Achtelfinale:Island kickt England aus der EM

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Áfram Ísland! Der Außenseiter schlägt England mit 2:1 und darf seine famose Geschichte im EM-Viertelfinale fortschreiben. England erlebt den nächsten Brexit - der Trainer tritt sofort zurück.

Von Ulrich Hartmann, Nizza

"Áfram Ísland", steht auf dem Bus der Isländer. Afram heißt vorwärts, Fußball heißt knattspyrna. Wer seine isländischen Vokabeln bislang nicht gelernt hat, bekommt jetzt eine Verlängerungsfrist, denn die Isländer werden das Turnier in Frankreich weiter als subversives Element bereichern. Die EM-Debütanten sind die Naturburschen unter Fußballmillionären, außerdem sind sie offiziell gerade eine der besten acht Mannschaften Europas Denn am Montagabend haben sie in Nizza die Engländer sensationell und verdient 2:1 (2:1) besiegt. Sie haben sich damit fürs Viertelfinale am Sonntag gegen Frankreich qualifiziert.

Englands Trainer Roy Hodgson gab noch am Tatort eine zweiminütige Erklärung ab, in der er sein Amt zur Verfügung stellte. "England ist von einem Land geschlagen worden, das mehr Vulkane als Fußballprofis hat", spottete der ehemalige Nationalspieler Gary Lineker.

Früher, als die Isländer nie bei einer EM dabei waren, hätten sie immer zu den Engländern gehalten, hatte der Spieler Arnór Traustason vor der Partie erzählt. In Island interessiert man sich vor allem für die Premier League. Am Montag setzten sie das Mitfiebern freilich aus, nach ihren 1:1-Unentschieden gegen Portugal und Ungarn und dem 2:1-Sieg gegen Österreich in der Vorrunde waren sie in Nizza wild entschlossen, es auch den Engländern schwer zu machen. Elfter ist England in der Weltrangliste, 34. sind die Isländer, aber den Unterschied hat man kaum gesehen.

Rooney trifft - tatsächlich per Elfmeter

"Die Zeit ist einfach nicht vorbeigegangen", sagte Islands Ragnar Sigurðsson später, völlig geschafft. Dann sagte er noch, stellvertretend für seine Auswahl: "Der größte Moment meiner Fußball-Karriere." Englands Trainer Hodgson, der nach dem 0:0 gegen die Slowakei im finalen Gruppenspiel für sechs Rotationswechsel kritisiert worden war, machte diese Wechsel zunächst wieder rückgängig. Er ließ seine Elf wie beim 2:1 gegen Wales beginnen - mit einer Ausnahme: Daniel Sturridge spielte für Adam Lallana auf der rechten Außenbahn. Islands Trainerduo nominierte im vierten Spiel zum vierten Mal dieselbe Startelf.

Die Engländer kontrollierten den Ball, aber alles andere wäre auch ein Witz gewesen. Ihre elf Startmänner spielen alle in der Premier League. Die elf Isländer spielen in neun verschiedenen Ländern, darunter Norwegen, Dänemark, Wales. Die Frage war, was die Engländer aus ihrer Dominanz machen würden. In drei Gruppenspielen hatten sie aus 65 Torschüssen drei Treffer generiert.

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Diesmal ging es noch gut los. Elfmeter ist für Engländer keine beliebte Vokabel in Ausscheidungsspielen, aber wenn man in der 4. Minute einen Foulelfmeter zugesprochen bekommt, weil der gegnerische Torwart (Halldórsson) den Stürmer (Sterling) umrempelt, dann nimmt man das gerne mit. Wayne Rooney verwandelte zum 1:0. Hodgson mag aufgeatmet haben, aber lange hielt dieses Gefühl nicht an. Die Isländer sind für ihren Trotz, ihre Leidenschaft, ihre fußballerische Qualitäten berühmt geworden, und wenn man das alles summiert, dann muss man jederzeit mit ihnen rechnen.

Diesmal dauerte es keine zwei Minuten, ehe Ragnar Sigurðsson vom russischen Klub Krasnodar nach weitem Einwurf von Aron Gunnarsson zum 1:1 ausglich. Und es kam schnell noch schlimmer für die Engländer. In der 18. Minute, als die Isländer das zweite Mal vors englische Tor kamen, gab Kolbeinn Sigþórsson vom FC Nantes einen Flachschuss aus 15 Metern ab, den Joe Hart zwar durchaus hätte halten dürfen - das aber nicht tat. 1:2 für Island. Die Sensation nahm früh Form an.

Islands Abwehr ist eine Art Wikingerschiff, solide gebaut, schwer zu entern, erst recht, wenn die Besatzung ihr Schiff nicht mehr verlassen muss. Ehe die Schlacht für 15 Minuten unterbrochen wurde, fehlte es den Engländern an Eroberungsstrategien. In der zweiten Halbzeit mussten sie den Druck dann erhöhen. Jack Wilshere kam für Eric Dier.

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Island singt "Football's coming home"

Von den vielen hohen Bällen, derer sich die Engländer wegen des dichten Betriebs im isländischen Strafraum behalfen, kamen aber nur wenige an. Harry Kane nickte den Ball zwei Mal (50., 79.) kraftlos Richtung Tor. In Zweikämpfen und Kopfballduellen waren die Isländer meist schneller, rustikaler. Und: Sie waren mit ihren Kontern torgefährlicher. Ein Fallrückzieher von Sigurðsson (55.) nach einer Ecke bedeutete nur deshalb nicht die Vorentscheidung, weil er Hart anschoss. "Rule, Britannia", sangen die englischen Fans, ganz feine Ironie. "Football's coming home", antworteten die Isländer.

Jamie Vardy kam für Sterling (60.). Kane schoss einen Freistoß fünf Meter neben das Tor (66.). Rooney zirkelte eine Flanke beinahe direkt ins englische Publikum (70.). Kane machte ihm das präzise nach (88.). Alles Zeugnisse der Hilflosigkeit in einer Mannschaft der Ernüchterten. Kurz später war ihre EM vorbei.

© SZ vom 28.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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