Skitour am Rand der Piste:Macht der Masse

Tourengeher am Jenner

Immer mehr Skigebiete versuchen, auch mit Tourengehern (im Bild in Berchtesgaden) Geld zu verdienen.

(Foto: dpa)

Auf den Pisten sind immer mehr Sportler auf Skitouren unterwegs. Einige Skigebiete wehren sich gegen die neue Klientel. Aber immer mehr geben ihren Widerstand auf - und profitieren stattdessen lieber von den Tourengehern.

Von Janek Schmidt

Das Schild stammt noch aus den warmen Tagen des Jahres. "Geschlossen" steht auf dem Zettel am Lifthäuschen der Kolbensattelbahn in Oberammergau, die für Wintergäste noch nicht geöffnet hat. Dennoch ziehen am Parkplatz schon mehrere Tourengeher ihre Skier aus dem Auto. Für sie hat die Saison bereits begonnen, und für einige von ihnen haben diese frühen Wintertage sogar einen besonderen Reiz.

"So schön ruhig wie zur Zeit hat man es hier im Skigebiet den ganzen Winter nicht", schwärmt Gerhard Gerblinger, "höchstens noch mal im April, wenn die Lifte wieder zugemacht haben." Der pensionierte Risikomanagement-Berater ist zusammen mit einem Freund von Schondorf am Ammersee nach Oberammergau gefahren, um auf der Piste die erste Skitour der Saison zu gehen.

Hier am Kolbensattel funktioniert das aus mehreren Gründen besonders gut: Die Abfahrten sind schon durchgängig zu befahren, auch weil bereits künstlich beschneit wird, obwohl der meiste Kunstschnee noch aufgeschüttet auf riesigen Haufen liegt. So bietet er weniger Angriffsfläche für die Sonne und schmilzt nicht so schnell.

Erst kurz vor Beginn des Liftbetriebs am 19. Dezember werden die Schneeberge dann über die restlichen Hänge verteilt. Zudem sind die Pisten sicher vor Lawinen. Und es gibt auch keine größeren Steine, die aus der dünnen Schneedecke hervorragen könnten.

Vor allem aber werden Tourengeher in Oberammergau nicht wie in manchen anderen Skigebieten vergrault, sondern willkommen geheißen.

"Wir sehen bei den Skigebieten eine zunehmende Zweiteilung, was die Einstellung zu Tourengehern betrifft", sagt Manfred Scheuermann, Tourenexperte beim Deutschen Alpenverein (DAV). Auf der einen Seite stehen jene Liftbetreiber, die sich weiter über Skibergsteiger ärgern, weil sie die mit viel Aufwand präparierten Pisten nutzen, ohne dafür zu zahlen.

Doch auf der anderen Seite finden sich immer mehr Seilbahn-Chefs mit den Tourengehern ab und suchen nach Wegen, um zumindest ein wenig von ihnen zu profitieren.

Ohnehin fällt es den Liftbetreibern zunehmend schwer, die Skibergsteiger fernzuhalten. Zum einen steigt deren Zahl rasant; zum anderen hat erst Ende November der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in letzter Instanz entschieden, dass Skigebiete ihre Pisten nicht unter Berufung auf das Naturschutzgesetz für Tourengeher sperren dürfen, wie es etwa die Zugspitzbahn im Garmischer Classic-Gebiet gemacht hatte.

Doch ist mit diesem Urteil der Streit nicht zu Ende. In manchen Gebieten spitzt er sich eher zu. Denn jetzt greifen einige Seilbahn-Chefs zum zweiten verfügbaren Mittel: dem Landesstraf- und Verordnungsgesetz, das es Gemeinden ermöglicht, exponierte Stellen bei Gefahr zu sperren. Gedacht ist das Gesetz etwa für eine Passstraße, wenn Lawinenabgänge drohen.

Die Gemeinde Schliersee nutzte es nun auf Anfrage der Seilbahnbetreiber, um die Pisten in den Skigebieten Stümpfling und Taubenstein für Tourengeher zum Aufstieg zu sperren - während der gesamten Wintersaison.

DAV-Experte Scheuermann hält das für rechtswidrig: "Sperrungen dürfen in diesem Rahmen nur vorübergehend verhängt werden, wenn eine konkrete Gefahr herrscht, die räumlich und zeitlich begrenzt ist." Die Gemeinde begründet ihre Position mit der Gefahr von Unfällen in ihrem teils engen Gebiet und erklärt, dass sie mit dem DAV neue Aufstiegsrouten erarbeitet habe, die abseits der Pisten liegen.

Pistenmaut in Österreich

Scheuermann zufolge ändern jedoch immer mehr Skigebiete ihre Einstellung gegenüber Tourengehern: Manche locken sie regelrecht an, wie etwa Oberammergau. Dort gibt es eine extra beschneite Aufstiegsspur.

Sie wird in diesen Tagen gerade mit roten Plastikzäunen von der restlichen Piste abgegrenzt. An der einen gefährlichen Stelle, an der diese Spur die Piste kreuzt, haben die Betreiber des Skigebiets einen 18 Meter langen Tunnel gegraben. Die Skibergsteiger können dank dieser 2,5 Meter hohen Blechröhre, deren Boden mit einem Teppich und mit Schnee bedeckt ist, unter der Piste hindurchgehen.

Dieses Werben um Tourengeher hat viele Gründe, wie der Geschäftsführer der Lifte am Kolbensattel, Klement Fend, erklärt. "Wenn wir die Gäste im Winter gut behandeln, kommen sie vielleicht auch mal im Sommer und nutzen unsere Rodelbahn." Zudem hat er erkannt, dass sich mit den Skibergsteigern Geld verdienen lässt.

Indirekte Aufstiegsgebühr

So müssen Autofahrer für den Parkplatz vor den Pisten drei Euro bezahlen - egal, ob sie die Lifte nutzen oder nicht. Pistengäste bekommen das Geld beim Kauf ihrer Liftkarte zurück, Tourengeher nicht. So zahlen diese indirekt eine Aufstiegsgebühr - und das ohne zu murren, wie Fend berichtet. Auch der Tagesausflügler Gerblinger sagt, "ich finde die Regelung nur fair, man bekommt ja auch was geboten."

Mehr Geld als mit dem Parkplatz verdient Fend auf der Piste. Denn sein Unternehmen betreibt nicht nur die Lifte, sondern auch die Kolbensattelhütte im Skigebiet, in die viele Tourengeher einkehren. Und schließlich konnte er sein Image als tourenfreundliches Gebiet bei Sponsoren nutzen: Diese sind zunehmend bemüht, Tourengeher für sich zu gewinnen.

Werbung von Sportgeschäften

So wird in Oberammergau die Aufstiegsroute seit vergangener Saison von einem Sportartikelgeschäft beworben. Dafür erhält Fends Liftbetrieb Infotafeln und Werbemöglichkeiten im Sportgeschäft. "Insgesamt kostet uns die Skibergsteigerspur pro Saison etwa 15.000 Euro für Beschneiung und Personal für das Präparieren", rechnet Fend vor. Gewinn macht er dennoch.

Auch andere Skigebiete haben erkannt, dass die Tourengeher Geld bringen können. Etwa das Hörnle bei Bad Kohlgrub. Mehrheitseigentümer der Seilbahn ist die Gemeinde, die zwar weder einen Sponsorenvertrag hat noch die Hörnle Hütte betreibt. Sie verdient an Skibergsteigern nur durch deren Parkgebühren; 2,50 Euro verlangt die Gemeinde pro Auto.

Dennoch wirbt das Gebiet um Tourengeher, wie Bürgermeister Gerald Tretter erläutert. "Man kann die Zeit nicht mehr zurückdrehen, und so bekommen wir ein gutes Image bei Wintersportlern, die vielleicht auch mal mit ihren Kindern hier Skiurlaub machen."

Auch in Österreich sehen Liftbetreiber die Tourengeher zunehmend als Chance - und verlangen von ihnen immer höhere Gebühren. So müssen Autofahrer ebenfalls an den meisten Seilbahnen beim Parken zahlen, neuerdings bis zu sieben Euro, wie an der Mutterer Alm. Das Gebiet Gemeindealpe in Niederösterreich verlangt seit dieser Saison von Tourengehern sogar den Kauf einer speziellen Tageskarte, die Kritiker als Pistenmaut bezeichnen.

So müssen Tourengeher 4,50 Euro für einen Tagespass oder 49 Euro für eine Saisonkarte bezahlen. Im Gegenzug hat das Skigebiet spezielle Angebote für die Tourengeher entwickelt, etwa Prüfstellen für Lawinenpiepser.

Informationen

Oberammergau Skitouren SZ Grafik

Oberammergau Skitouren SZ Grafik Oberammergau Skitouren SZ Grafik

(Foto: SZ Grafik)

Anreise: Oberammergau erreicht man mit dem Auto über die Bundesstraße 23 oder per Zug mit der Ammergaubahn, die stündlich von Murnau nach Oberammergau fährt. Zu den Pisten des Skigebiets Kolbensattel gelangt man vom Bahnhof in fünf Minuten zu Fuß.

Skigebiet: Der Liftbetrieb beginnt je nach Schneelage voraussichtlich am 19.12., Tageskarten kosten 27 Euro für Erwachsene und 17 Euro für Kinder.

Einkehr: Die Kolbensattelhütte öffnet gleichzeitig mit den Liften und hat für Tourengeher dienstags und donnerstags durchgehend bis 23 Uhr geöffnet.

Weitere Auskünfte: www.gemeinde-oberammergau.de, www.kolbensattel.de

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