen entscheidenden Vorteil: Walther Seinsch ist seit über einem Jahrzehnt in der Verantwortung. Unser Aufsichtsrats-Chef Peter Bircks ist schon über 20 Jahre in unterschiedlicher Funktion dabei, auch ich bin das sechste Jahr an Bord. Wir wissen, wo wir herkommen, und wir betrachten die Entwicklung des FCA auf einer anderen, länger angelegten Zeitachse. Nach etwas mehr als zwei Monaten in der neuen Liga mit acht sieglosen Spielen wollen wir gar nicht aufgeregt sein und Köpfe rollen lassen, sondern bewusst Ruhe ausstrahlen.

FC Augsburg
:Ach, der Thurk ist ja noch das geringste Übel

Der FC Augsburg ist der Abstiegskandidat Nummer eins. Das sagen die meisten - nein: alle Experten. Stimmt das auch? Ein Stresstest für den FC Augsburg 1907 vor dem Bundesliga-Start gegen den SC Freiburg. Das Ergebnis: bedingt bundesliga-tauglich.

Stefan Mayr

SZ: Aber die Liga gönnt doch niemandem Ruhe: Wenn der Erfolg ausbleibt, werden die Beteiligten infrage gestellt.

FC Augsburg
:Ach, der Thurk ist ja noch das geringste Übel

Der FC Augsburg ist der Abstiegskandidat Nummer eins. Das sagen die meisten - nein: alle Experten. Stimmt das auch? Ein Stresstest für den FC Augsburg 1907 vor dem Bundesliga-Start gegen den SC Freiburg. Das Ergebnis: bedingt bundesliga-tauglich.

Stefan Mayr

Rettig: In der Bundesliga geht es um viel - um Geld, damit verbunden um Personal, um ganze Lebensläufe. Gerade deshalb wollen wir nicht alle Aufgeregtheiten mitmachen. Weil wir unsere Verantwortung über den Tag hinaus kennen.

SZ: Wie meinen Sie das?

Rettig: Die Drehbücher bei sportlichem Misserfolg lesen sich an allen Standorten gleich, da müssen Sie nur die Namen austauschen: Ausbleibender Erfolg, Trainer raus, keine Besserung, also Manager raus - und dann fängt der Verein wieder bei Null an. Aber das kann es ja nicht sein, das hat doch kein Konzept.

SZ: Welches Konzept haben Sie?

Rettig: Hier im Verein wissen alle: Die einzige Chance für den FCA, sich in der Bundesliga zu etablieren, ist es, auf Kontinuität und Nachhaltigkeit zu setzen, alles andere wäre fatal. Ich habe mir die ewige Bundesligatabelle herausgesucht, um das mal faktisch zu untermauern ( kramt in einem Papierstapel und zieht einen Ausdruck heraus). Wir sind ja der 51. Bundesligist der Geschichte und stehen nach neun Spieltagen an letzter Stelle dieser ewigen Tabelle. Die sechs Vereine, die vor uns stehen und alle gerade mal eine Spielzeit in der Bundesliga waren, spielen inzwischen in den Niederungen des Amateurfußballs, sind fast alle in die Insolvenz gegangen oder fusioniert.

SZ: Lassen Sie mal sehen . . .

Rettig: . . . hier: Tasmania Berlin - weg; VfB Leipzig - fusioniert; Blau-Weiß 90 Berlin - weg; Preußen Münster - kommt langsam wieder; Fortuna Köln - war in der Insolvenz, genauso wie der SSV Ulm. Was ich damit sagen will: Wir wollen dieses Schicksal nicht teilen und gehen an die Sache anders heran. Wir sehen nicht nur diese eine Aufstiegssaison, sondern wollen uns mittelfristig in der Bundesliga etablieren. Dazu gehört, dass man auch Rückschläge hinnehmen muss.

SZ: Ein Abstieg in der Premieren- Saison würde Sie nicht schocken?

Rettig: Auch ein Abstieg würde uns nicht aufhalten, den Verein im hochklassigen Profifußball zu etablieren. Ein Abstieg würde wehtun, aber von unseren langfristigen Planungen würde hier nichts zusammenbrechen. Wir haben deswegen ja auch unser Geld zunächst in das Stadion investiert, anstatt teuer einzukaufen. Denn wenn wir in Beine statt in Steine investiert hätten, wäre das Geld schnell verpufft: Spieler verlassen einen wieder, oft schneller, als einem lieb ist. Das Stadion oder die neue Trainingsanlage für unsere Profis, die wir ab Januar beziehen, die bleiben dem Verein erhalten. Und schaffen damit die Grundlage für langfristiges Arbeiten.

Bayern in der Einzelkritik
:Flink im Kopf, lahm in den Füßen

Manuel Neuer ist beim 1:1 in Neapel erst irritiert, dann gelingt ihm trotz des Gegentores ein Klubrekord, Toni Kroos taucht aus dem Nebel auf und trifft mit bemerkenswerter Lässigkeit und Thomas Müller agiert zwar geistig fit, doch ihn lassen seine Fußballerbeine im Stich. Die Bayern in der Einzelkritik.

Carsten Eberts und Klaus Hoeltzenbein, Neapel

SZ: Eine Rasenheizung bei den neuen Trainingsplätzen war aber nicht drin.

Rettig: Die zum Beispiel können wir uns momentan nicht erlauben. Die hätte rund eine halbe Million gekostet, das wäre jetzt die falsche Investition gewesen. Schließlich können wir, wie bisher auch, in der kalten Jahreszeit in die wenige Kilometer entfernte Rosenau ausweichen.

SZ: Heben Sie sich die halbe Million lieber für einen Wintertransfer auf?

Rettig: Exakt. Wir wollten unseren Investitionsspielraum für die Rückrunde erhöhen, denn in den vergangenen zwei Wintern haben wir den Grundstein zum Erfolg in der Rückrunde gelegt.

SZ: Jos Luhukay hat in der Vorwoche den Kader erstmals öffentlich kritisiert, er wünscht sich noch eine Verstärkung. Sie erfüllen ihm also seinen Wunsch.

Rettig: Wir wollen gerne noch mal nachlegen, das stimmt, und es stimmt auch, dass es intern verbal etwas gekracht hat in der Vorwoche. Aber das braucht eine Mannschaft auch mal, und sie hat mit dem Sieg in Mainz ja eine hervorragende Antwort gegeben. Wir wissen auch, dass wir vor der Saison ein großes sportliches Risiko eingegangen sind. Einige angedachte Transfers konnten wir nicht umsetzen, weil wir erst am vorletzten Spieltag als Aufsteiger feststanden.

SZ: . . . und nicht klar planen konnten.

Rettig: Seit ich beim FCA bin, mussten wir immer zweigleisig planen. Am Anfang, weil nicht klar war, ob wir von der zweiten in die dritte Liga müssen. Dann, weil nicht feststand, ob und wann wir den Bundesliga-Aufstieg schaffen. Die Spieler aber und vor allem die Wettbewerber warten nicht. Wenn du keine Planungssicherheit hast, regelt sich der Markt, bevor du zugreifen kannst. Klubs wie Nürnberg, Kaiserslautern oder Mainz, die mit uns im selben Teich fischen, schlagen dann eben vor dir zu. Die haben dann längst den besseren oder größeren Köder ausgeworfen.

SZ: Hört sich nach einem überfischten Teich an, in dem Sie Spielern angeln.

Rettig: Absolut überfischt, aber in dieser Winterpause können wir erstmals einem Spieler sagen: Bei uns spielst du in der Rückrunde auf jeden Fall erste Liga. Und du kannst ein Teil davon sein, dass es auch so bleibt. Das ist neu. Trotzdem bleibt es immer ein sportliches Risiko, ob der Spieler hält, was wir uns von ihm versprechen. Bei Sascha Mölders, Sebastian Langkamp, Akaki Gogia oder Patrick Mayer, die wir vor der Saison verpflichtet haben, waren und sind wir von ihrem Potential überzeugt. Aber vor dieser Saison haben sie es eben auf höchster Ebene noch nie unter Beweis gestellt. Konstant Bundesliga zu spielen, ist neu für sie, und dieses Risiko gehen wir ein. Wir müssen. Weil wir sagen: lieber ein sportliches Risiko als ein wirtschaftliches.

SZ: Hand aufs Herz: Glauben Sie an den Verbleib in der Liga?

Rettig: Kämpferisch und läuferisch war das bisher alles einwandfrei, die spielerische Klasse muss noch dazu kommen. Aber das ist ein Prozess. Wir werden ja von den Medien pausenlos mit Tasmania Berlin verglichen. Aber das ist doch kein Vergleich! Die haben damals zehn Punkte in 34 Spielen geholt, wir haben nach neun Spielen jetzt sieben Punkte!

SZ: Das Spiel gegen Bremen ist ausverkauft, was dürfen die Fans erwarten?

Rettig: Also, auch wenn wir jetzt gegen Mainz gewonnen haben: Ich kann nicht erkennen, dass wir gegen den Tabellenfünften als Favorit ins Spiel gehen. Aber die Mannschaft wird wieder alles geben. Ob das langt, müssen wir abwarten.

© SZ vom 21.10.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: