Neulich in einer dieser Berliner Kaffeebars, in die Büromenschen morgens auf dem Weg zur Arbeit hetzen. Man will einen Cappuccino zum Mitnehmen, was aber nicht so einfach ist. Erst erklärt der Mann hinterm Tresen jede Kaffeesorte einzeln, dann empfiehlt er handgebrühten Filterkaffee, der fünf Minuten durchlaufen muss. Als man nach dem Milchkännchen greift, weil der Kaffee ohne Milch kam, ruft der Barista: "Halt, das würde ich nicht tun!", so als habe er einen beim Klauen erwischt. Er will den Gast aber nur daran hindern, Milch in den Becher zu geben. Aha, und warum? "Dein Kaffee hat eine ganz feine Säure im Abgang, die Milch würde das kaputt machen!"
Spätestens jetzt ist klar, dass man nicht in einem der typischen Coffee-to-go-Läden gelandet ist, mit denen inzwischen jede Fußgängerzone zugepflastert ist. Sondern in einem Lokal für Spezialitäten-Kaffee. Beziehungsweise Specialty Coffee, denn wo es um Kaffee geht, kommt man um Englisch schon länger nicht mehr herum. So wie in der "Refinery High End Coffee", einem handtuchschmalen Café in bester Berliner Innenstadtlage am Schiffbauerdamm.
Schwarze Fliesen, grob gezimmerte helle Holzbänke, Industrieleuchten, dazwischen Regale mit Kaffee, der "El Durazno", "Giakanja" oder "Santa Rosa" heißt und aus Äthiopien, Kenia, Kolumbien, Costa Rica, Honduras oder Guatemala kommt. Auf einem Täfelchen steht, in welcher Höhe der Kaffee gewachsen ist und aus welcher Ernte er stammt. Begriffe wie "sehr süßes Profil" oder "vollmundig, mit Anklängen an Karamell" schwirren durch den Raum. Kurz: Kaffee ist der neue Wein.
Wie bei einer japanischen Teezeremonie
"Third wave coffee" heißt das Stichwort - so nennt sich eine Qualitätsbewegung, die Kaffee als Kunsthandwerk begreift und ihn damit neuerdings genauso ernst nimmt wie Wein, Whiskey oder Tee. Mit den entsprechenden Preisen (ein halbes Pfund kostet schon mal 14 Euro) und einer Szene, die sich regelmäßig zu Verkostungen trifft. Hauptstadt der neuen Kaffeekultur ist, wie könnte es anders sein? - Berlin, und dort ist Ralf Rüller einer der Pioniere.
Er trägt Vollbart, Käppi und Hornbrille, und wartet schon in seinem Café, dem Kranzler am Berliner Kurfürstendamm. Das Kranzler war mit seiner Rotunde und der rot-weiß-roten Markise über Jahrzehnte eine Westberliner Institution, an dem Ort lässt sich gut die Entwicklung des Kaffeetrinkens in Deutschland ablesen. Einst trafen sich hier Leute wie Hildegard Knef oder Harald Juhnke, und natürlich jene alten Damen, die in Berlin gern "Wilmersdorfer Witwen" genannt werden. Gegessen wurde Sahnetorte, und der Kaffee musste in Kännchen bestellt werden.
Seit Rüller das Kranzler im Dezember übernommen hat, muss man erst durch einen Hipster-Klamottenladen im Erdgeschoss stiefeln, um zur Theke vorzudringen. Dort erinnert wenig an das Oma-Café von einst. Kniehohe Holztischchen, auf dem Boden liegen Kissen. Der Kaffee wird in dünnwandigen Schalen auf Holzbrettchen serviert. Aber was heißt serviert: Ein Barista in dunklem Gewand stellt die Kaffeetasse feierlich wie bei einer japanischen Teezeremonie ab. Dazu eine Karte, der zu entnehmen ist, dass das Getränk aus einer äthiopischen Farm namens "Nano Challa" stammt, "süß und ausbalanciert" sei und die "Noten Nektarine, Jasmin und Vanille" enthalte.