Wahlchancen der SPD:Worauf Peer Steinbrück hoffen muss

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Nach dem Bundesparteitag will die SPD wieder an ihre Chance glauben - und ihre Lage ist tatsächlich besser, als die Zahlen vermuten lassen. Doch egal, wie viele Rechenschiebereien man zugunsten der Sozialdemokraten vornimmt: Die Partei muss zulegen.

Von Oliver Klasen

"Ich will Kanzler der Bundesrepublik Deutschland werden" - mit diesem Satz, der eigentlich ein Schlusssatz wäre, eröffnet Peer Steinbrück am Sonntag in Augsburg seine Parteitagsrede. Es folgt: Energisches Klatschen, Jubeln, Euphorie. Die Delegierten erheben sich von ihren Plätzen.

Mehr als eine Minute lang muss Steinbrück seine Rede unterbrechen. Es ist eine Minute, die auf einen Schlag alles vergessen zu machen scheint. Die Vortragshonorare, das ungeschickte Interview über das angeblich zu niedrige Kanzlergehalt, den Flop mit dem Peerblog, die Clown-Äußerung nach der Italienwahl, der von einer Zeitarbeitsfirma stammende Wahlkampfslogan undundund. All die Pleiten, Pannen und Peinlichkeiten, die den Wahlkampf des Kanzlerkandidaten bisher bestimmt haben - sie sind weit weg, jedenfalls in diesem einen Moment.

Die Sozialdemokraten, die in den vergangenen Monaten manchmal verzweifelt sind an ihrem Kandidaten, hat er wieder gepackt mit seiner Rede. "Wenn wir mobilisieren, dann gewinnen wir", sagt Steinbrück am Ende. 160 Tage sind es noch bis zur Bundestagswahl - Zeit genug, aufzuholen. Doch auch Zeit genug, um den nächsten Bundeskanzler zu stellen?

Die Koalitionsarithmetik entscheidet

Die Fakten sprechen gegen Peer Steinbrück. Nach einer aktuellen Forsa-Umfrage, die allerdings vor dem Parteitag durchgeführt wurde, kann die Union derzeit mit 41 Prozent rechnen. Die SPD kommt auf 23 Prozent - das wäre so wenig wie bei der Bundestagswahl 2009. Die Werte, die das ZDF-Politbarometer kurz vor dem Parteitag veröffentlicht hat, sind nur unwesentlich besser: 27 Prozent für die SPD, 42 Prozent für CDU/CSU. Bei einer theoretischen Direktwahl würden 63 Prozent Merkel wählen, nur 27 Steinbrück. Schlimmer noch: Selbst beim Thema soziale Gerechtigkeit, dem Kernpunkt des SPD-Wahlprogramms, liegt Steinbrück in der ZDF-Umfrage hinter Merkel. 26 Prozent der Befragten erwarten hier eher Fortschritte von der Kanzlerin, nur 24 Prozent vertrauen eher ihrem Herausforderer von der SPD.

Wie kann Steinbrück in dieser Lage doch noch Kanzler werden?

Eine Antwortmöglichkeit leitet sich aus der Koalitionsarithmetik ab. Denn danach sieht es gar nicht so deprimierend aus für die Sozialdemokraten, jedenfalls dann, wenn man sich die Umfragen genauer betrachtet.

  • Mehr als 15 Prozentpunkte Abstand zwischen den beiden großen Parteien wirken auf den ersten Blick immens, vielleicht sogar uneinholbar. Wichtig zu wissen ist allerdings, dass Steinbrück und die SPD ja gar nicht stärker werden müssen als die Union. Sie müssen nur eine Mehrheit zustande bringen - und dafür sind die Chancen durchaus gegeben.
  • Im für die Sozialdemokraten günstigsten Fall scheitert die FDP an der Fünf-Prozent-Hürde und die Linken kommen mit fünf oder sechs Prozent nur knapp in den Bundestag. Genau das prognostiziert zum Beispiel jetzt schon die ZDF-Umfrage. Wenn die "sonstigen Parteien" dann gemeinsam auf etwa sieben Prozent kommen, würden SPD und Grünen zusammen etwa 45 Prozent der Stimmen reichen, um die nächste Regierung zu bilden. (Beispielrechnung: 100 Prozent minus 4,5 Prozent für die FDP minus 7 Prozent für die Sonstigen = 88,5 Prozent geteilt durch 2 sind gleich 44,25 Prozent). Derzeit liegt Rot-Grün, wenn man die Anteile beider Parteien addiert, bei 41 Prozent. Demnach trennen Steinbrück von einer Kanzlerschaft also nur knapp vier Prozentpunkte. Vier Prozentpunkte, die Steinbrück mit seiner SPD nicht einmal allein gutmachen muss: Er darf auch noch darauf hoffen, dass die Grünen möglicherweise noch etwas zulegen.
  • Wahrscheinlicher dürfte allerdings sein, dass die Liberalen in den Bundestag einziehen. Die Forsa-Umfrage gibt der FDP derzeit sechs Prozent. Zwar würde sich der Stimmenanteil, den Steinbrück gemeinsam mit den Grünen aufholen muss, dann auf mindestens 5,5 Prozentpunkte erhöhen. (Beispielrechnung: 100 Prozent minus 7 Prozent Sonstige = 93 Prozent geteilt durch 2 = 46,5 Prozent. Bei 41 Prozent steht Rot-Grün in der ZDF-Umfrage. In der Forsa-Umfrage sind es zwar nur 37 Prozent, allerdings geht dieses Institut in den vergangenen Jahren stets von sehr niedrigen Werten für die Sozialdemokraten aus.)
  • Positiv für Steinbrück könnte sich auswirken, dass die Stimmen für die Liberalen Leihstimmen sind, die zulasten der Union gehen und dem bürgerlichen Lager insgesamt keinen Gewinn bringen. So war es zum Beispiel bei der Niedersachsen-Wahl, als die Liberalen fast zehn Prozent erreichten und es wegen der Verluste der Union trotzdem nicht für eine Neuauflage von Schwarz-Gelb reichte.
  • Überhaupt lohnt für die SPD ein Blick in die Länder: Ob Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen oder Schleswsig-Holstein - zuletzt haben die Sozialdemokraten zum Teil deutlich zulegen können, während die Union Stimmen verloren oder nur sehr leicht dazugewonnen hat. Wenn die alte Regel noch gilt, dass ein Machtwechsel im Bund sich über die Länder und ankündigt, dann kann die SPD einigermaßen hoffnungsvoll in die Zukunft schauen. Allerdings: Im Bund geht es um den Kanzlerposten - und den hat Angela Merkel inne, deren Beliebtheitswerte weiterhin hoch sind.
  • Ein Faktor, der sich ebenfalls vorteilhaft für Steinbrück auswirken könnte, sind die Anti-Euro-Populisten der "Alternative für Deutschland", die sich am Wochenende auf einem Parteitag in Berlin gegründet haben. Sie könnten der Merkel-CDU durchaus gefährlich werden, weil die jene bürgerlich-konservativen Wähler abfischen, die mit der Euro-Rettungspolitik unzufrieden sind. Auf 17 Prozent beziffert das ZDF-Politbarometer den Anteil jener, für die die Wahl einer Anti-Euro-Partei grundsätzlich infrage kommt. Infratest dimap geht gar von einem Wählerpotenzial von 24 Prozent aus. Zwar dürften diese Zahlen sehr weit vom tatsächlichen Wahlergebnis entfernt sein, doch das macht nichts. Im Gegenteil. Für Steinbrück wäre es am besten, wenn die neue Protestpartei zwei oder drei Prozent bekommt, denn das erhöht den Stimmenanteil der sonstigen Parteien, die nicht in den Bundestag einziehen, senkt aber den Anteil, den Rot-Grün für eine Mehrheit bräuchte. (Noch einmal ein Beispielergebnis, bei dem es für Steinbrück ganz knapp reichen würde: CDU 38 Prozent, FDP vier Prozent, Linke fünf Prozent, AfD drei Prozent, andere sonstige sieben Prozent, SPD 28 Prozent, Grüne 15 Prozent).

Doch, egal, wie man den Rechenschieber zugunsten der Sozialdemokraten verschiebt: Die Partei muss - verglichen mit den Umfragen zum jetzigen Zeitpunkt - Stimmen dazugewinnen. Mindestens 30, besser 32 Prozent muss Steinbrück anpeilen, sonst dürfte es aus eigener Kraft nichts werden mit der Kanzlerschaft. Doch wie können die Sozialdemokraten die Wähler jenseits der Basis erreichen?

Berater des SPD-Kanzlerkandidaten
:Steinbrücks fehlbare Einflüsterer

Erst das Kanzlergehalt, jetzt der Ärger um das inzwischen abgeschaltete "Peerblog": Warum macht Peer Steinbrück so viel falsch? Liegt es an seinen Beratern? Wie seine Konkurrentin Merkel hat der SPD-Kanzlerkandidat zahlreiche Vertraute um sich geschart. Ein Überblick.

Von Thorsten Denkler, Berlin

Den Popularitätswettbewerb mit Merkel wird Steinbrück nach Lage der Dinge ohnehin nicht gewinnen. Die Politbarometer-Umfrage liefert dafür geradezu niederschmetternde Indizien: 63 zu 27 Prozent bei der Frage, wen die deutschen lieber im Kanzleramt sähen, 44 zu elf Prozent bei der Glaubwürdigkeit, 50 zu 17 Prozent in puncto Sympathie. Also muss Steinbrück sich persönlich zurücknehmen und auf seine Partei und deren Programm setzen.

Auch hier lohnt ein Blick in die Umfragen: So haben sich bei ZDF-Politbarometer etwa 81 Prozent für einen gesetzlichen Mindestlohn ausgesprochen, eine der Kernforderungen im SPD-Wahlprogramm. Steinbrück scheint das verstanden zu haben. "Irgendwas läuft da jetzt differenzierter da oben", sagte er auf dem Parteitag und deutete eine Schraubbewegung an seinem Hinterkopf an. Allerdings: Auch Merkel will den Mindestlohn.

160 Tage - eine lange Zeit

160 Tage sind noch eine lange Zeit. Auch 2005 sah es für die Sozialdemokraten alles andere als gut aus, doch damals schaffte es Gerhard Schröder, die SPD innerhalb weniger Wochen dank seines Charismas und seiner Raufbold-Attitüde noch von 24 Prozent in den Umfragen auf das spätere Wahlergebnis von 34,23 Prozent zu hieven. Gelänge Steinbrück eine nur halb so fulminante Aufholjagd, er würde wohl Kanzler werden. Allerdings muss er dabei den Anti-Schröder geben. Den Weg seines Vorgängers kann er nicht gehen, denn anders als Schröder ist er kein Sympathieträger.

Viel dürfte schließlich zum Beispiel vom Kanzlerduell abhängen, das einige Wochen vor dem Wahltermin live im Fernsehen übertragen wird. Hier müsste der SPD-Kandidat versuchen, die Kanzlerin inhaltlich zu stellen und zu einer klaren Aussagen zu zwingen.

Ein schwacher Trost: Das Image vom Pannen-Peer hat sich in der öffentlichen und vor allem in der veröffentlichten Meinung derart verfestigt, dass der SPD-Kandidat eigentlich kaum noch etwas zu verlieren hat.

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