Bergreisen mit Handicap:Um jeden Preis auf den Gipfel

Lesezeit: 3 min

Paul Pritchard klettert mit Hilfe eines Seils. (Foto: Forest Woodward)

Diese vier Menschen steigen auf Berge, klettern auf Felsen und radeln über die Alpen - trotz Lähmung, Rollstuhl oder Beinprothesen.

Von Dominik Prantl

Totem Pole

Paul Pritchard dachte nicht, dass er 50 wird. "Ich habe mein Bestes gegeben, es nicht zu schaffen." Der gebürtige Brite kletterte 1998 beispielsweise auf den Totem Pole, den Totempfahl, eine 65 Meter hohe Felsnadel an der tasmanischen Küste, als ihm ein Stein ein Loch in den Kopf schlug. Notaufnahme, Reha, halbseitige Lähmung, Depressionen. Heute ist er 50 und erzählt bei einem Spaziergang, gestützt auf zwei Stöcke, von den Dingen, die er demnächst tun will.

Er will im Dreck schlafen und auf Berge steigen, er will 2100 Kilometer vom niedrigsten zum höchsten Punkt Australiens radeln, mit einem Blinden per Spezialtandem. "Ich lenke, er soll strampeln." Manchmal erzählt er von Dingen, die er seit dem Unfall schon gemacht hat: in Arco geklettert, Workshops in Schulen gehalten, Bücher geschrieben. Und er kletterte 2016 für den Film "Doing it Scared" noch einmal am Totem Pole, wobei er selbst sagt: "Ich kletterte nicht am Totem Pole. Ich kletterte am Seil meines Partners." Er machte daran 126 Klimmzüge, mit einem Arm.

Chimborazo

Michael Teuber in den Alpen. (Foto: oh)

Michael Teuber kann nicht ohne Schiene am Bein den Strand entlang laufen. Mit steifen Carbon- oder flexiblen Kunststoffhilfen allerdings geht vieles. Damit gewann er als Radprofi fünf Goldmedaillen bei den Paralympics; er stand bereits auf dem Pico del Teide, dem Kilimandscharo und dem Chimborazo, dem geschichtsträchtigen und mit 6267 Metern höchsten Berg Ecuadors.

Dem Leistungssportler Teuber ist auch beim Bergsteigen der Wettkampfgedanke wichtig: "Ich stehe schon ganz gerne oben. Da muss ich auch nicht mehr hinterfragen, ob es noch weitergeht." Viel weiter hinauf als am Chimborazo wird es für den seit einem Autounfall vor 30 Jahren inkomplett querschnittsgelähmten Bayer ("Unter dem Knie habe ich keine Funktion mehr, von Knie bis Hüfte etwa 60 Prozent") jedoch nicht gehen. Das liege an der Höhe, die ihn mehr beanspruche als Bergsteiger, die auf ihre beiden Füße vertrauen können, und an den technischen Schwierigkeiten: Beim Klettern ist ab dem zweiten Grad Schluss.

Alpenüberquerung

Felix Brunner ist von Füssen über die Alpen zum Gardasee geradelt, über Stock und Stein und Brücken. Das ist an sich noch nichts Besonderes, weil das jährlich Tausende auf ihren Mountainbikes machen, was sich dann Transalp oder Alpencross nennt. Aber Brunner hat es 2013 eben nicht Kraft seiner Füße über die Berge geschafft, sondern als erster Rollstuhlfahrer mit einem sogenannten Handbike. "Bis auf zwei Stellen bin ich alles selbstgefahren", sagt Brunner heute stolz, und irgendwie wirkt dieses auch medial beeindruckend ausgearbeitete Projekt rückblickend wie der Start in sein neues Leben.

Felix Brunner im Handbike. (Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa)

Das alte hatte 2009 mit einem Unfall beim Eisklettern geendet, seitdem sitzt Felix Brunner im Rollstuhl, die Verletzung sei mit einer Querschnittslähmung vergleichbar. Inzwischen ist er unter anderem durch Colorado gekurbelt und ließ beim Mountainbike-Marathon im Allgäu nach 76 Kilometern auch einige Radler, die ins Pedal treten können, hinter sich. Das nächste Projekt: die erste Teilnahme am Ski-Weltcup.

Mount Everest

Mark Inglis am Mount Everest. (Foto: AP)

Wer einmal auf einem Vortrag von Mark Inglis war, vergisst das nicht so schnell. Der Neuseeländer holt sich dann vielleicht zwei Burschen auf die Bühne, pfercht sie unter einen Tisch und sagt: "So viel Platz hatten wir damals." Damals, 1982, als er am höchsten Berg seiner Heimat, dem Mount Cook, in einer Eishöhle festsaß. Als er nach 13 Tagen gerettet werden konnte, mussten beide Unterschenkel wegen Erfrierungen amputiert werden. 20 Jahre später stand er erneut auf dem Mount Cook, dieses Mal auf zwei Prothesen.

Er bestieg in den folgenden Jahren als erster doppelt Beinamputierter einen Achttausender, den Cho Oyu, und 2006 den Mount Everest, was ihm nicht nur positive Publicity brachte. Dabei ist das Besteigen der Berge für ihn gar nicht das größte Problem. Viel schwieriger ist das Herunterkommen. Als er einst wieder im Basislager des Everest ankam, waren seine Stümpfe wegen des Abstiegs offen und blutig. Inglis aber meint: "Immerhin kann ich keine Frostbeulen mehr an den Füßen bekommen."

© SZ vom 13.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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