Zermatt in der Schweiz:Ganz schön extravagant

Zermatt hat mit dem Matterhorn die schönste Kulisse für Skifahrer. Dennoch erfindet der Ort immer neue Winter-Spezialitäten - Porträt eines Unruhe-Dorfes.

Viola Schenz

Meter um Meter frisst sich das Monster den Abgrund entlang. "Die Ränder sind besonders wichtig", sagt Cornelius ("Corni") Brantschen, "ohne sie würde der Schnee noch mehr abgetragen." Behutsam drückt er den Steuerknüppel zur Seite, das linke Ohr des Planierschilds bewegt sich nach rechts. Stolz ist der 41-Jährige auf sein knallrot lackiertes Gefährt: Neun Tonnen, 427 PS, eine halbe Million Schweizer Franken schieben den Schnee, den hunderte Skifahrer täglich nach unten pflügen, wieder bergauf. Corni und seine Raupe tanzen täglich zwischen 15 Uhr bis nach Mitternacht Pistenwalzer: zehn mal rauf, zehn mal runter.

Anderthalb Stunden benötigt er für die Hänge auf der Riffelalp, so lange wie die Gäste im Riffelalp Resort für ihr 5-Gänge-Menü. Bei geschäumter Karottencremesuppe, gebratenem Welsfilet mit Süßkartoffelpürre, in Alpenheu gegarter Kalbskrone und Kräuterschaum oder Tarte Tatin mit Trüffeleis können sie ihm durch hohe Restaurantfenster zuschauen - oder sich gleich zu ihm ins Führerhaus setzen.

Eigentlich bietet Zermatt bereits ausreichend Winter-Extravaganzen. Man kann hier so ziemlich alles treiben, was mit Wintersport zu tun oder auch nicht zu tun hat: Gletscher runterwedeln, sich per Helikopter aufs Monte Rosa-Massiv fliegen lassen, Schneeschuhwandern, Snowboarden im Funpark, gefrorene Wasserfälle raufklettern oder zur Skisafari aufbrechen. Nur die Pistenraupenfahrt fehlte bisher.

Zermatt, vielgerühmter Tausendsassa. Eben erst gab es wieder eine Auszeichnung. Ein Basler Forschungsinstitut hat es unter 80 alpinen Ferienorten zum zweiterfolgreichsten gekürt - nach dem Kleinwalsertal (Vorarlberg).

Zermatt, so die Studie, profitiere von "seiner weltweiten Bekanntheit, Exklusivität und einzigartigen Landschaft". Aber Ruhm kann zu Kopf steigen oder auch lästig werden. Was einen auszeichnet, muss man ständig weitervermarkten, gleichzeitig darf es sich nicht abnutzen.

Für die St. Moritze und Zermatts dieses Planeten heißt das: Gerade weil man so bekannt ist, kann man sich nicht immer wieder neu erfinden - stattdessen muss man immer wieder was dazuerfinden.

Zermatts Ur-Attraktionen lauten: viel Matterhorn, keine Abgase, hübsche Häuser.

Seit 1961 ist es autofrei, nur surrende, batteriebetriebene Minigefährte und Pferdefuhrwerke bahnen sich ihren Weg durch das Touristengedränge auf den engen Straßen der 5600-Einwohner-Gemeinde. Weil hier nie Platz gemacht werden musste für breite Straßen, wurden im Gegensatz zu anderen alpinen Gemeinden auch kaum alte Häuser abgerissen und durch Betonklötze und Zweckbauten ersetzt.

Und dem Anblick des Matterhorns, des Schweizer Paradebergs, der 4478 Meter über all dem thront, müssen sich sogar die anderen Superlative der lokalen Bergwelt unterordnen: Die 38 Viertausender, die sich sich rund um Zermatt türmen, darunter die Dufourspitze, der höchste Gipfel der Schweiz (4634 Meter); der höchste Aussichtspunkt der Alpen (Klein Matterhorn, 3883 Meter), erreichbar mit Europas höchster Luftseilbahn, die größte Pistenraupenflotte der Alpen oder das Kulmhotel Gornergrat, das zweithöchste Hotel der Alpen auf 3100 Metern, knapp 100 Jahre alt und kürzlich für 8,5 Millionen Franken saniert.

Und da die Stammgäste - von denen gibt es hier reichlich - aber nicht jedes Jahr daheim wieder von "viel Matterhorn, keine Abgase, hübsche Häuser" erzählen wollen, muss jedes Jahr etwas Neues, Exklusives dazukommen. Im Iglu übernachten, zur Ski-Safari aufbrechen, Pistenraupe fahren - viele Winterideen sollen hier ihren Ursprung haben.

All das hat seinen Preis, aber finanzkräftig waren Zermatt-Besucher immer. Das zeigt schon die Reklame. Hier säumt weder Schokoriegel- noch Limonaden-Werbung die Pisten. Nein, an den Pfosten der Sessellifte suchen Anlagefonds und Versicherungen neue Kunden, oben an der Bergstation blicken einem Pierce Brosnan und Cindy Crawford mit ihren 25.000 Euro-Uhren von großen Billboards entgegen.

Zum Mondänen gesellt sich seit ein paar Jahren das Exotische.

Ganz schön extravagant

Wohl kaum ein anderer Wintersportort ist so international geprägt. Speisekarten sind mindestens dreisprachig, die Lautsprecher der Gornergratbahn begrüßen auf Deutsch, Französisch, Italienisch, Englisch, Japanisch; die Souvenirläden stellen im Sommer, wenn die Japaner einfallen, japanisch sprechende Verkäuferinnen ein; das örtliche Sushi-Restaurant hat ganzjährig geöffnet.

Jede Nation hat ihre Ansprüche, ihre Eigenheit - und ihre Jahreszeit: Die Japaner wie gesagt bevorzugen den Sommer, ebenso die Inder, die hier sogar im Juli bibbern. Thailänder kommen gerne im Mai, wenn eigentlich gar keine Saison ist und sich der Ort hämmernd und sägend auf den Sommer vorbereitet. "Die Thais sind lärmresistent", erklärt Roland Imboden, Direktor von Zermatt Tourismus, "die sind einfach nur glücklich, am Matterhorn zu sein."

Und die vielen anderen, die Engländer, Franzosen, Italiener, Amerikaner, die Russen, Holländer, Schweden, Schweizer und Deutschen, sie kommen sommers wie winters. Man teilt Erfahrungen, man gibt Nachhilfe in Sachen internationaler Ski-Jetset.

"Aspen ist out", meint der Software-Unternehmer aus Sydney in der Bio-Sauna des Riffelalp Resort. Zwischen zwei Geschäftsterminen in Saigon und Las Vegas legt er fünf Tage Erholung unterm Matterhorn ein. "Zermatt läuft gut, Japan ist stark im Kommen. Der Pulverschnee dort - unvergleichlich!"

Man trifft in der Gondel auf Senioren, die "Miami Ski Club" auf ihren Anoraks stehen haben. Bisher dachte man, dass Miamianer nur Wasserski fahren. Nix da, 476 Mitglieder hat der Club, erzählt der Mann mit dem "John"-Namensschild stolz, fast jedes Jahr werde eine Reise nach Zermatt organisiert.

Man macht skurrile Bekanntschaften, nimmt im Sessellift Platz neben einem sonnengegerbtem Michael Glueck von der Walfänger-Insel Nantucket, der gerade seinen 63. Pistentag in Folge erlebt, weil er fünf Monate im Jahr in Zermatt verbringt, wo er für den amerikanischen Markt Bücher verfasst wie "Mein Leben unter Schweizern".

Aber wie wohlhabend, bedeutend, eingebildet, großzügig, schräg, erfolgreich die Gäste auch sein mögen - der Kulisse über ihnen erliegen sie alle. Das Matterhorn ist ein großer Gleichmacher, keiner ist cool genug, sich seiner Faszination zu entziehen.

Ein "Großartig!", "Awesome!", "Magnifique!", "Bellissimo!" hängt ständig in der Luft. Die erhabene Eleganz dieses Bergs prägt das Getümmel zu seinen Füßen. Irgendwie geht es hier zivilisierter zu als in anderen Wintersportorten: Von den Bergrestaurants plärrt einem keine Techno-Musik entgegen, an den Talstationen stehen Taschentuch-Boxen gegen laufende Nasen bereit, wildfremde Menschen helfen sich gegenseitig in Gondeln, am Ende einer Sesselliftfahrt tauscht man schon mal höflich Visitenkarten aus.

Die Anziehungskraft des Matterhorns, und mit ihm die nie versiegenden Touristenströme und Geldquellen - all das scheint die Zermatter kühner, manchmal auch leichtsinniger zu machen.

Ganz schön extravagant

Das Millionen Franken schwere, ebenso luxuriöse wie außergewöhnliche Bauprojekt "Into the Hotel" des Künstlers Heinz Julen, hoch oben auf einem Felsen über Zermatt, musste 2000, nur sieben Wochen nach seiner glamourösen Eröffnung, wegen Baumängeln wieder geschlossen werden.

Zurzeit entwirft Julen wieder, diesmal auf dem Gipfel des Klein Matterhorn, also auf knapp 3900 Metern. Darauf soll ein 230 Meter hoher Hotelturm entstehen mit eigener Sauerstoffversorgung, gläserner Aussichtsplattform und Schwimmbad - schon beim Lesen der Pläne wird einem schwindelig.

Ob sich seine Phantastereien diesmal realisieren lassen, oder ob wieder Statikprobleme diesem erneuten Turmbau zu Zermatt dazwischen kommen, wird sich also bald erweisen.

In solchen Momenten beruhigt es, dass es auch Zermatter wie Cornelius Brantschen gibt, die jeden Abend daran erinnern, dass es im Skiurlaub vor allem auf eines ankommt: auf gut präparierte Pisten.

Informationen: Zermatt Tourismus: Tel. 0041-27-966 81 00, Fax 0041-27-9668101, zermatt@wallis.ch

Anreise: Wenn man nicht gerade aus Freiburg oder Tübingen anreist, ist man mindestens einen Tag lang unterwegs, egal ob mit Auto oder der Bahn. Jede Anreise schlängelt sich am Ende durch das 30 Kilometer lange und Bausünden-verunstaltete Mattertal. In Täsch, der letzten Station vor Zermatt ist für Autos die Fahrt zu Ende, ab hier müssen sie zu den anderen in den Zug steigen und die letzten fünf Kilometer auf Gleisen zurücklegen. Es gibt 2000 gedeckte Parkplätze im Matterhorn Terminal Täsch. Parkgebühr: 13,50 Franken pro Tag.

Hotel-Tipps:

Riffelalp Resort: Luxus-Wohnen am Riffelberg auf 2222 Metern mit Blick aufs Matterhorn, nur mit der Gornergratbahn zu erreichen und dann fünf Minuten zu Fuß durch den Wald. Höchstgelegener, beheizter Außenpool Europas, neben dem Innenpool knistert ein Kaminfeuer. Saunalandschaft, u.a. mit Steinschwitzbad und Sprudelgrotte. Mehrere Restaurants, Kino, Zimmer mit DVD-Spieler und Dolby-Surround-System. reservation@riffelalp.com, Tel. +41 27 966 05 55, Fax: +41 27 966 05 50, Öffnungszeiten: Mitte Dezember bis Mitte April und Ende Juni bis Ende September

Style Hotel: Die Philosophie des Hauses: Ganzheitlichkeit. Man ist biologisch, ökologisch, kinder-, erwachsenen-, geschäftsmann- und behinderten-freundlich. Die Philosophie zieht sich durch Zimmer, Küche, Konferenz und Wellness: Duschen und Badewannen befinden sich direkt im Raum (Holzfussboden). Nur biologisch zertifizierte Produkte werden verwendet, von Lebens- über Putz- bis Waschmittel. Balkone mit Solaranlagen.

Skifahren: Vor sechs Jahren fusionierten die Zermatter Bergbahnen zum größten Schweizer Bergbahnunternehmen. Das Skigebiet reicht bis nach Italien, Zermatt bietet 313 Kilometer Pisten für jedes Niveau. Diese Weitläufigkeit hat aber auch ihren Nachteil: Die Querverbindungen zwischen Rothorn, Gornergrat/Riffelberg und Klein Matterhorn sind - naturgegeben - dürftig. Um die Zeit bestmöglich zu nutzen, langes Anstehen an den Gondeln und zeitraubende Gondelfahrten mit anschließenden Fußmärschen zu vermeiden, sollte man sich pro Tag auf ein Massiv beschränken.

Pisten: 15 Kilometer Buckelpiste (Stockhorn), fünf Anfängerparks (Trockener Steg, Schwarzsee paradise, Riffelberg, Sunnegga paradise, Blauherd), Carving, also breit und flach (Furggsattel, Tufteren), Pisten durch stille Wälder (Schwarzsee paradise-Stafelalp-Furi, Kumme), Fun Park mit Half Pipe, Jumps, Kickers und Rails (Gravity Park im Matterhorn Glacier Paradise),

Gletscherabfahrten: Zwei Gletscher (Gorner- und Findelgletscher) bieten mehrere Abfahrten. Startpunkte auch ohne Felle erreichbar, circa zwei Stunden ab Bergstation, Bergführer empfohlen.

Heliskiing im Tiefschnee des Monte Rosa-Massivs. Die Air Zermatt ermöglicht Heliskiing und -rundflüge.

Skitouren: Von Ende Februar bis Ende Mai kann man auf Skiern die Viertausender rund um Zermatt erklimmen, allein oder mit Bergführer. Tipp: Vom Stockhorn auf den Cima di Jazzi - 3,5 Stunden Aufstieg werden mit Aussicht auf die Po-Ebene belohnt. Runter geht es über den Findelgletscher. Hochalpine Ausrüstung erforderlich.

Matterhorn Ski Safari: Die Matterhorn Ski Safari der Zermatt Bergbahnen umfasst 15 Abfahrten. Eine ehrgeizige Tour für gut Konditionierte.

Schneeschuhwandern: In Zermatt gibt es fünf markierte Routen von leicht bis mittelschwer. Eisklettern: Ideales Anfängergelände in der Findelbachschlucht: ein breiter Wasserfall, nicht so steil, 45 Meter hoch. Eisfall für Profis: Schweigmatten-Wasserfall, senkrechte Wand, nur für Fortgeschrittene.

Schlittenfahren: Schlittenbahn Rotenboden-Riffelberg (rund 10 Minuten Fahrzeit; günstige Schlittentageskarte, Schlitten-Vermietung an der Station Rotenboden); Schlittenplausch: Spezialabfahrt für Schlittenbegeisterte von Furi nach Zermatt jeden Dienstag und Donnerstag ab 19 Uhr 30.

Winterwandern: Wie überleben eigentlich Schneehasen und Gemsen den Winter? Zermatt bietet für Winterwanderer spezielle Themenwege und insgesamt 45 Kilometer präparierte Strecken.

Pistenraupe: Anmeldung bei Zermatt Bergbahnen, Tel: 027 966 01 01

Eine Nacht im Iglu: Ein Iglu-Dorf lädt zur Nacht im Schnee auf Rotenboden, in Zweier-Suiten oder Gruppen-Iglus für sechs Personen. Familien: Samstags fahren diesen Winter Kinder bis 16 Jahre gratis auf allen Zermatter Bergbahnen und Liften. An allen anderen Tagen bis neun Jahre gratis, bis 16 Jahre zum halben Preis. Die Skischulen bieten Ganztagesbetreuung mit Kinderpark und einen (Indoor-)Kindergarten.

Neues Matterhorn Museum: Erzählt wird die Geschichte des Matterhorns - von seinem afrikanischen Ursprung über das Drama der Erstbesteigung bis zur heutigen Zeit. Erzählt wird aber auch die Geschichte von Zermatt, dem kleinen Bauerndorf, das zum Weltort wurde.

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