Wahlversprechen des US-Präsidenten:Obamas Gesundheitsreform in Gefahr

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Barack Obamas wichtigstes Reformvorhaben droht zu scheitern: Die konservativen Richter am Obersten Gerichtshof der USA stehen einer Krankenversicherungspflicht sehr skeptisch gegenüber. Es geht um die Frage, wie stark der Staat in die Freiheit des Einzelnen eingreifen darf.

Reymer Klüver, Washington

In der entscheidenden Anhörung zur Verfassungsmäßigkeit der Gesundheitsreform von Präsident Barack Obama haben die konservativen Richter am Supreme Court der USA deutliche Skepsis erkennen lassen. Sie überhäuften den Vertreter des Weißen Hauses, Rechtsbeistand Donald Verrilli, mit kritischen Fragen zur Einführung einer Krankenversicherungspflicht für alle Amerikaner, wie sie die Gesundheitsreform vorsieht.

Eine Krankenversicherung für alle Amerikaner? Dr. Vivek Murthy vom Brigham and Women's Hospital in Boston wartet vor dem Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten, wo die entscheidende Anhörung zur Verfassungsmäßigkeit der Gesundheitsreform von Barack Obama stattfindet. Murthy ist Präsident der Doctors for America, die Obamas Gesundheitsreform unterstützen. (Foto: REUTERS)

"Wenn die Bundesregierung das machen kann, was kann sie dann noch alles machen?", fragte Richter Antonin Scalia und fasste so die Zweifel seiner Kollegen zusammen. Damit ist höchst fraglich, ob das Reformwerk die Billigung des Obersten Gerichtshofs der USA finden wird.

40 bis 50 Millionen Amerikaner ohne Krankenversicherung

Im Kern geht es in der Auseinandersetzung nicht darum, ob die Krankenversicherungspflicht wünschenswert wäre, um den schätzungsweise 40 bis 50 Millionen Amerikanern ohne Krankenversicherung einen Schutz im Krankheitsfall zu verschaffen. Es geht vielmehr um die Grenzen für staatliche Eingriffe in die Freiheit des Einzelnen - konkret um die Frage, ob der Bund in den USA die Bürger zwingen darf, eine private Krankenversicherung abzuschließen.

Am Obersten Gerichtshof offenbarte sich indes die scharfe Polarisierung entlang der Parteigrenzen, die das Land in dieser Frage seit Jahren kennzeichnet. In dem neunköpfigen Gremium werden fünf Richter dem konservativen Flügel zugeordnet. Sie wurden von republikanischen Präsidenten berufen. Vier gelten hingegen als liberal; demokratische Präsidenten hatten sie nominiert.

Der Supreme Court dürfte seine Entscheidung zur Gesundheitsreform Ende Juni bekanntgeben, kurz vor Beginn der heißen Phase des Präsidentschaftswahlkampfs. Die Gesundheitsreform ist das wichtigste Reformvorhaben des Präsidenten, das er nur mit Hilfe eines politischen Kraftakts 2010 durch den Kongress gebracht hatte. Sie ist in der US-Bevölkerung nicht gerade beliebt. In Umfragen bewertet sie nur eine äußerst knappe Mehrheit als positiv. Die Pflicht zur Krankenversicherung wird sogar von einer breiten Mehrheit der Amerikaner abgelehnt.

Darf man die Bürger zwingen?

Die juristische Streitfrage betrifft eine Passage in der amerikanischen Verfassung, die im Laufe der US-Geschichte wiederholt im Zentrum grundsätzlicher juristischer Auseinandersetzungen stand: die sogenannte commerce clause. Sie gibt Washington das Recht, wirtschaftliche Aktivitäten per Gesetz zu regeln, die über einen einzelnen Bundesstaat hinausgehen. Das sei bei Krankenversicherungen eindeutig der Fall, so Verrilli, Rechtsbeistand der Regierung. Die konservativen Richter waren davon nicht überzeugt. Washington schaffe erst eine wirtschaftliche Aktivität, indem es die Bürger zum Abschluss einer privaten Versicherung zwinge, sagte Anthony Kennedy. "Kann man wirtschaftliche Aktivität erzeugen, nur um sie dann gesetzlich regeln zu können?", fragte er pointiert.

Kennedy galt vor der Anhörung als einer von zwei der konservativen Richter, die am Ende der Reform unter Umständen zustimmen könnten. Auch der andere, der Vorsitzende Richter des Supreme Court, John Roberts, äußerte starke Vorbehalte. Wenn das Gericht dem Staat erlaube, die Amerikaner zum Abschluss einer Krankenversicherung zu zwingen, "wäre alles möglich". Denkbar wäre zum Beispiel die Pflicht für alle Amerikaner, ein Handy zu kaufen, merkte er sarkastisch an.

Der Rechtsvertreter der Bundesregierung war bemüht, diese Befürchtungen zu zerstreuen. Die Frage der Krankenversicherung sei "einmalig", weil sie alle Amerikaner betreffe und so enorme wirtschaftliche Konsequenzen habe, sagte Verrilli. Richter Kennedy schien das zu akzeptieren, schränkte aber ein: "Wenn Sie das Verhältnis des Einzelnen zum Staat in dieser einmaligen Form ändern, haben Sie da nicht die schwerwiegende Verpflichtung die verfassungsmäßige Berechtigung dafür nachzuweisen?"

"Katastrophe" für das Weiße Haus

Die vier liberalen Richter signalisierten mit ihren Fragen, dass sie gewillt sind, die Reform als verfassungsmäßig abzusegnen. Vor allem das Argument der Bundesregierung fand ihre Billigung, dass unversicherte Amerikaner die Kosten für ihre Behandlung im Notfall bisher auf die Allgemeinheit abwälzen könnten und es daher nur recht und billig sei, sie daran durch den Zwang zur Krankenversicherung zu hindern.

Unter Experten galt es aber nach der Anhörung als ausgemacht, dass die Skepsis der konservativen Richter kein gutes Zeichen für die Reform sei. Der angesehene Rechtsexperte des Magazins New Yorker und des Kabelsenders CNN, Jeffrey Toobin, nannte die Anhörung sogar eine "Katastrophe" für das Weiße Haus.

© SZ vom 29.03.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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