Wahlkampfabschluss der Union:Die Kanzlerin und die kaschierte Angst

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Am Ende herrscht wieder Harmonie zwischen den Schwestern: Auf ihren Wahlkampf-Abschlussveranstaltungen geben sich CDU und CSU zwar siegessicher. Doch hinter den Kulissen machen sich viele Sorgen.

Michael König und Birgit Kruse

Nur an drei Tagen hat es während ihrer Wahlkampf-Tour geregnet, erzählt Angela Merkel, und erinnert sich an eine Veranstaltung in Baden-Württemberg: "Als ich aus dem Auto gestiegen bin, hat es in Ulm noch geregnet. Als ich auf der Bühne war, hörte es auf."

Auch bei ihrem Wahlkampfauftritt in Berlin-Treptow scheint an diesem Mittag die Sonne. Aber darauf verlassen wollten sich die Parteistrategen wohl nicht. Bundeskanzlerin Angela Merkel im Regen, das wäre zum Wahlkampfabschluss wohl das falsche Signal gewesen.

Die SPD hatte am Freitag am Brandenburger Tor getagt, die CDU zieht sich an diesem Samstag in das Innere einer ehemaligen Fabrikhalle zurück. In der Arena in Berlin-Treptow ist alles berechenbar. Das Licht ist in den Parteifarben orange und blau gehalten, die Gäste sind sorgsam ausgewählt: Einige Flashmobber und Umweltschützer werden nach draußen geleitet, als sie Plakate hochhalten und "Yeah" brüllen. Dabei hat Merkel sie zuvor direkt angesprochen und willkommen geheißen.

Unter weiß-blauem Himmel

Auch aus Bayern kommen heute keine größeren Störfeuer - allenfalls ein paar gut versteckte Seitenhiebe vom CSU-Chef. Gleich zu Beginn wird Horst Seehofer aus München zugeschaltet und meldet pflichtbewusst mit seinem verschmitzten Lächeln auf dem Gesicht: "Weiß-blauer Himmel über dem Marienplatz, die Zeichen stehen auf Sieg". Er sei ja "für Freundlichkeiten besonders geeignet" und habe deshalb ein Geschenk für die Kanzlerin: Ein großes Lebkuchenherz mit dem Schriftzug "Angela, unser Sonnenschein".

Er hoffe sehr, dass sie dieses Herz in Größe XXXL demnächst in ihrem Büro oder gar zu Hause aufhängen werde. Dass es zwischen den beiden nicht immer besonders herzlich zugegangen ist, bleibt an diesem Tag unerwähnt.

Ebenso wie das 100-Tage-Sofortprogramm der CSU, mit dem Seehofer sich von der großen Schwester abgrenzen will. Erst am Schluss seiner Rede pickt Seehofer sich die Passage zu Familie und Erbschaftssteuer heraus. Stattdessen wird er nicht müde, zwei Dinge immer wieder zu betonen: Nur mit einer starken CSU könnten auch die bayerischen Interessen im Bund garantiert werden.

Außerdem brauche Deutschland die "Führungskraft" der Kanzlerin, ruft er den Tausenden zu, die sich auf dem Marienplatz versammelt haben. Deshalb werde sie "morgen" auch auf ein "Höchstmaß an Unterstützung" bauen können. Ob diese Zusage aus Bayern auch für die Tage nach dem Sonntag gilt, bleibt ungewiss.

Denn die Stimmung an der Basis ist angespannt. Wochenlang konnten die Konservativen nicht genug bekommen von den Wahlumfragen, die sie als klaren Sieger auswiesen. Jetzt bläst der Wind aus der Gegenrichtung. Die Moderatoren auf der CDU-Bühne lächeln gequält, als der ehemalige Dschingis-Khan-Sänger und Merkel-Unterstützer Leslie Mandokie ins Mikrofon ruft: "Es ist unsere patriotische Pflicht, dass wir morgen über 40 Prozent kommen!"

In den jüngsten Umfragen liegt die Union bei 33 Prozent. Gemeinsam mit der FDP kommt sie auf 47 Prozent - genauso viel kann Rot-Rot-Grün auf sich vereinen. Ein schwarz-gelbes Bündnis könnte erneut an einer schwachen CDU scheitern - wie schon 2005, als die SPD einen ähnlichen Schlussspurt hinlegte.

Doch auch in der CSU sorgt man sich, am Wahlsonntag den selbstgesteckten Ansprüchen nicht genügen zu können. Als Zielmarke haben sich die Christsozialen ein ähnlich gutes Ergebnis wie bei der Bundestagswahl 2005 gesetzt - also knapp unter 50 Prozent. Nur so könne man "als bayerisches Volk in der deutschen Politik mitreden", ruft Seehofer mit immer heiserer Stimme in die Mikrofone. "Wir sind verliebt ins Gelingen und nicht ins Scheitern."

Sollte die CSU jedoch schlechter abschneiden, wird es zwar keine Palastrevolution wie bei Edmund Stoiber geben. Die zwei zusätzlichen Ministerposten, die sich die CSU in Berlin erträumt, aber auch nicht.

Suche nach Schuldigen

In der CDU ist die Suche nach einem möglichen Schuldigen bereits in vollem Gange. Wahlkämpfer in der Union raunen, die FDP verschrecke die Wähler, weil sie beim Thema Kündigungsschutz zu rabiat gewesen sei. Den eigenen Anti-Wahlkampf-Wahlkampf halten sie für richtig.

Auch Angela Merkel hält sich bis zum Schluss an ihre Linie: "Ich will nicht die Wahlkampfvorstellung durch meine Sachdarlegungen kaputt machen", entgegnet sie den Moderatoren, als die über den G-20-Gipfel in Pittsburgh sprechen.

Merkel hält sich an Grundsätzliches: "Wir versprechen nicht das Blaue vom Himmel", sagt sie. "Deutschland braucht keine Experimente, Deutschland braucht stabile Verhältnisse."

"Welthauptstadt der Herzen"

Für die ist man auch in München, der "Welthauptstadt der Herzen", wie Seehofer sie nennt: Für soziale Marktwirtschaft und die Abschaffung der kalten Progression, für mehr Arbeitsplätze und mehr Geld für Bildung. Und für all die anderen Dinge, für die die CSU eben sonst auch immer ist.

Doch was wäre ein bayerischer Wahlkampf, wenn man dem politischen Gegner nicht noch ein paar verbale Watschen mit auf den Weg gibt. Auch wenn Seehofer in den letzten Wochen mit Vorliebe auf seinen bayerischen Koalitionspartner, die FDP, geschimpft hat - heute sind andere an der Reihe. CSU-Spitzenkandidat Peter Ramsauer warnt vor "linken politischen Irrlichtern".

Eine Fortsetzung der großen Koalition wäre für die SPD nur ein Zwischenschritt zu einem Bündnis mit den Linken, "das unser Land zugrunde richten würde". Der Applaus ist ihm sicher - die Sorgen seiner Partei vor einem schwachen Wahlergebnis und damit dem schwindenden Einfluss in einer schwarz-gelben Koalition kann er ihnen damit jedoch auch nicht nehmen.

"Die Sozialdemokraten wissen weder ein noch aus"

Auch Merkel übte Kritik - am Noch-Koalitionspartner. "Die Sozialdemokraten wissen weder ein noch aus", sagt sie: Die einen würden darauf hoffen, "dass Guido Westerwelle sein Wort bricht" und die FDP einer Ampelkoalition zustimmt. Die anderen würden längst an einem rot-rot-grünen Bündnis arbeiten. "Stabilität gibt es nur mit einer starken CDU", sagt Merkel und fügt hinzu: "in einer Koalition mit der FDP."

Und natürlich mit der kleinen und selbstbewussten Schwester aus Bayern: "Deutschland hat es noch nie geschadet, wenn man auf die Bayern gehört hat", ruft Horst Seehofer noch in Richtung Berlin.

Doch zu diesem Zeitpunkt sitzt die Kanzlerin schon längst wieder in ihrem Auto.

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