Trekking in Nepal:Abseits von Mount Everest und Annapurna

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Viele Touristen sehen nur den Mount Everest, von den entlegeneren Winkeln im Himalaya kriegen sie nichts mit. (Foto: AFP)

Von den Touristen profitieren in Nepal bislang nur wenige Einheimische. Mit einem neuen Netz aus Wanderwegen soll sich das ändern. Nur die Dörfer sind noch nicht soweit.

Von Moritz Baumstieger

Der Name des Berges ist nur Einheimischen bekannt, wenn er überhaupt einen hat. "This is hill only", das sei nur ein Hügel, sagt Sarki Gurung, der Sherpa. Einer von Tausenden hier in der Umgebung, völlig uninteressant. Dann deutet er mit seinem Stock zum Horizont, auf die Siebentausender der Langtang-Gruppe. Weiter links, zum Teil verdeckt, der Manaslu, 8163 Meter hoch. "This mountain. Real mountain."

Mag ja sein. Beeindruckend ist der Hügel gegenüber trotzdem. Generationen haben seine Hänge bearbeitet, die Sonne lässt das Stroh auf den Terrassen goldgelb schimmern. Eine 1200 Meter hohe Freitreppe, auf den Absätzen ein paar Weiler verteilt. Ihre Bewohner und deren Vorfahren haben den Berg modelliert, ihm Anbauflächen abgerungen, jeweils nur ein paar Meter breit. Wie viele Terrassen es wohl sein mögen? 250? 300? Über 500? Unmöglich zu zählen. Sarki, der ein paar Jahre Gastarbeiter in Saudi-Arabien war, lässt schon wieder sein "yallah, yallah!" hören.

Wir folgen, gehen weiter, überholen Hirten mit Ziegenherden, weichen Großmüttern in leuchtenden Gewändern aus, die unter der Last ihrer Holz-Bündel und der schweren Nasenringe gebückt gehen. "Pistare, pistare", ruft Sarki. Das ist Nepalesisch, heißt "langsam, langsam", und widerspricht seiner eben noch auf Arabisch gegebenen Anweisung nicht: Weitergehen, immer weitergehen, aber nicht zu schnell. Der Tag ist noch lang, der Talschluss, an dem wir den Fluss überqueren werden, weit weg. Und danach geht es noch hinauf ins Dorf Laprak. Es kann gut sein, dass wir es erst in der Dunkelheit erreichen. Also besser die Kräfte einteilen.

Dass ein namenloser, mit Terrassen überzogener Berg weit gereiste Europäer faszinieren kann, ist eine gute Nachricht. Für Robin Boustead, den britischen Pionier mit den schlohweißen Haaren, der sein Vermögen auf einer Trekkingtour durchgebracht hat. Für Stichting Nederlandse Vrijwilligers (SNV), eine niederländische Entwicklungshilfeorganisation, die sich ins Tourismusmarketing vorgewagt hat. Für Reiseveranstalter, die nach neuen Zielen suchen, weil ihrem Stammpublikum die bestehenden Trekking-Routen zu ausgetreten sind. Und nicht zuletzt auch für die Bewohner von Dörfern wie Laprak, unserem heutigen Tagesziel.

Die Motive sind unterschiedlich, das Interesse ist dasselbe: Touristen in die Gegenden Nepals locken, die bisher kaum von den Devisen der Ausländer profitiert haben - also praktisch fast überall hin. 95 Prozent der fast 200.000 Touristen, die in Nepal jedes Jahr ihre Bergstiefel schnüren, trekken zum Mount-Everest-Basecamp oder umrunden die Bergstöcke des Annapurna oder des Langtangs. Einige Bewohner dieser Gebiete wurden mit Lodges und Teehäusern reich.

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Ein Tal weiter sieht es jedoch meist anders aus: wenig Infrastruktur, wenig Arbeit, wenig Einkommen. Für die Jugend also wenig Gründe zu bleiben. Tausende machen sich deshalb auf in die Städte - oder, wie Sarki, in die Golfstaaten.

Weiter Weg durchs Gebirge: Allein in Nepal ist der Great Himalayan Trail 1700 Kilometer lang. (Foto: AFP)

Der Weg, die Gäste aus dem Westen in die Provinz zu locken, wird ein weiter sein: 1700 Kilometer lang ist er alleine in Nepal, weitere 2800 Kilometer führen durch die Nachbarländer. Great Himalaya Trail (GHT) heißt das Projekt, das Robin Boustead ersonnen hat, ein Netz von Wegen und Routen, einige bergsteigerisch interessant, andere eher mit kulturellem Schwerpunkt. "Natürlich bei einem Bier, in einer Bar hier in Kathmandu", war die Idee aufgekommen, den Himalaja einmal von Ost nach West zu durchqueren. Das war damals vor elf Jahren zum ersten Mal seit langem möglich, weil die nepalesische Regierung einige Gebiete wieder geöffnet hatte, die wegen des maoistischen Aufstandes für Ausländer gesperrt gewesen waren.

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Boustead, heute 44, verkaufte das Reiseunternehmen, das er in seiner Zweitheimat Australien aufgebaut hatte, und zog los. Er dokumentierte die alten Wege, die seit jeher die Dörfer verbinden, korrigierte die oft falschen GPS- und Höhenangaben auf den offiziellen Karten. Der Trip dauerte zehn Jahre, ruinierte seinen Kontostand und seine Ehe. Jetzt verlegt Boustead Landkarten für den GHT und versucht so, sich ein wenig von seiner Investition zurückzuholen. "Die meisten Touristen haben eine tolle Zeit in den Bergen", sagt er, "aber im Prinzip sehen sie nichts von Nepal."

Tatsächlich fühlen wir uns ein wenig wie Pioniere, als wir unseren Trek von der Langtang- in die Gorkha-Region beginnen. Keine Wegweiser, keine Straßen, keine Lodges, kein Handyempfang. Keine anderen Touristen, kein Englisch. Stattdessen: unheimliche Wälder wie aus Fantasy-Romanen, Rhododendren, überragt von mächtigen Tannen, "400 years old", sagt Sarki. Sie sind mit Flechten behangen, Nebel wabert, totale Kontemplation.

Weiter oben: Blicke ins ewige Eis, verlassene Almen, auf denen Yaks ihre Hörner aneinander reiben. Hänge voller Edelweiß, Einsamkeit. Und nach einem Pass mit obligatorischen Gebetsfähnchen plötzlich auch wieder Menschen, Eselskarawanen, Dörfer. Die Bachläufe sind mit Schiefersteinen eingefasst, versorgen die Terrassen, auf denen Raps und Hirse wachsen. Gegen eine kleine Spende dürfen wir auf dem Hof zwischen den Baracken schlafen, in denen die Klassenzimmer der Dorfschule untergebracht sind. Obwohl wir nur Kameras, Müsliriegel und Wechselkleidung tragen und keine 30 Kilo wie unsere Träger, ist die Mannschaft lange vor uns angekommen. Hat das Essenszelt, die Zelte zum Schlafen und die Küche aufgebaut. Der Koch beugt sich schon wieder über die Currys und Dal Bath, Reis mit Linsen, das nepalesische Nationalgericht.

Denn auch, wenn wir uns in touristisch erst rudimentär erschlossenen Gebieten bewegen: Mit Entbehrungen hat unser Trip nur wenig zu tun. 16 Träger, Köche und Sherpas umsorgen uns so sehr, dass es manchmal fast peinlich ist. Morgens um sechs bringen sie einen ersten Tee ans Zelt, um den Start aus dem Schlafsack in den bitterkalten Morgen zu erleichtern. Zum Frühstück gibt es Obst und Omeletts, beim Mittagessen schaufelt Sarki ständig noch etwas aus einem der vielen Töpfe auf den Teller.

Reis, Gemüse und Fleisch hat die Mannschaft schon in Kathmandu besorgt. Genau wie die kleinen Fläschchen Rum, die nach dem Abendessen auf den Tisch kommen, aber auch nicht verhindern können, dass sich wegen Kälte und Müdigkeit alle meist schon früh in ihre Zelte verziehen. Die Zukäufe der Crew unterwegs sind spärlich, und auch wir Touristen sorgen nur ab und zu für Umsatz. Eine Cola hier, ein Haargummi dort. Der Profit vor Ort durch den neuen Trail ist bisher überschaubar.

Trotzdem verstehen wir mit jeder Etappe besser, warum die Hoffnung auf dem Tourismus liegt: Mit Landwirtschaft lässt sich hier nichts verdienen, was wächst, brauchen die Menschen selbst zum Überleben. Der Aufbau von Industrie ist ohne Straßennetz utopisch. Die Unberührtheit ihrer abgeschiedenen Dörfer ist das einzige Kapital, das die Bewohner haben. Nur verhält es sich dabei wie mit allen Ressourcen: Sobald man sie ausbeutet, werden sie weniger. Wäre es für diese scheinbar heile Welt nicht besser, wenn man sie in Ruhe ließe? Dieser Gedanke kommt immer wieder. Er verfliegt aber, wenn eine Mutter um Tabletten für ihr Kind bittet. Es hat Mittelohrentzündung, schreit, der Eiter rinnt aus dem Ohr. Wo die Schattenseiten der Zivilisation drei Tagesmärsche entfernt sind, sind auch deren Segnungen unerreichbar - Krankenhäuser, Ärzte, Medikamente.

Einige Gemeinden, die Robin Boustead während seines Trips besucht hat, haben sich trotzdem gegen den Tourismus entschieden, um ihren Charakter zu bewahren. Boustead ließ sie bei seinen Routenvorschlägen außen vor. In anderen Gemeinden tagen nun Ausschüsse und diskutieren bisher eher theoretisch, was man den Gästen bieten könnte. Der Tourismusverband des Distrikts Gorkha bietet mit Unterstützung der Entwicklungshilfeorganisation SNV Schulungen an, am gefragtesten sind Kochkurse, in denen Teehaus- und Lodge-Wirte in spe lernen, was die Mägen der Westler vertragen und worauf sie bei einer Unterkunft Wert legen.

Dil Kumari Ghale hat das schon gelernt. Mit demonstrativem Stolz trägt sie eine Rolle Klopapier zum Toilettenhäuschen im Hof. Dil Kumari Ghale ist Mitglied einer Fraueninitiative, die sich im Ort Barpak gebildet hat. Seven Sisters heißen sie, auch wenn sie längst mehr als sieben und eigentlich keine Schwestern sind. Sie bieten nun Homestays an, Fremdenzimmer mit etwas kurzen Betten, deren Bettwäsche nach Mottenkugeln riecht. In den knapp zehn Euro für die Übernachtung ist ein Abendessen in der Wohnküche inklusive.

Zunächst Lächeln und Sprachlosigkeit, dann übersetzt der nepalesische Reiseleiter. An der Feuerstelle sitzt die Großmutter, die ihre Dienste beim Suchen einer Ehefrau aus dem Dorf anbietet. Dass daheim in Deutschland jemand auf einen wartet, sei doch kein Problem. Dil Kumari Ghale ist ihre Mutter peinlich, mit rotem Kopf gibt sie dem Gast noch einen Löffel von dem Chutney aus Trockenfisch und Chilies. Dann meldet sich der Ehemann zu Wort, der bisher geschwiegen hat. "Großmutter", sagt er, "die kommen doch nicht wegen unseren Frauen. Sondern weil sie eine Pause von all dem brauchen, was wir gerne hätten: Straßen, Computer, Handys, Autos."

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Informationen

Anreise: Etihad Airways fliegt täglich nach Kathmandu mit Zwischenstopp in Abu Dhabi, hin und zurück ab 755 Euro, www.etihadairways.com

Reisearrangements: Hauser Exkursionen bietet Gruppentouren auf sechs Abschnitten des Great Himalaya Trail (GHT) an. Die erste Tour startet im September 2013; Kosten ab 2190 Euro für 24 Tage, www.hauser-exkursionen.de. Wer den GHT individuell erkunden will, kann sich ebenfalls an Hauser wenden.

Weitere Auskünfte: Auf Robin Bousteads Seite www.greathimalayatrail.com werden die einzelnen Wegabschnitte vorgestellt, der GHT-Pionier hilft auch www.thegreathimalayatrail.org

© SZ vom 21.03.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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