Südeuropa:Portugal wie im Zeitraffer

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Esel gehören im historischen Dorf Castelo Rodrigo zum Straßenbild - mal als Wegweiser, mal echt, mal als Streicheltiere. (Foto: Margit Kohl)

Mittelalterliche Wehrdörfer sicherten einst das Land entlang der spanischen Grenze. Heute sind sie ideal für Reisende, die hemmungslos nur eines wollen: Nichtstun.

Von Margit Kohl

Die Morgendämmerung liegt noch müde und träge über dem Land, als die Sonne gerade damit beginnt, ihr diffuses Licht über die Hügel zu streuen. So früh ist noch niemand unterwegs in Castelo Rodrigo. In den engen Gassen aus Kopfsteinpflaster sind nur die eigenen Schritte zu hören, und es scheint beinahe so, als sei man der einzige Bewohner weit und breit. Eine tiefe mittelalterliche Stille umgibt einen, als man die Rua do Relógio mit ihren pittoresken Steinhäusern aus dem 15. Jahrhundert hinunterspaziert. Ehe man sich's versieht, passiert man einen steinernen Torbogen in der Stadtmauer und blickt plötzlich draußen auf weite Täler, deren Ausläufer sich im Osten bis nach Spanien erstrecken und im Norden bis ins Douro-Tal. Auf den Weiden grasen in weiter Ferne ein paar Pferde und Esel.

Dabei hätte man früher glatt auf einem Elefanten durchs Stadttor reiten können. In Castelo Rodrigo war ein mächtiger Dickhäuter namens Salomon 1551 die absolute Sensation. Die Menschen aus der ganzen Gegend kamen zusammen, um das exotische Tier zu bestaunen. Der Elefant war auf der Durchreise und sollte auf seinem Weg von Lissabon nach Wien in Castelo Rodrigo von portugiesischen Truppen an die Habsburger übergeben werden. War doch der portugiesische König Johann III. auf die bizarre Idee gekommen, seinem Cousin, Herzog Maximilian von Österreich, zur Hochzeit einen Elefanten zu schenken.

Wiederentdeckt hatte die Elefanten-Geschichte der portugiesische Literatur-Nobelpreisträger José Saramago, der auf seiner "portugiesischen Reise" in den Achtzigerjahren auch die historischen Dörfer im Zentrum Portugals besuchte, als diese zu seinem großen Bedauern zu den wohl verlassensten Orten des Landes gehörten: "Der Reisende hat kaum mehr als ein halbes Dutzend Menschen gesehen, alle im höheren Alter, Frauen, die vor der Tür Näharbeiten machen, und Männer, die einfach nur vor sich hin starren, als hätten sie gerade entdeckt, dass sie verloren sind."

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Dabei gibt es in den historischen Dörfern auch heute noch einiges zu bestaunen, denn man kann hier auf engstem Raum portugiesische Geschichte wie im Zeitraffer erleben. Schon von weitem sind die Orte an den hohen Türmen ihrer mittelalterlichen Burgen und Kirchen zu erkennen. Nicht ohne Grund waren sie auf Anhöhen und strategisch wichtigen Punkten entlang der spanischen Grenze errichtet worden. Nur so war das Umland zu überwachen. Denn Spanier und Portugiesen, Araber und Christen, alle versuchten sie, die Dörfer in ihren Besitz zu bringen.

Verbündeten sich Portugals historische Ortschaften deshalb bereits im Mittelalter gegen ihre Feinde, so tun sie sich heute zusammen, um nicht gänzlich in Vergessenheit zu geraten. Denn das größte Problem der Region ist die Landflucht. Deshalb hat man seit 1994 neben Castelo Rodrigo auch Almeida, Monsanto, Belmonte, Marialva, Trancoso, Castelo Mendo, Linhares da Beira, Sortelha, Piodão, Castelo Novo und Idanha-a-Velha als kulturhistorisch besonders wertvoll eingestuft und mit EU-Unterstützung restauriert. Nun soll der Tourismus für neues Leben sorgen und Einheimischen ein Auskommen bieten.

So wie Ana Berliner, die nach dem Studium mit ihrer Familie 2002 aus Lissabon ins Landesinnere gezogen war, um dort als Biologin für ein Forschungsprojekt Adler und Geier im Douro-Nationalpark zu beobachten. Ganz in der Nähe hat sich die Familie in Castelo Rodrigo dann die Casa Cisterna restauriert und in ihrem Haus auch Gästezimmer angeboten. "Als wir hier anfingen, wohnten im Dorf nur ältere Menschen. Heute leben etwa 50 Leute wieder dauerhaft im Ort, darunter auch sieben Familien. Das macht Hoffnung", sagt Ana.

SZ-Karte (Foto: N/A)

Inzwischen hat ihre Familie ein weiteres Haus sogar mit Außenpool hergerichtet, so dass sie nun insgesamt zwölf individuell und modern gestaltete Zimmer vermieten können. Die Unterkünfte samt Restaurant und Rezeption sind alle schön über den Ort verteilt in verschiedenen Häusern untergebracht. Das Essen kommt von regionalen Anbietern, und die Feigen sogar direkt vom Baum im eigenen Garten. Soviel Engagement motiviert. Inzwischen bringen auch immer mehr Einheimische ihre Häuser wieder auf Vordermann, um sie in den Sommermonaten als Ferienwohnung selbst zu nutzen oder ebenfalls zu vermieten. Langeweile kommt in dem historischen Ort auch für Kinder nicht auf, denn zum Anwesen gehören 16 Esel, mit denen regelmäßig Ausflüge in die Gegend unternommen werden. In den archäologischen Park von Vale do Côa zum Beispiel.

Es ist schon weit nach Mitternacht, als dort ein paar Lichtkegel suchend über die Felsen gleiten, um all die Darstellungen von Auerochsen, Pferden, Hirschen, Steinböcken, Ziegen und Fischen zu entdecken, welche Steinzeitmenschen hier in den Stein geritzt haben. "Nachts zeichnen sich ihre Reliefs im Schein der Taschenlampen besonders deutlich ab", sagt Ana.

Sogar Bewegungen hat man durch mehrfaches Zeichnen der betreffenden Körperteile darzustellen versucht: So haben einige Pferde gleich mehrere Köpfe. Erst Ende der Achtzigerjahre waren hier im Flusstal von Côa auf einer Länge von mehr als 17 Kilometern mehrere tausend Petroglyphen nicht etwa in geschützten Grotten oder Höhlen, sondern unter freiem Himmel entdeckt worden, was ihnen gleich den Unesco-Welterbetitel einbrachte. Ihr Alter wird auf mehr als 25 000 Jahre geschätzt.

Hier draußen vermisse sie die Stadt manchmal schon, sagt Ana, so wie viele Städter eben auch das Land oft vermissen. Doch ob Stadt oder Land, heute wollen viele Menschen beides haben. An den Wochenenden vollzieht sich dann oft ein kurioser Wohnortwechsel: Während sich die Dörfler auf die trubelige Stadt freuen, zieht es manch gestressten Städter nach Castelo Rodrigo, um dort einer lang ersehnten Beschäftigung nachzugehen: dem Nichtstun.

© SZ vom 12.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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