TSV 1860 München:"Wenn die Fahne abhandenkommt, das ist die größte Schmach"

TSV 1860 München - Borussia Dortmund

Löwenfans beim Testspiel gegen Borussia Dortmund im Grünwalder Stadion - 1860 gewann 1:0.

(Foto: dpa)

Zwei große Ultra-Gruppen des TSV 1860 haben sich aufgelöst, von einer hatten Fans des FC Bayern die Zaunfahne gestohlen. Lothar Langer vom Fanprojekt München erklärt die innere Zerrissenheit der Löwen-Fans.

Interview von Markus Schäflein

SZ: Wenige Wochen nach der Cosa Nostra (CN) hat sich in den Giasinga Buam (GB) die zweite große Ultragruppierung des TSV 1860 München aufgelöst. Ist dafür die Zaunfahne, die von Anhängern des Lokalrivalen FC Bayern entwendet wurde, der einzige Grund?

Lothar Langer: Die Auflösung, nachdem die Fahne geklaut wurde, ist ein Zwang in der Szene seit 20, 30 Jahren, ein selbstverständlicher Usus. Wenn die Fahne abhandenkommt, ist die Fangruppe entehrt, das ist die größte Schmach. Wie bei den Pfadfindern, wenn der Wimpel weg ist. Bloß, dass die sich dann nicht gleich auflösen.

Wie wird sich ohne die CN und die GB die Stimmung bei den 1860-Spielen in der Arena entwickeln?

Es wird sicherlich eine Zeit lang dauern, bis etwas Neues entsteht. Letztlich hatte die Ultrabewegung über Jahre das Stimmungsmonopol, und das zu Recht. Es fehlen künftig auch die Vorsänger. Ob dann jemand von einer kleineren Gruppierung kommt und den Vorsänger macht, und ob der dann akzeptiert wird, das muss sich alles zeigen.

Wer wen akzeptiert, war zuletzt ja schon ein großes Thema. Die GB auf der einen Seite und die ehemalige CN mit der Gruppierung Blue Blood Fanatics sollen um die Vorherrschaft in der Kurve gestritten haben, was beim Testspiel gegen Dortmund auch zu erkennen war. Hat diese Lage auch eine Rolle gespielt?

Für die Auflösung sicherlich nicht. Solche Dinge gab es in der Geschichte des TSV 1860 München immer: Die Fanszene geht sich untereinander an, statt sich um ihr Zusammenwirken zu kümmern und ihre Interessen zu vertreten. Das ist bei Sechzig elementar und fast einmalig in ganz Deutschland. Dabei geht es meistens um Nichtigkeiten und Vormachtstellungen.

Werden die bisherigen Mitglieder von CN und GB weiterhin bei den Zweitliga-Spielen der Sechziger erscheinen?

Ein gewisser Teil nicht, ein gewisser Teil sicher auch ganz bewusst nicht. Aber in der Mehrheit schon, dafür haben sie ihr Leben zu sehr dem Thema 1860 gewidmet. Man muss mal ein, zwei Heim- und Auswärtsspiele abwarten, dann kann man das besser einschätzen.

Die GB haben auf ihrer Homepage geschrieben: "Dem Engagement Hasan Ismaiks stehen wir kritisch und ablehnend gegenüber, da wir Investoreneinstiege jedweder Art als verderblich und gefährlich für den Volkssport Fußball ansehen." Auch bei der CN soll eine zunehmende Genervtheit darüber geherrscht haben, dass sich der Verein verkauft hat und immer weniger in der KGaA selbst bestimmt. Welche Rolle spielt das Konstrukt um Ismaik beim Rückzug der Ultras?

Eine wichtige. Es hat tatsächlich für eine große innere Zerrissenheit gesorgt. Sportlich möchte man natürlich nicht in die Bayernliga. Aber die Leute, die zu Recht auf die kritischen Punkte hinweisen, können den Investoreneinstieg nicht mit ihrem Verständnis vereinbaren, wie sie Fußball kennengelernt haben. Da kommt es darauf an, wie informiert eine Fanszene allgemein ist. Und der Wille, sich damit auseinanderzusetzen, ist bei Sechzig insgesamt - abgesehen von manchen Ultras - sehr gering. Würde man sich intern verständigen, Informationen austauschen, könnte man planvoller mit dem Thema Investor umgehen. Seit 25 Jahren wäre eine Einigung der Fan-Szene notwendig, aber es gibt immer dieses Lagerdenken.

"Sechzig ist auf Führerkult gepolt"

Mit der Fanorganisation Arge, die Ismaik stützt, als einem großen Lager. Ismaik hat sie in einem Landgasthof in Rudelzhausen besucht und von sich überzeugt. Die Ultras hat er auch getroffen, aber separat. Spaltet er die Fans?

Ja, genau. Er macht das vielleicht nicht so bewusst. Aber die Fans bei Sechzig tappen traditionell immer in diese Fallen. Sie müssten sagen: Nein, wir gehen da gemeinsam hin - oder gar nicht. Bei Wildmoser war es schon so. Jeder, der möchte, kann die Anhänger in diesem Verein für sich benutzen. Mich wundert es selbst, dass die Fangemeinde immer wieder darauf reinfällt. Sechzig ist offenkundig auf Führerkult gepolt. Sie brauchen immer eine Person, die alles regelt, und das ist auch der Grund, warum in diesem Verein so vieles schiefgeht.

Was wurde denn beim Treffen Ismaiks im Hotel Mandarin Oriental mit den Ultras geredet? Wenn man Ismaik kennt und die Räumlichkeiten des Hotels, stellt man sich die Audienz ja recht bizarr vor.

Ich war eingeladen, aber ich war nicht dabei. Ich habe es abgelehnt, das hat mich nicht interessiert. Es geht doch immer nur darum, irgendwelche Leute auf irgendeine Seite zu bringen. Ich kann mir jedenfalls nicht vorstellen, dass es dort um Choreografien und Pyrotechnik oder sonstige Ultrathemen gegangen ist.

Manche befürchten, dass nach dem Rückzug von CN und GB nun wieder Rechtsradikale versuchen könnten, ihren Einfluss in der Kurve auszubauen.

Diese Personen sind bekannt, und auch durch ihr unglaublich verstärktes politisches Agieren werden sie gemieden. Wenn man bei Facebook mit denen befreundet ist, hat man ja gleich den Verfassungsschutz am Hals. Einfluss werden sie nicht bekommen, die Leute sind sensibilisiert, Gott sei Dank. Das hat sich über Fangruppengrenzen hinweg durchgesetzt, und das ist den Löwenfans gegen Rechts zu verdanken - und den Giasinga Buam. Sie sind ein echter Verlust, es ist wirklich sehr schade.

Viele befürchten, dass ihre Fahne beim Regionalliga-Derby zu sehen sein wird - im Bayern-Fanblock, als Provokation.

Klar kann man da triumphieren, das ist natürlich immer ein Stich ins Herz. Aber vielleicht kommt das auch nicht beim Derby, sondern irgendwann mal zu einem ganz unerwarteten Zeitpunkt. Das Polizeiaufgebot beim Derby kann man jedenfalls nicht mehr erhöhen - was soll denn da noch mehr werden? Ich hoffe sowieso, dass die Entwicklung weiter geht, dass dieses Derby nicht mehr so zahlreich besucht wird. Es ist ein reines Event.

TSV 1860 München: Lothar Langer arbeitet seit mehr als 20 Jahren im Fanprojekt München. Er ist für die Betreuung der Anhänger des TSV 1860 zuständig und stammt auch aus der Fanszene der Löwen.

Lothar Langer arbeitet seit mehr als 20 Jahren im Fanprojekt München. Er ist für die Betreuung der Anhänger des TSV 1860 zuständig und stammt auch aus der Fanszene der Löwen.

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