Wahl in Griechenland:Bangen zwischen Wunder und Realität

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Die Wahl in Griechenland ist ein Votum über den Verbleib in der Euro-Zone. Die konservative Nea Dimokratia verspricht Stabilität, die linke Syriza steht für eine Absage an alte Sparversprechen. Werden die griechischen Wähler weiterhin daran glauben, dass sie den Euro ohne Anstrengungen behalten können?

Nikos Konstandaras

Die Griechen gehen in diese Wahlen, als hätte einer von Homers Göttern mitten in einer Schlacht eine Ladung Mist über ihre Augen gekippt. Das Volk ist ernsthaft gespalten, die beiden führenden Parteien scheinen zwei verschiedene Welten zu repräsentieren, sie scheinen nicht wirklich zu verstehen, was hier auf dem Spiel steht. Die Wahlkampagnen haben sich auf die Kreditverpflichtungen gegenüber den Partnern von EU und Internationalem Währungsfonds fokussiert - dies aber, indem sie gestern gemachte Zusagen infrage stellen, und nicht, indem sie Herausforderungen von heute und morgen benennen. Obwohl viele Ausländer befürchten, dass die Zukunft der Euro-Zone vom Ausgang der Wahl an diesem Sonntag abhängt, haben sich viele Griechen von etwas anderem selbst überzeugt: Dass diejenigen, die warnen, am Ende nur bluffen - und dass Griechenland nach der Wahl so weitermachen kann wie vorher.

Menschen in Griechenland
:Was von der Hoffnung übrig bleibt

Fünf Jahre Krise haben Griechenland von einem selbstbewussten Euro-Staat zum Sozialfall des Kontinents werden lassen. Armut, Trauer, verletzter Stolz und die Wut der Menschen haben das Leben in Athen verändert. Eine Fotoreportage aus einer Stadt, in der die Hoffnung täglich ein bisschen mehr schwindet.

Mansour Aalam

Griechenlands politische Szene ist in den vergangenen beiden Jahren ziemlich fragmentiert. Die sozialistische Pasok, die die Wahlen von 2009 noch mit 44 Prozent gewonnen hatte, brach bei der Wahl am 6. Mai auf 13 Prozent zusammen; die konservative Nea Dimokratia fiel von 33 auf 18,8 Prozent.

Das war eine Revolution, die beiden Parteien hatten einander seit 1974 an der Macht abgewechselt, indem sie sehr ähnlich regierten: Sie erhielten ein Klientelsystem aufrecht, das so vielen Wählern wie möglich gab, was immer sie wollten. Dies schuf eine Serie von Defiziten und Schulden, die zum Zusammenbruch der Volkswirtschaft und in die Vereinbarungen mit EU und IWF, Memorandum genannt, führte. Dies wiederum löste erheblichen Druck auf die Gesellschaft aus, besonders auf jene Gruppen, die schon immer die Last schlechter Politik in Griechenland tragen mussten: die Steuerzahler, von denen die meisten Angestellte und Rentner sind, ebenso die Arbeitslosen und die Unterbeschäftigten.

Pasok: Reformen verschleppt, Verantwortung verweigert

Dann verschleppte die Pasok die Reformen, die ihre stärkste Klientel getroffen hätten - gewerkschaftlich organisierte Arbeiter und der große öffentliche Dienst -, und die Nea Dimokratia weigerte sich zunächst, das Memorandum mitzutragen; sie argumentierte, sie wolle Maßnahmen für Wachstum sehen, und kein Sparprogramm. Da spürten jene Bürger, die die Hauptlast des Sparprogramms trugen, dass ihre Opfer umsonst waren. Das ist der Grund, warum sie die beiden großen Parteien aufgegeben haben; wobei es überraschend war, wie viele Stimmen am 6. Mai zu dem radikal linken Syriza-Bündnis gegangen waren, das nach 4,6 Prozent im Jahr 2009 nun auf 21,4 Prozent kam.

Syriza, ein Zusammenschluss aus zwölf Gruppen, war von seinem Erfolg selbst überrascht und brauchte nun irgendwie ein Fundament zum Regieren - was niemand für möglich gehalten hätte. Früher war Syriza ein Fluchtpunkt für verärgerte Wähler, nun war dies plötzlich eine der Parteien, denen ein Regierungsauftrag erteilt würde.

Was sie für die Wähler am 6. Mai attraktiv machte, war die eindeutige Erklärung: Das Erste, was man nach einem Sieg tun würde, sei die Kündigung der Kreditabmachungen - hinzufügend, auf keinen Fall zu wollen, dass Griechenland den Euro verlässt und dass unsere Partner weiterhin die Kreditraten überweisen sollten. Jüngste Umfragen zeigen Syriza Kopf an Kopf mit der Nea Dimokratia, die sich als die einzige Kraft präsentiert, die noch in der Lage sei, Griechenland stabil und innerhalb der Euro-Zone zu halten.

Wie können die Wähler überzeugt werden, dass die Griechen nicht die Zusagen im Memorandum brechen und zugleich weiter Geld von ihren Mitbürgern aus den anderen EU-Staaten erwarten können? Syriza und andere Anti-Memorandum-Parteien beharren darauf: Jeder, der die Wahlen als Referendum über Griechenlands Mitgliedschaft in der Euro-Zone darstellt, betreibt Panikmache und blufft - und dies nur, um die "Parteien des Bankrotts" zu unterstützen, jene, "die versucht haben, die Griechen mit Furcht und Unsicherheit zu vergiften", wie Syriza-Chef Alexis Tsipras es in einer Wahlkampfrede am Donnerstag in Athen gesagt hat.

Darüber hinaus hat er den Unsinn verbreitet, dass er die Kreditvereinbarungen neu aushandeln würde. Man kann den Gläubigern der Griechen unterstellen, dass sie bereit sind, mehr Zeit für die Anpassung des Landes zu bewilligen. Aber sie werden mit Sicherheit nicht bereit sein, ein unreformiertes Griechenland weiter zu finanzieren.

Was Tsipras sagt, mag ihm den Wahlsieg bringen, aber es wird sehr schwer sein für ihn zu regieren: Entweder wird er sich einer geschlossenen Front aus EU und Internationalem Währungsfonds gegenübersehen. Diese werden nicht versuchen, eine Krise zu erzwingen, aber sie werden bei seinen Forderungen kaum mitmachen. Oder er verwässert seine Politik, um zu regieren. In dem Fall wird er früher oder später einer Rebellion aus den Syriza-Parteien ausgesetzt sein.

Wenn man darüber hinaus annimmt, dass er zum Regieren eine Koalition mit weiteren Parteien braucht, fällt es sehr schwer zu glauben, dass Tsipras in der Lage ist, eine realistische Politik zu betreiben, die seine Regierung zusammenhält und Zeit für Griechenland gewinnt, damit das Land einen Weg findet, in der Euro-Zone zu bleiben. Da seine Linie ist, alle Reformen und Sparmaßnahmen der vergangenen zwei Jahre rückgängig zu machen, scheinen ökonomischer Stillstand sowie die Rückkehr zur Drachme unvermeidlich zu sein.

Nea Dimokratia: Wähler wider Willen

Der andere Pol dieser Wahl, die Nea Dimokratia, ist mit zweierlei belastet: mit der Tatsache, dass sie eine der beiden Parteien ist, die Griechenland in den Bankrott geführt haben, und dem Umstand, dass sie im vergangenen Jahr dem Memorandum zugestimmt haben. Viele derjenigen, die nun für die Partei stimmen werden, kommen von anderen Parteien, auch von der Pasok; Wähler, die unter anderen Umständen niemals für den Chef der Konservativen, Antonis Samaras, gestimmt hätten.

Zusammengefasst gesagt: Die griechischen Wähler können sich also entscheiden zwischen der Stabilität, dem Sparprogramm und der Hoffnung auf gewisse Nachverhandlungen mit unseren Kreditgebern. Das ist das, was die Nea Dimokratia verspricht. Oder sie votieren für die stolze Zurückweisung aller Vereinbarungen, verbunden mit der Hoffnung, dass das Land im Euro bleibt und die Wirtschaft nicht zusammenbricht. Letzteres ist das, was Syriza propagiert. Wir warten also entweder auf ein Wunder oder darauf, dass sich die Realität in Form eines Stillstands von Politik und Wirtschaft Geltung verschafft. Das Ergebnis bekommen wir, sobald sich der Nebel nach den Wahlen verzogen hat.

Nikos Konstandaras ist Chefredakteur der Tageszeitung Kathimerini in Athen.

© SZ vom 16.06.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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