Aserbaidschan:Europas weiter Osten

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Aserbaidschan liegt zwischen dem Kaspischen Meer und dem Kaukasus - also eigentlich weit weg von Europa. Dennoch haben Ell und Nikki den Eurovision Song Contest gewonnen - und das Land will an der Fußball-Europameisterschaft teilnehmen.

Frank Nienhuysen

Wer kann es Ell schon verdenken, dass er, siegestrunken und ermattet vom Erfolg, sich spontan zum "glücklichsten Mann der Welt" erklärte? Immerhin hat er gerade mit seiner Partnerin Nikki den Eurovision Song Contest gewonnen. Aber manche Pedanten stellen sich die akademische Frage, ob er denn auch der glücklichste Mann Europas sein könne. Von der Düsseldorfer Kö aus gesehen liegt Aserbaidschan jedenfalls ziemlich weit entfernt, weiter noch als Georgien, Armenien und die Türkei. Die Grand-Prix-Belegschaft, gewöhnt an Dublin, Oslo und selbst Kiew, wird im nächsten Jahr direkt an das Kaspische Meer reisen müssen. Nach Vorderasien also.

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Die Gewinner des Eurovision Song Contest stammen aus Aserbaidschan. Was hat es eigentlich mit dem kleinen Land im Kaukasus auf sich? Ein Porträt über einen Staat im Erdölwahn, Korruptionssumpf und Berti-Vogts-Fieber.

Nach dem Sieg Russlands vor drei Jahren hat sich diese kontinentale Frage niemand gestellt. Dessen größter Teil liegt zwar in Asien, aber ein großer samt Moskau nun einmal auch in Europa, weshalb die Stadt als größte des Kontinents gilt. Die Russen selber gehen ziemlich lässig damit um. Viele sagen häufig Europa, wenn sie eigentlich dessen westlichen Teil meinen, so als hätten sie mit dem Erdteil wenig zu tun, auf dem sie jedoch definitiv wohnen. Beim Kaukasus-Staat Aserbaidschan liegt die Sache etwas anders.

"Unser Land war schon immer auf der Schwelle zwischen Europa und Asien", sagt der in Baku lebende Aserbaidschaner Emin Mili. "Als Baku vor hundert Jahren wegen des Öls zu einer der reichsten Städte der Welt wurde, hat dies uns auch näher nach Europa gebracht. Heute ist unsere Musik orientalisch und europäisch zugleich. Und der Sieg beim Song Contest wird die europäische Identität weiter verstärken", sagt Mili.

Drei Minuten in Düsseldorf haben also gereicht, dass Aserbaidschan nun ins Zentrum Europas gerückt ist. Doch trotz der ausgelassenen Stimmung beim ESC - die Statuten des Eurovision Song Contests sind ziemlich frei von europäischen Identitäten und Gefühlstaumeleien. Wer bei dem Wettbewerb mitmachen will, muss Mitglied der Europäischen Rundfunkunion sein. Und das kann nur werden, wer zur europäischen Rundfunkzone gehört. Deren Grenzen wiederum haben eher mit der Technik der Telekommunikation zu tun als mit Politik oder Geographien. Und so gehören ihr dank großzügiger Auslegung sogar der Nahe Osten und der Norden Afrikas an. Da ist Aserbaidschan locker auf der sicheren Seite.

Das muslimisch geprägte Land ist aus der Masse der zerfallenen Sowjetunion entstanden und empfiehlt sich seit der Unabhängigkeit selber als Brücke zwischen Europa und Asien. Die Europäische Union hat allerdings ein zwiespältiges Verhältnis zu Baku. Das Land hat zwar außer einem erfolgreichen Popduo auch eine Menge Öl und Gas zu bieten, zur Enttäuschung Brüssels jedoch nicht die erwünschte Demokratie.

Wie europäisch Aserbaidschan in manchen Bereichen dennoch geworden ist, davon kann sich Deutschland schon weit vor dem nächsten Song Contest ein Bild machen. Anfang Juni spielt Deutschland in Baku um die Qualifikation zur Fußball-EM, und Trainer der Aserbaidschaner ist der frühere deutsche Europameister Berti Vogts. Dass Aserbaidschan überhaupt um den europäischen Titel mitspielen kann, ist für die meisten nicht weiter verwunderlich. Beim Fußball konzentriert sich das Erstaunen stattdessen auf Kasachstan, das ebenfalls in der Gruppe mit Deutschland spielt. Beim Eurovision Song Contest kann das mittelasiatische Steppenland nicht mitmachen, aber es könnte einmal Europameister werden. Rein theoretisch.

© SZ vom 16.05.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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