2. Bundesliga:1860 baut mehr als einen Perspektivkader

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So viel war lange nicht los in Giesing: Rückkehrer Stefan Aigner wird beim Fanfest von 1860 gefeiert. (Foto: Stefan Matzke/sampics)

Mit Stefan Aigner holen die Löwen eine Identifikationsfigur aus Frankfurt zurück. In Giesing wird gerade ein kostspieliges Fußballprojekt betrieben.

Von Philipp Schneider

Der Weg vom Trainingsplatz hinüber zur Schuhputzanlage, an der die Fußballprofis wieder Ruhe finden, ist nicht weit an der Grünwalder Straße. Es gilt 20, vielleicht 25 Meter zu bewältigen, ehe man ungestört seine Schuhe putzen kann. Der Fußballer Stefan Aigner ist ein vergleichsweise schneller Läufer, am Sonntag aber benötigte er fast fünf Minuten für die kurze Strecke.

Von beiden Seiten schoben sich Fans in seine Bahn, von links und rechts hielten sie ihm Handys und Fotokameras vor das Gesicht. "Aiges, ein Selfie!", "Aiges, eine Unterschrift!" Und doch tat sich irgendwann wie von Zauberhand eine kleine Gasse auf, durch die Aigner schreiten durfte wie Moses durch das Rote Meer.

"Ich will mal eines anmerken", sagte Aigner am Ende des Spaliers, als er Gelegenheit fand, etwas anzumerken: "Ich bin immer noch der Aiges und nicht der Messias oder Messi. Der Aiges von früher, und kein Heilsbringer!" Das sahen einige der 3000 Pilger anders, die immer wieder Aigners Namen skandierten und trotz Regens an diesem Sonntag zum Fanfest des Zweitligisten TSV 1860 München geströmt waren. Vor dem Fanshop bildete sich eine Schlange, die bis zum Löwenstüberl reichte.

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Der Ansturm auf die Trikots war so groß, dass die Kunden per Blockabfertigung in kleinen Gruppen an die Kasse geschleust wurden, wo sie Devotionalien erstehen konnten, die mit wohlklingenden Namen beflockt waren. Andrade. Matmour. Ribamar. Olic. Besonders begehrt war die Nummer 29, das Trikot des Spielers, dessen Rückkehr fast romantische Züge trägt.

"Die Benders oder Volland können wir nicht holen. Aber bei Aigner war der Wille da"

Vom Bundesligisten Eintracht Frankfurt, an den er noch bis 2018 vertraglich gebunden war, hatte sich der 28-jährige Aigner tags zuvor losgesagt, um für vier Jahre bei seinem Heimatklub zu unterschreiben, in dem er sämtliche Jugendabteilungen durchlaufen hatte. "Es war immer mein Traum, mal in der ersten Liga zu spielen. Den habe ich mir jetzt erfüllt", sagte Aigner. "Ich habe aber gesehen, dass hier jetzt bei Sechzig eine klare Linie drin ist, dass nicht länger die jungen, guten Spieler verkauft werden müssen. Mein Traum war auch immer, mit Sechzig in die erste Liga aufzusteigen." Klare Linie, Rückkehr, Aufstieg - ist es wirklich so einfach?

Seit Tagen blickt die Liga staunend auf ein recht kostspieliges Fußballprojekt in Giesing, das der nicht einmal anwesende Projektleiter Thomas Eichin vorantreibt: Erst unterschrieb Ivica Olic, dann der 19-jährige Brasilianer Ribamar. Und nun auch noch Aigner. Allein die kolportierten Ablösen für Aigner und Ribamar belaufen sich summiert auf rund 5,5 Millionen Euro. Olic wechselte zwar ablösefrei, dürfte aber trotz fortgeschrittenen Alters den Gehaltsschnitt deutlich nach oben treiben.

Sie mühen sich tapfer bei 1860, nicht vom Aufstieg zu sprechen. Wer allerdings den bald 37-jährigen Ivica Olic lockt und mit einem Einjahresvertrag ausstattet, der will ja offenkundig keinen Perspektivkader begründen. "Nach acht bis zehn Spielen muss man sehen, wo man steht, und dann kann man die Ziele auch noch mal neu ausgeben", sagte Peter Cassalette auf dem Fanfest. Der Vereinspräsident, der die vergangenen Tage bei Investor Hasan Ismaik in Abu Dhabi zu Besuch war ("zum Schluss hat noch ein bisschen Geld für Aigner gefehlt, deshalb habe ich in der Nacht auf Freitag noch mal auf Hasan eingeredet"), erklärte am Sonntag die Transferaktivitäten in diesem Sommer für beendet.

Möglicherweise sieht das Eichin, der an diesem Montag seine Büroräume beziehen wird, etwas anders. Dem Vernehmen nach steht noch ein Innenverteidiger auf seiner Einkaufsliste. Im nächsten Schritt, sagte Cassalette, werde der Kader verschlankt. Klar, wer viel einkauft, der muss irgendwann auch wieder verkaufen. Und in Anbetracht des riesigen Umbruchs im Kader sei es wichtig gewesen, findet Cassalette, "nicht nur - in Anführungszeichen - Brasilianer zu holen, sondern auch einen mit Herzblut, eine Identifikationsfigur. Und da ist Aigner der Beste. Die Benders oder Volland können wir nicht holen, die sind noch teurer. Aber bei Aigner war der Wille da."

Auf paradoxe Weise schließt sich ein Kreis

Vor vier Jahren war Aigners Wille erloschen. Er wechselte nicht einfach nach Frankfurt. Er floh aus München. Ausgerechnet Aigner, der sich in all seinen Jahren bei Sechzig als "Fan auf dem Platz" bezeichnete, hielt es damals nicht länger aus, mitansehen zu müssen, wie sich sein Herzensverein zerrieb. An der Spitze tobte ein Machtkampf, die Investorenseite mobbte den damaligen Präsidenten Dieter Schneider und drängte den Aufsichtsrat, Schneider zum Rücktritt zu bewegen.

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Aigner schlug sich auf die Vereinsseite. "Ich finde es unmenschlich und absolut unfair, so auf einen Mann loszugehen, der den Verein gerettet, immer alles für den Verein gegeben und seine Gesundheit aufs Spiel gesetzt hat", sagte Aigner - "das war für mich einer der Hauptgründe, bei 1860 nicht zu verlängern." Und nun schließt sich der Kreis auf paradoxe Weise: Aigner ist nur deshalb zurück bei 1860, weil sich der Klub unter Cassalette endgültig verabschiedet hat von einer Politik der Sparsamkeit, wegen derer sich sein Vorgänger Schneider mit Ismaik überworfen hatte.

Schneider hatte große Investitionen in den Kader immer abgelehnt mit dem Argument, dass Ismaiks Gelder keine Geschenke sind, sondern in Form von Darlehen fließen. Selbst wenn diese Darlehen alljährlich umgewandelt werden in Genussscheine, so bleiben sie doch Schulden, die auch den e.V. als Mitgesellschafter belasten. "Es sind zwar auch unsere Schulden", sagte Vizepräsident Hans Sitzberger am Sonntag. "Überschaubar" sollten die finanziellen Belastungen bleiben; aber grundsätzlich sei es schon "in Ordnung, dass Hasan Ismaik investiert. Sonst kommst du nicht raus dem Schlamassel". Mit dem Schlamassel meinte Sitzberger: die zweite Liga.

© SZ vom 01.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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