Trend-Getränke:Mission Herrengedeck

Der als Billigschnaps verrufene deutsche Korn feiert Wiederauferstehung als Hipster-Getränk. Wo? Natürlich in Berliner Kneipen.

Von Verena Mayer

Wer das Wort Korn hört, denkt erst mal an ein klares, hochprozentiges Gesöff, das man für ein paar Euro im Supermarkt bekommt. Man denkt an Leute, die sich schnell und günstig betrinken wollen oder müssen, und natürlich hat man gleich die gute, alte Eckkneipe vor Augen, wo der Getreidebrand zusammen mit viel Bier gereicht wird, Stichwort Herrengedeck.

Was einem bei Korn eher nicht einfällt: eine Bar in Berlin-Mitte. Rosenthaler Platz, jener Teil der Hauptstadt, in dem man nie weiß, ob ein Laden noch eine Galerie oder schon ein Filmset ist, das Zentrum für Touristen, Szeneleute und Feierwütige. Mittendrin das Sharlie Cheen, eine elegante Bar, in der die Regale mit den Flaschen eine ganze Wand einnehmen. Von der Decke hängt eine Installation, die Gäste sehen aus, als hätten sie Agenturjobs, und serviert wird: Korn. Nicht als Herrengedeck allerdings.

Sondern als Cocktail-Korn, angesetzt mit einer sogenannten Infusion aus Lakritze und dann aufgegossen mit Maraschino, Apfel- und Gurkensaft, was zugleich herb, erfrischend und salzig schmeckt. Oder der Korn wird mit Schwarztee, Tonic und Lavendelsirup zu einem Drink namens "Lavender Haze" gemixt. Kurzum: Korn ist zu einem Hipster-Ding geworden.

Die Gastronomen mussten von der Güte des neuen alten Brands erst überzeugt werden

Das liegt einerseits daran, dass es kaum mehr ein Getränk gibt, das noch nicht veredelt, im Manufakturbetrieb gefertigt und zu Apothekerpreisen verkauft wird, und nach der Limonade, dem Bier und dem Filterkaffee ist nun eben der Fusel dran. Vor allem aber liegt es daran, dass man inzwischen sehr guten Korn bekommt. Der stammt aus Deutschland, was er dem Gesetz nach auch muss, Getreidebrand darf nur dann Korn heißen, wenn er hierzulande produziert wurde. Zum Beispiel aus Berlin. Dort hat die Spirituosen-Manufaktur "Berliner Brandstifter" ihren Sitz.

Das Büro liegt in einem ähnlich szenigen Teil von Berlin-Mitte wie die Bars, in denen neuerdings Korn ausgeschenkt wird. Parkett, Regale mit Bildbänden, auf einem grauen Sofa sitzt Vincent Honrodt, der Firmengründer. Honrodt, schwarze Jeans, schwarze Brille, schwarze Sneakers, hatte eigentlich einen Agenturjob in Hamburg, 2008 wollte er etwas Neues versuchen. Seine Familiengeschichte fiel ihm ein, die Zuckerfabrik, die sein Urgroßvater in der Nähe von Berlin besaß. Dort wurde viel Schnaps gebrannt, Obst- und Kornbrände, "ich hatte nie Berührungsängste gegenüber dem Korn", sagt er.

Honrodt wollte aus dem Korn wieder etwas Hochwertiges machen, ein Getränk, das nach dem Getreide schmeckt, aus dem es besteht, Weizen oder Roggen. Er nahm die alte Familienrezeptur, experimentierte daran herum, füllte schließlich tausend Flaschen ab und verpasste ihnen ein Design, das er zeitgemäß fand. Honrodt hat in Berlin an der Universität der Künste studiert, seine Mutter ist Künstlerin. Er hatte Glück, der Korn der Berliner Brandstifter wurde von der New York Times entdeckt und zum Top-Getränk aus Berlin erklärt.

Bis Honrodt kommerziell erfolgreich wurde, dauerte es jedoch, "das war die härteste Schule, die ich durchlaufen habe". Er zog mit einer Stofftasche voller Korn-Flaschen von Kneipe zu Kneipe, von Fachgeschäft zu Fachgeschäft. Die Gastronomen seien immer erst begeistert von den Flaschen und dem Design gewesen. Aber als sie erfuhren, dass sich darin schnöder Korn befand, war für viele das Thema erledigt, "da musste ich erst missionarisch tätig werden". Für Honrodt ist Korn schließlich nicht weniger als "die deutsche Antwort auf den Wodka". Nicht zuletzt beim Preis: eine Flasche Hipster-Korn kostet 23,50 Euro.

Mit dem Aroma von Brot und Vanille

Inzwischen liefern die Berliner Brandstifter ihre Flaschen nach Österreich, Dänemark und England, Whisky-Geschäfte führen die Schnäpse genauso wie die Feinkostabteilung des KaDeWe. Honrodt steigt in seinen Porsche und fährt an den östlichen Stadtrand, dorthin, wo Berlin wie eine Ansammlung von Dörfern und Kleinstädten wirkt. Er hält bei der Spirituosen-Fabrik Schilkin. Ein altes Gutshaus mit viel Backstein und einer Geschichte, wie es sie nur in Berlin gibt.

Der russische Firmengründer war Schnapslieferant des Zaren, nach der Oktoberrevolution musste er nach Berlin flüchten. Mit seinem letzten Geld kaufte er eine Schnapsbrennerei, die deutsche Wodka-Produktion war lange Zeit fest in russischer Hand. Bei Kriegsende wurde die halbe Fabrik weggebombt, die Rote Armee ließ die Schnapsproduktion allerdings binnen weniger Tage wieder anlaufen.

Noch immer stehen in dem Herrenhaus die Kupferkessel und Bottiche, in denen in der DDR etwa aus Pflaumenmus Sliwowitz erzeugt wurde. Nur, dass sich in den Behältern heute ein Lifestyle-Getränk wie der Pfefferminzlikör "Berliner Luft" befindet, neben Rotkäppchen-Sekt eines der wenigen Ostprodukte, die sich im Westen durchgesetzt haben. Und da ist eben der Korn.

Korn ist so billig geworden, dass den Herstellern höchstens ein paar Cent pro Flasche bleiben. Nicht so der Korn, der hier durch die Leitungen läuft, jener der Berliner Brandstifter. Er wird in der Manufaktur siebenfach gefiltert und verdünnt, bis er ein Aroma hat, das an Brot und Vanille erinnert. Wobei es vor allem auf den Rohstoff ankomme, sagt Honrodt, den Weizen und darauf, wie er gebrannt wird.

Inzwischen versuchen viele kleine Brennereien und regionale Destillerien, dem Korn zu einem Siegeszug zu verhelfen, so wie es zuvor mit dem Gin passiert ist. An dessen Beliebtheit reicht aber nichts heran, weshalb die Berliner Brandstifter ebenfalls einen Gin herausgebracht haben. Angereichert mit Blüten und Beeren von einem Bauernhof in Berlin.

Und wie trinkt man Korn am besten? Frage an Marius Döring, den Betreiber des Sharlie Cheen, der mit dem Cocktailshaker am Tresen seiner Bar steht. Klar, man könne mit Korn viel machen, sagt Döring, ihn etwa mit Limettensaft und Limonade aufspritzen zu einer Art Moscow Mule. Aber am besten sei Korn eigentlich pur, in Zimmertemperatur, mit Soda. Oder tatsächlich in Kombination mit Bier, wenn es auch Craft-Beer sein müsse. Es ist also nur eine Frage der Zeit, bis die Hipster auch das Herrengedeck für sich beanspruchen werden.

Berliner Bars, in denen Korn gemixt wird: die "Booze Bar" in Friedrichshain, das "Vor Wien" in Kreuzberg oder die "Monkey Bar" in Charlottenburg. Berliner Brandstifter: www.berlinerbrandstifter.com.

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