Nevada und Kalifornien:Die Freiheit der alten Männer

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Symbol für Aufbruch und Abenteuer - auch heute noch kommen aus der ganzen Welt nicht mehr ganz junge Harley-Davidson-Fahrer nach Nevada und Kalifornien angedüst.

Von Moritz Holfelder

Ein Liter Freiheit ist billig, er kostet weniger als 50 Cent. Mit einem Liter Freiheit kommt man allerdings nicht weit, er reicht für rund 20 Kilometer. Also muss man oft tanken, um voranzukommen. Zwei- bis dreimal pro Tag.

Selbst in der unwirtlich unwirklichsten Wüste steht spätestens alle 70, 80 Meilen eine Zapfsäule, wie eine aus dem Boden gewachsene Fata Morgana und doch real.

Von jeher war der Begriff der Freiheit in Amerika eine Frage der Mobilität: Nicht nur des Aufstiegs von unten nach ganz oben, sondern auch des ungehinderten Vorankommens zwischen A und B.

Dass sie nichts aufhalten kann, dafür haben die Amerikaner gesorgt: Sie haben schnurgerade Straßen bis hinter den Horizont gebaut und sich immer um die nötige Bewegungsenergie gekümmert. Eines kam zum anderen.

Als vier Männer 1903 in einer amerikanischen Vorort-Garage den Motor einer Rüttelplatte irgendwie auf zwei Räder montierten und das Ding Harley-Davidson nannten (so will es zumindest die zur Historie verklärte Anekdote), schoss etwa zum gleichen Zeitpunkt in Texas auf dem Claim eines Bauern eine Fontäne schwarz-klebriger Flüssigkeit aus der Erde.

Es handelte sich um eines der größten Ölvorkommen der Welt. Später ging man dazu über, Kriege zu führen, um den Nachschub des schwarzen Goldes sicher zu stellen. Auch um Maschinen wie die Harley zu füttern, ehedem Fahrzeug der US-Army mit Gewehrhalfter seitlich am Lenker. Der Mythos vom lonesome rider hat bis heute überlebt.

23 Menschen schwingen sich auf 15 Motorräder: eine Australierin, ein Deutscher, vier Amerikaner, 16 Engländer und der niederländische Tourguide Ritchy van Aarle. Seit 1993 bietet der örtliche Veranstalter Eaglerider unterschiedliche Touren an. Seit dem 11. September 2001 haben die Buchungen deutlich nachgelassen, wobei die Deutschen mit Rückgängen bis zu 50 Prozent an der Spitze liegen.

Die Teilnehmer sind zwischen 45 und 50 Jahre alt. Wild West heißt diese Tour, sie führt in einem großen Bogen von Los Angeles über den Grand Canyon und das Monument Valley nach Las Vegas und von dort über das Death Valley, den Yosemite National Park und San Francisco wieder zurück, rund 4200 Kilometer in 16 Tagen.

Gib aus, was du hast!

Ein Teil der Gruppe trudelt erst zur zweiten Hälfte der Tour in Las Vegas ein. Ein bewusst gesetzter Kulturschock auf einer Motorradtour, die fast ausnahmslos durch archaisch anmutende Landschaften führt.

Arnie, ein schmächtiger, unauffälliger Kerl aus Birmingham, das Haupthaar schon licht und ständig eine Zigarette in der Hand, Autoelektriker beim Militär und 58 Jahre alt, steht mit seiner Maschine auf dem Strip, einem Abschnitt des Las Vegas Boulevards, an dem die berühmten Hotels und Casinos liegen. Er lacht sein breites Lachen und erzählt von der Erbschaft, die er gemacht hat. Nicht viel, aber immerhin. Arnie pfiff auf die guten Ratschläge, sein Geld anzulegen: "You must spend it", sagt er.

Nutze den Tag. Arnie mag zwar die großen, schweren Harleys nicht, zu Hause in England hat er eine Honda. Aber durch Amerika, findet er, müsse man mit einem dieser Ungetüme mit der Wendigkeit eines Schwerlasters fahren.

Egal. "Von meiner Erbschaft bleibt nicht viel übrig", lacht Arnie, "für meine Versorgung im Alter muss eben der Staat aufkommen. Das hier", und er deutet den Strip hinunter, "werde ich nie vergessen."

86 Meter unter dem Meeresspiegel

Am nächsten Morgen geht es früh, bevor die Hitze kommt, hinein ins Death Valley, langsam hinunter in den Talboden 86 Meter unter dem Meeresspiegel. Kurz hinter Las Vegas beginnt die Wüste. Im Hochsommer hat es hier Temperaturen bis zu 60 Grad Celsius.

"Willkommen" steht auf deutsch am Eingang der "Alpenhof Lodge" und zwei schmiedeeiserne Laternen flankieren diesen Gruß. Darüber hängt ein Holzbalkon, in dessen Bretter Sterne gesägt sind. An der dunkel gebeizten Holzverschalung, welche die Fassade des Hauses optisch umschließt, sind Hirschgeweihe und selbst gemalte Wappentafeln angebracht, darunter auch eine in Rotweiß, was seit dem 7. Oktober 2003 als die heimliche Staatsfarbe Kaliforniens gilt.

An diesem Tag wurde der Demokrat Gray Davis als Gouverneur abgewählt, Arnold Schwarzenegger, der republikanische Österreicher, hat ihn ersetzt. "Ich lasse euch nicht hängen", rief der "Governator", wie er von manchen Kaliforniern bereits genannt wird, seinen Wählern zu. Damit ist die Geschichte Kaliforniens um ein aberwitziges Einwanderer-Schicksal reicher.

Die Menschen im Sonnenstaat erfinden sich gern alle paar Jahre neu, und eine solche Selbsterneuerung sehnen sie im Moment herbei wie selten zuvor, weil der Niedergang vom kapitalistisch lebenslustigen Vorzeige-Staat zur dauerhaften Krisenregion unausweichlich zu sein scheint.

Wohl nur an der amerikanischen Westküste können Realität und Fiktion in so verblüffender Symbiose existieren und man bewies schon immer den größten Mut, völlig Unvereinbares miteinander zu verbinden. Das ist zu einem großen Teil den Einwanderern zu verdanken, die seit dem vorletzten Jahrhundert in Scharen nach Kalifornien kamen und ihre nationale Kultur fest in der neuen Heimat verankerten, indem sie sich in Gruppen ansiedelten und so ganze Ortschaften bildeten.

In Mammoth Lakes, einer Skistation in fast 3000 Metern Höhe zwischen Death Valley und dem Yosemite National Park, gibt es den Kitzbühel Place, die Grindelwald Road und den St. Anton Circle. Die Hotels heißen "The Innsbruck Lodge" oder "Austria Hof" und in der "Alpenhof Lodge", in der die Biker übernachten, empfängt einen nicht nur das erwähnte "Willkommen", sondern ist an der Brüstung der Eingangstreppe natürlich auch die amerikanische Fahne aufgesteckt.

In den Kartenständer bei der Rezeption hat jemand neben den obligatorischen Prospekten von den örtlichen Sehenswürdigkeiten auch einen fetten Packen vom "Tiroler Volkskunst Museum" in Innsbruck, Universitätsstraße 2, eingeklemmt.

In der Gemeinschaft sattelfest

Zum Frühstück in der "Alpenhof Lodge" gibt es die neue Ausgabe der wöchentlich erscheinenden California Staats-Zeitung, eines deutschsprachigen Heimatvertriebenen-Organs mit aktuellen Bundesliga-Ergebnissen und Kleinanzeigen, in denen zur Gesinnung das rechte Outfit verkauft wird: "Bayerischer Trachtenanzug (small size) mit Hemd, Krawatten und Filzhut mit Gamsbart zu verkaufen. Best offer. Tel. (909) 925-3xxx". Auch das ist eine Form der Globalisierung.

Das Reisen in einer geführten Gruppe ist angenehm. Man muss keine Karten studieren, sich nicht um die Übernachtungen kümmern und wird an die schönsten Aussichtspunkte gebracht. Wenn der Tourguide es vermag, ein Gemeinschaftsgefühl aufzubauen, fühlt man sich sicher und, was das Fahren betrifft, sattelfest.

Andrew aus Cardiff/England ist als Jugendlicher ein wenig Motorrad gefahren um abzuhauen, um auszubrechen. Dann kamen Familie, Kinder, der Job. Andrew hatte keine Zeit mehr, sich auf zwei Rädern fortzubewegen. Er verkaufte fortan fahrbare Untersätze mit vier Rädern und baute sich als Autohändler ein mittelständisches Unternehmen auf, das er mit 60 verkaufen musste.

Zwei Jahre später machte er seine erste Motorradtour mit Eaglerider, von Los Angeles nach Mexiko. Es war eine bunte Truppe damals. Mit einem Brasilianer und einem Israeli hat er noch heute Kontakt, sie laden sich gegenseitig ein, verbringen immer wieder mal ein paar Tage miteinander.

"Die Welt ist ziemlich beschissen geworden, Globalisierung, Kommerzialisierung. Aber das hier", und dann deutet er auf seine Harley und macht eine Handbewegung irgendwohin in die Ferne, "das ist etwas, was mir die Freiheit wieder gegeben hat."

Andrew ist jetzt 66. Graue Haare, Brille, ein nicht zu übersehender Bauchansatz. "Ich bin kein guter Motorradfahrer, aber ich spüre auf diesen Touren, dass ich für den Sattel geboren bin. Das ist jetzt ein Teil meines Lebens."

Er ist keiner, der den Traum von der Freiheit als Harley-Markenzeichen vor sich her trägt wie ein paar andere in der Gruppe, etwa Susan aus Australien, eine Investment-Bankerin, die die Nase voll hatte vom aufreibenden Job und sich ein halbes Jahr abgesetzt hat, mit Harley-Lederjacke und einem Stars-and-Stripes-Tuch um den Kopf gebunden. Wenn der Gruppe andere Harleys entgegenkommen, reckt sie gern die Faust demonstrativ zum Himmel, schreit laut "Yaahoooooo".

Im Gegensatz zu Susan, die jede noch so lange Etappe cool findet, würde Andrew, der spätgeborene Biker, gern ein paar Meilen pro Tag weniger zurücklegen müssen. "Auf der Maschine ist es oft auch die Hölle. Die Hitze, dann kurz darauf in den Bergen die Kälte, der Regen, den wir einmal hatten. Und nach 200 Meilen tut mir der Arsch weh, ich weiß nicht mehr, wie ich sitzen soll. Dann hasse ich es."

"Es ist absurd. Da lassen wir uns für viel Geld über den Teich fliegen, und dann fahren wir hier mit dicken Motorrädern durch dieses wunderbare Land, das einmal anderen gehörte und ihnen einfach weggenommen wurde, und dabei verpesten wir die Luft und stören die Natur. Das ist alles höchst paradox. Ich für mich versuche wenigstens, keine Spuren zu hinterlassen, so dass morgen nichts mehr daran erinnert, dass ich einmal hier war."

Jeff war mehr als dreißig Jahre lang Polizeibeamter in London, dann schmiss er den Job hin und ist jetzt für eine Wohlfahrtsorganisation tätig, die Opfer von Verbrechen betreut.

Jeffs schlechtes Umweltgewissen hat möglicherweise mit der überwältigenden Szenerie im Yosemite National Park zu tun, weil sich man unter den gigantischen Granit-Formationen und den riesigen Sequoias notgedrungen ziemlich mickrig und unbedeutend fühlt. Bis zu 3000 Jahre sind manche der Baumriesen alt, ihre Stämme haben Durchmesser von sechs bis zehn Metern.

Ab ins Blaue zu den Engeln

Das Reisen in einer geführten Gruppe ist anstrengend. Man muss sich einordnen, kann nicht einfach anhalten, wenn man Lust dazu verspürt, die Tankstopps ziehen sich oft in die Länge, bis alle wieder bereit sind, bisweilen geht einer in den Städten mit den vielen Ampeln und Abzweigungen verloren. Dann muss man viel Geduld aufbringen, bis die Gruppe wieder komplett ist.

Die grandiose Natur verführt dazu, die Fahrt allein fortzusetzen, einfach ins Blaue hinein, zurück, Richtung Los Angeles. Es ist nicht schwer, sich zurecht zu finden. Alle Straßen, die von Norden nach Süden verlaufen, haben ungerade Nummern und alle in Ost-West-Richtung gerade.

Der berühmte Highway 1 führt die Pazifikküste entlang von Mendocino bis hinunter nach Los Angeles. Der Abschnitt zwischen Monterey und San Luis Obispo gehört ohne Zweifel zu den schönsten Straßen der Welt.

Steile Felsabbrüche, zerklüftete Küstenlinien, ein weiter Blick hinaus auf den Pazifik, dann wieder sanft zum Wasser hin abfallendes Weideland, silbern in der Sonne schimmerndes Schilfgras, die nach Meer und Salz riechende Luft, kurz vor San Siemo ein Sandstrand, auf dem sich zur Paarungszeit Hunderte von massigen Elefantenrobben tummeln.

Später, im Hotel, denkt David, der Hotelmanager, laut über die Probleme seines Landes nach, den 11. September, den Krieg im Irak und das soziale Elend in den Städten: "Der Mythos von der Freiheit ist eben ein Mythos, er bekommt zunehmend etwas Unwirkliches." Es sei denn, man ist gerade auf einer Harley-Davidson unterwegs.

Motorradtouren

Informationen zur Buchung Es gibt verschiedene Anbieter von Motorradtouren in den USA, Eaglerider ist der größte und bietet darüber hinaus das beste Servicenetz.

Die meisten geführten Touren werden zwischen April und Oktober angeboten, man sollte ein halbes Jahr vorher buchen, um zum gewünschten Termin fahren zu können.

Die Wild West-Tour kostet für acht Tage im Doppelzimmer 2720 Dollar, im Einzelzimmer 3100 Dollar. Für den Sozius kommen noch einmal 600 Dollar dazu.

Die 16-Tage-Tour kostet 4640 Dollar (EZ 5500, Sozius 1100 Dollar). Die Preise enthalten Übernachtung, Motorrad, Tourguide und Versicherung. Jeweils nicht enthalten sind Flug, Essen, Benzin sowie Mautgebühren und Eintrittskarten für die Nationalparks.

Buchungen über FTI Frosch Touristik GmbH (Hotline: 01805/ 453 334), im Reisebüro oder direkt bei Eaglerider European Office (Tel.: 089/ 31 59 46 08; Internetbuchung ist möglich auf der Website www.eaglerider.com).

Motorräder sind auch individuell buchbar ab 30 Dollar pro Tag (inkl. 100 Freimeilen pro Tag).

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