Zuwanderung vom Balkan:Deutschland, Europas Magnet

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In Pristina fährt ein Bus ab: Viele Kosovaren hoffen auf ein besseres Schicksal in der EU. (Foto: REUTERS)

Zu Zehntausenden brechen Menschen aus Kosovo, Serbien oder Albanien nach Deutschland auf. Wer soll es ihnen verdenken? In ihrer Heimat herrscht Stillstand. Doch Armut und Perspektivlosigkeit sind kein Asylgrund.

Ein Kommentar von Florian Hassel

Es ist keine geheime Reiseroute, über die sich Menschen aus Kosovo, einem der Armenhäuser Europas, auf den Weg nach Deutschland und andere reiche EU-Länder machen: Mit dem Bus nach Belgrad, dann mit Hilfe bestochener Grenzer hinüber in die EU nach Ungarn, von dort geht die Fahrt weiter, per Zug nach Wien, oder mit dem Bus oder dem Auto nach Deutschland.

Seit September 2014 haben sich aus dem nur knapp zwei Millionen Einwohner zählenden Kosovo jeden Monat schätzungsweise 20 000 Menschen auf den Weg nach Westeuropa gemacht. Dies ist für sie einfacher als früher, weil Serbien auf Druck der EU die Beziehungen zu seiner ehemaligen Provinz Kosovo verbessert hat und den Kosovo-Albanern die Reise nach und durch Serbien auch mit Personalausweisen des offiziell nicht von Belgrad anerkannten Landes erlaubt. Für Kosovo-Albaner ist der Weg nach Westeuropa freilich kein billiges Vergnügen: Sie zahlen oft mehr als 1000 Euro an professionelle Menschenschmuggler.

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Von Roland Preuß

Deutschland kann sich über Zuwanderer glücklich schätzen

Da allein in Deutschland jeden Monat mehrere Tausend Kosovo-Albaner Asylanträge stellen, sorgen sie für Unmut und populistische Parolen über angebliche Asylantenlawinen. Doch diese Vorbehalte verdecken die Tatsache, dass Deutschland allen Problemen zum Trotz enorm von Zuwanderern aus Osteuropa und den Balkanländern profitiert.

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Deutschland ist Einwanderungsland, muss es angesichts einer alternden Bevölkerung auch sein - und kann sich glücklich schätzen, dass jedes Jahr Hunderttausende meist junge, arbeitswillige, oft gut ausgebildete Menschen nach Deutschland kommen. Handwerker aus Polen, Ärzte aus Bulgarien oder Erzieherinnen aus Rumänien sorgen dafür, dass deutsche Betriebe, Krankenhäuser oder Kindergärten funktionieren.

In der deutschen Provinz werben vor der Rente stehende deutsche Apotheker mittlerweile Nachfolger aus dem EU-Kandidatenland Serbien an. Den Gewinn hat Deutschland. Die Probleme durch den Verlust ihrer Jungen und Motivierten haben die Abwanderungsländer. Und zu denen gehört auch Kosovo.

Hintereingang Asylantrag

Der legale Weg nach Deutschland durch die Vordertür, als privilegierter EU-Bürger, ist den Menschen aus Kosovo, Albanien oder Serbien versperrt. Also wählen viele den Hintereingang über einen Asylantrag. Dabei gibt es - anders als zum Beispiel für Flüchtlinge aus Syrien - kaum je einen dem Gesetz entsprechenden Grund, ihnen tatsächlich Asyl zu gewähren.

Kosovo und andere Balkanländer sind zum Glück keine Kriegsschauplätze mehr. Sie werden heute demokratisch regiert - wobei demokratisch längst nicht immer gut bedeutet. Manche ethnische Minderheit wie die Roma werden stark diskriminiert. Eine lebensbedrohende Verfolgung aber findet weder in Kosovo noch anderswo auf dem Balkan statt.

Stattdessen bringen Armut und Arbeitslosigkeit, umfassender politischer und wirtschaftlicher Stillstand und Korruption die Menschen dazu, sich auf den Weg in die wohlhabenden und nahen Nachbarländer Deutschland, Österreich, die Schweiz oder Frankreich zu machen.

Zu Recht lehnen die Behörden fast jeden Asylantrag aus Kosovo ab

Doch Armut und Perspektivlosigkeit sind kein Asylgrund. Zu Recht haben die deutschen Behörden ihr Tempo bei der Bearbeitung von Asylanträgen etwa aus Kosovo gesteigert; zu Recht lehnen sie fast alle ab. Asylanträge sind kein geeignetes Mittel für Einwanderung.

Gleichwohl werden auch schnelle Ablehnung oder mehr Druck auf das Transitland Ungarn viele Menschen nicht davon abhalten, nach Deutschland zu kommen. Kosovo und andere Balkanländer sind keine militärischen, aber wirtschaftliche Krisengebiete. In Kosovo liegt die Arbeitslosigkeit bei etwa 30 Prozent, dort lebt fast ein Drittel der knapp zwei Millionen Einwohner unter der Armutsgrenze.

Patentrezepte gibt es nur bei Pegida

Wenig besser sieht es in den Nachbarstaaten Albanien, Serbien oder Bosnien aus - auch sie verharren in Stagnation, ihre Wirtschaft ist geprägt von wenig Industrie und geringer Konkurrenzfähigkeit, die Infrastruktur ist schlecht, die Korruption hoch. Serbien etwa, das an vielen der griechischen Misere ähnelnden Problemen krankt und schmerzhafte Reformen ebenfalls aufgeschoben hat, steht gerade erst am Anfang einer wohl etliche Jahre dauernden wirtschaftlichen Rosskur.

Auch beim EU-Mitglied Kroatien sieht es wirtschaftlich bescheiden aus. Und so kommen auch aus diesen Ländern Zehntausende Menschen nach Deutschland, das zur Zeit wirtschaftlich und gesellschaftlich der Magnet Europas ist. Patentrezepte, wie die Deutschen mit den Problemen umgehen sollen, die durch die starke Anziehungskraft des Landes entstehen, gibt es höchstens bei Pegida - aber nicht in der realen Politik.

© SZ vom 12.02.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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