Urteil:Rechtzeitig am Airport, Flieger versäumt

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Warten auf den Urlaub: Reisende während der Ferienzeit am Münchner Flughafen (Foto: Alessandra Schellnegger)

Eine Familie klagt gegen den Münchner Flughafen, weil sie wegen der Schlange beim Sicherheits-Check ihren Flug verpasst - und erhält recht. Experten sagen, mit dem Urteil habe das Gericht juristisches Neuland betreten.

Von Monika Maier-Albang, München

Es gibt Menschen, die schlafen die ganze Nacht schlecht, wenn am nächsten Tag ein Flug ansteht. Klingelt der Wecker rechtzeitig, springt das Auto an, fährt die S-Bahn auch? Ist man dann zeitig am Flughafen, hat eingecheckt und sein Gepäck aufgegeben, sollte eigentlich die Entspannung einsetzen. Wäre da nicht: die Schlange vor dem Sicherheitscheck.

Es kommt immer wieder vor, dass Reisende ohne eigenes Verschulden ihren Flug verpassen, obwohl sie rechtzeitig da sind. Rechtzeitig, das bedeutet nach Einschätzung von Reiserechts-Experten: eine Stunde bei innerdeutschen Flügen, eineinhalb Stunden, wenn der Flug ins europäische Ausland geht, zwei Stunden bei Langstreckenflügen. Und wer mit El Al nach Israel fliegt, sollte noch ein bisschen mehr Puffer einplanen.

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Fluggäste, die dann verärgert vor einem bereits geschlossenen Boarding-Schalter standen und ihr Geld zurückhaben wollten, hatten bislang oft keinen Erfolg. "Die Schadenersatzforderungen gegen die Fluglinien verlaufen oft im Sand", sagt Ernst Führich, Professor für Reiserecht in Kempten. Die Airlines erklären sich für nicht zuständig - oder man erreicht bei einer ausländischen Airline überhaupt niemanden. Nun aber könnte sich das Blatt zugunsten der Kunden wenden.

Das Amtsgericht in Erding, das für den Münchner Franz-Josef-Strauß-Flughafen zuständig ist, hat - wie jetzt bekannt wurde - ein Urteil gesprochen, das Reiserechtsexperten aufhorchen lässt. In dem Fall, der vor dem Amtsgericht landete (Az.: 8 C 1143/16), wollte eine Familie aus Augsburg im Oktober 2016 in die Türkei fliegen. Der Flug sollte um 13.40 Uhr starten, das Einsteigen war für 13.05 Uhr vorgesehen.

Die Familie war auch zeitig am Flughafen. Sie hatte nachweislich um 12.22 Uhr eingecheckt, also knapp eineinhalb Stunden vor Abflug. Doch weil der Andrang beim Sicherheitscheck an diesem Tag so groß war, verpassten die Augsburger dennoch ihren Flug. Der Familienvater klagte gegen den Flughafen, der den Augsburgern nun 80 Prozent des Mehraufwandes erstatten muss. Die Rechtsprechung habe hier "Neuland betreten", so Führich.

Der Flughafen muss eine effektive Organisation sicherstellen, so das Gericht

Die Klage ist juristisch durchaus knifflig: Nach gängiger Rechtsprechung hat der Passagier keine Handhabe, gegen den Flughafen selbst zu klagen bei Versäumnissen, auch wenn man diese mit dem gesunden Menschenverstand dem Flughafen anlasten würde. Etwa, wenn die Enteisungsanlage nicht funktioniert und der Flieger deshalb nicht starten kann. Oder eben, wenn der Sicherheitscheck zu lange dauert. Der Grund ist, dass der Kunde bei der Buchung des Fluges zwar einen Vertrag mit einer Fluglinie abschließt, nicht aber mit dem Betreiber des Flughafens. Die gängige Rechtsprechung sah daher bislang so aus, dass Passagiere versuchen konnten, Geld von der Fluglinie zu fordern. Die Airlines aber, sagt Führich, hätten sich oft weggeduckt oder die Kläger hätten vor Gericht aus formalen Gründen nicht recht bekommen, weil "zwischen Passagier und Flughafen keine Rechtsbeziehung besteht".

Das Erdinger Gericht argumentiert anders. Der Vertrag zwischen Fluglinie und Flughafen, erklärt Stefan Priller, Sprecher des Amtsgerichts, entfalte "eine Schutzwirkung zugunsten Dritter" - also zugunsten der Passagiere. Der Flughafen sei verpflichtet, "eine effektive Organisation und Abwicklung" des Abflugs sicherzustellen - und das betreffe eben auch den Sicherheits-check. Falls nötig, müsse man zu Stoßzeiten eben mehr Personal vorhalten und mehr Schleusen öffnen, so Priller.

Für den Münchner Flughafen spricht Ingo Anspach von einem "Fehlurteil". Das Urteil sieht man dort als Einzelfallentscheidung, geschuldet dem Umstand, dass ein Flughafen-Mitarbeiter der Augsburger Familie geraten habe, sich woanders anzustellen - angesichts der langen Schlange. Die Familie folgte zwar dem Rat, kam aber trotzdem zu spät. Das Urteil ist bereits rechtskräftig. In Berufung habe man aufgrund des geringen Streitwerts - der Mehraufwand für Anreise und Umbuchung betrug gut 600 Euro - nicht gehen können. "Leider", sagt Anspach. Das Gericht gab übrigens auch den Reisenden eine Mitschuld an ihrem Malheur. Sie hätten in der Warteschlange an den anderen Wartenden vorbei nach vorne gehen und auf sich aufmerksam machen müssen. Aber wer tut das schon gern?

© SZ vom 09.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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