Abstiegskampf:Wenig Geld = wenig Punkte

Lesezeit: 3 min

Der Mainzer Yoshinori und der Augsburger Takashi Usami stehen beide überraschend im Keller der Liga. (Foto: Bongarts/Getty Images)
  • Mainz, Augsburg, Ingolstadt und Darmstadt. Die Klubs mit dem wenigsten Geld sind nun auch in der Tabelle ganz unten.
  • Alle vier Vereine haben allerdings vor der Saison eine Identifikationsfigur verloren.
  • Nur der SC Freiburg widersetzt sich in dieser Saison der Gleichung, die Heribert Bruchhagen einst als Präsident von Eintracht Frankfurt aufegstellt hat.

Von Christof Kneer

Eine Einweihungsparty haben die Augsburger nicht gefeiert im vorigen Sommer, zumindest hat man nichts davon mitbekommen. Es gab keine Bilder von Gästen, die Wein mitbringen und sich nachts um drei in der Küche treffen, um diesen Wein dort gleich wieder auszutrinken. Vielleicht haben die Augsburger auch still gefeiert, man weiß es nicht genau, gewiss ist nur, dass sie umgezogen sind: vom Keller der Bundesliga eine Etage rauf ins Erdgeschoss.

Derlei Verbesserungen beim Wohnkomfort sind ja nicht nur an Tabellenplätzen ablesbar, sondern vor allem am Transferverhalten der Klubs. Oben konnten die Augsburger im vorigen Sommer also auf keinen Fall wohnen, weil sie ihren Trainer Markus Weinzierl an einen Klub abgeben mussten, dessen Klingelschild deutlich weiter oben hing (Schalke 04). Aber ganz unten wohnten die Augsburger auch nicht mehr, denn es war ihnen gelungen, Trainer Dirk Schuster aus Darmstadt zu gewinnen. Für Schuster war dieser Umzug ein sozialer Aufstieg, denn Darmstadt, das war ganz unten.

An diesem Mittwoch lädt der FC Augsburg die Menschen wieder in sein Stadion ein, aber diesmal handelt es sich um kein Fest, sondern eher um eine Art gemeinsame Krisensitzung. Der FCA ist kurz davor, wieder das Stockwerk tauschen zu müssen, er steht schon wieder auf der Kellertreppe. Im Falle einer Niederlage könnten ihm die Gäste aus Ingolstadt entgegenkommen, überhaupt lassen sich auf dieser Treppe zurzeit erstaunliche Bekanntschaften machen. Auch den FSV Mainz 05 trifft man dort, einen langjährigen Liga-Bewohner, der eigentlich längst in der entgegengesetzten Richtung unterwegs war. Die Mainzer waren gerade dabei, das Erd- zugunsten des ersten Obergeschosses zu verlassen.

Die letzten Vier der Tabelle haben im Sommer allesamt wichtige Integrationsfiguren verloren

Wer in dieser englischen Woche einen Blick auf die letzten Vier der Tabelle wirft, darf sich doppelt wundern. Zum einen findet man dort tatsächlich Augsburg und Mainz, jene tapferen Widerständler, die mit forschem Fußball und punktgenauer Personalpolitik schon hinausgewachsen zu sein schienen über die Dauersorgenkinder aus Hamburg, Bremen oder auch Frankfurt. Und ebenso erstaunlich ist, dass die Tabelle ganz unten auf einmal aussieht, wie sie lange nicht mehr aussah: Es versammeln sich dort - mit Ausnahme des SC Freiburg - exakt jene Klubs, die zu den fünf etatschwächsten der Liga gehören.

Der Sportfunktionär Heribert Bruchhagen, aktuell in Diensten des HSV, ist immer wieder bespöttelt worden wegen seiner sog. Bruchhagen-Tabelle, die den Tabellenplatz der Mannschaften am Lizenzspieler-Etat der vergangenen fünf Jahre berechnet. Vereinfacht gesagt funktioniert die Bruchhagen-Tabelle so, dass diejenigen Teams ganz oben stehen, die am meisten Geld in ihren Kader stecken, gefolgt von jenen, die immer noch viel investieren, und dann geht's hinunter bis zu jenen, die wenig bis ganz wenig investieren. Die Realität hat sich zuletzt aber selten an Bruchhagen gehalten, sie hat zum Beispiel Absteiger aus Hannover und Stuttgart ermittelt, obwohl sie Absteiger aus Darmstadt und Ingolstadt hätte ermitteln müssen.

Tabellenbilder sind oft nur tagesaktuelle Schnappschüsse, aber die Besetzung des Kellergeschosses lässt doch einen Schluss von größerer Allgemeingültigkeit zu. Die kleineren Teams brauchen, um frech werden zu können, nicht nur größere Teams, die viel falsch machen - sie brauchen auch ihre atmosphärischen Extras, um sich im Vollbesitz ihrer Kräfte zu fühlen. Es ist kein Zufall, dass die letzten Vier im Sommer allesamt ihre Führungs- und/oder Identifikationsfiguren eingebüßt haben.

Mainz musste nach 24 Jahren plötzlich ohne Manager Christian Heidel auskommen, der den Verein mit dem Bauchgefühl des Routiniers gesteuert hat. Augsburg musste lernen, ohne den Tugendprediger Markus Weinzierl weiter zu rennen, was anfangs ebenso Probleme bereitete wie in Darmstadt, wo alles Tun und Lassen auf Trainer Dirk Schuster fokussiert war (der interessanterweise in Augsburg, wo nichts auf ihn fokussiert war, scheiterte). Und dem FC Ingolstadt war von der ersten Saisonminute an anzumerken, dass er seinen verherrlichten Klubheiligen Ralph Hasenhüttl verloren hatte. Diese sportlichen und emotionalen Umstürze haben den Standorten erst mal ihren Gewissheiten und ihren Glauben genommen, und den Trainern Dirk Schuster, Norbert Meier und Markus Kauczinski haben sie die Jobs gekostet (worauf sich wieder alles neu ausrichten musste).

Vermutlich ist das auch der Grund, warum es dem SC Freiburg in dieser Saison als einzigem der Kleingallier gelingt, angemessen aufsässig zu sein: weil sich dort alle - wie immer - um Häuptling Christian Streich versammeln.

© SZ vom 05.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Fußball
:Einer Bundesliga, einer Bezirksliga

Florian Niederlechner und Bekim Shabani galten in der Jugend als ähnlich talentierte Stürmer, doch zum Profi schaffte es nur einer. Von zwei unterschiedlichen Karrieren.

Von Andreas Liebmann

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: