Wahl in den Niederlanden:"Geert Wilders ist nur ein verrückter Typ mit einer komischen Frisur"

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An diesem Mittwoch wird in den Niederlanden ein neues Parlament gewählt. Sechs Wähler erzählen, wie sie die Stimmung in ihrem Land wahrnehmen.

Protokolle von Simon Conrad und Elisabeth Gamperl

Am Mittwoch entscheidet sich, wer in den Niederlanden die kommenden vier Jahre regiert. 28 Parteien treten bei der Wahl an. Der Rechtspopulist Geert Wilders liefert sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit der rechtsliberalen VVD des amtierenden Ministerpräsidenten Mark Rutte.

Dieuwke Simonis-Stellinga, 41, führt ein Restaurant im Hooge Zwaluwe. Sie ist Mitglied der rechtsliberalen VVD.

Die Stimmung in den Niederlanden ist gerade sehr angespannt. Man hat Angst, dass ganz Europa nach rechts rückt. Deswegen sind jetzt die Augen auf die Niederlande gerichtet. Ich bin aber optimistisch und hoffe, dass sich viele Niederländer gegen Geert Wilders und seine Partei PVV entscheiden. Wer sie wählt, der sagt Nein zu Europa und unserer Gesellschaft, wie wir sie kennen.

Wenn sich die Gelegenheit bietet, versucht Dieuwke Simonis-Stellinga Wilders-Wähler davon abzuhalten, für den Rechtspopulisten zu stimmen. (Foto: Privat)

Es gibt auch nicht den einen Wilders-Wähler. Man kann aber sagen, dass seine Wähler durch die Bank wütend über den Status quo sind und das Gefühl haben, abgehängt zu sein. Immer wenn ich auf einen Wilders-Wähler treffe, versuche ich ihn vom Gegenteil zu überzeugen. Das hilft manchmal.

Bei der letzten Wahl hat man gewählt, ohne groß darüber zu sprechen. Ich habe das Gefühl, dass diesmal mehr diskutiert wird. Ich selbst wähle wieder die VVD - die regierende rechtsliberale Partei. Ich bin auch einfaches Parteimitglied. Die Partei hat uns gut durch die Finanzkrise gebracht. Sie ist konstruktiv und sie lässt sich nicht von Angst oder Hass leiten.

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Klar hat sie auch Fehler gemacht, aber ich rechne ihr hoch an, dass sie den Arbeitsmarkt angekurbelt und für Arbeitsplätze gesorgt hat. Ich hoffe, sie wird wieder stärkste Partei. Damit wir weiter optimistisch in die Zukunft blicken können.

Janneke Stegeman, 36, vom Kulturzentrum "De Nieuwe Liefde" ("Die neue Liebe") ist Theologin des Jahres 2017 und Mitglied in der Partei "GroenLinks". Sie ist allerdings noch unentschlossen, wem sie ihre Stimme geben wird.

Seit ich "Theologin des Jahres" bin, werde ich oft zu Interviews und Debatten eingeladen. Vor Kurzem war ich in einer christlichen Radiosendung. Die Frage in die Runde: Sind Sie dafür, dass Muslime dieselben religiösen Rechte wie Christen haben? Das ist doch absurd: Die ganze Wahl wird davon bestimmt, dass Demokratie, dass angeblich das "christlich-jüdische" Erbe und die niederländische Identität verteidigen werden müssten. Auf Kosten einer Minderheit, versteht sich. Das macht mir schon Sorgen.

"Scheinprobleme werden besprochen, die wichtigen Themen fallen unter den Tisch", sagt Janneke Stegeman. (Foto: Privat)

Wenn ich auf Facebook Artikel poste, die den islamfeindlichen Diskurs infrage stellen, verblüffen mich die Reaktionen. Islamfeindlichkeit ist mittlerweile im politischen Mainstream angekommen, selbst unter meinen Bekannten. Dabei stört mich vor allem als Theologin, wie das Christentum politisch instrumentalisiert wird.

Manche machen selbst vor der Geschichte nicht halt: Letztens sprach der Christdemokrat Sybrand van Haersma Buma von 1000 Jahren Frauenrechten und Gleichberechtigung dank Christentum, die jetzt durch muslimische Einwanderung bedroht seien. Als hätte es früher keine Probleme gegeben!

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Bei dieser Wahl steht viel auf dem Spiel. Ich glaube zwar nicht, dass die PVV an die Macht kommt. Nur wird ausschließlich über Scheinprobleme gesprochen, die wichtigen Themen fallen unter den Tisch: Die Leute sprechen über die niederländische Identität anstatt über den Klimawandel, zum Beispiel.

Ob ich wie in den vergangenen Jahren wieder für GroenLinks stimme, weiß ich trotzdem noch nicht. Mir imponiert die neue Partei Artikel 1, die sich für mehr Gleichberechtigung einsetzt. Ich will aber meine Stimme nicht verschenken - hinterher kommt sie nicht ins Parlament. Das politische Klima ist auf jeden Fall ungemütlicher als bei vergangenen Wahlen.

Rika van Praag, 93, Rentnerin aus Tholen. Sie wünscht sich mehr Unterstützung für die Alten und Arbeitslosen. Wen sie wählen wird, verrät sie nicht.

Ich glaube nicht an die Versprechen der Politiker. Eigentlich denke ich auch kaum über Politik nach, auch mit Freunden und meiner Familie spreche ich nicht darüber. Trotzdem ist es natürlich eine wichtige Wahl - Wahlen sind immer wichtig.

Mark Rutte von der VVD habe ich bis vor Kurzem nicht sehr gemocht, letztens sah ich ihn aber im Fernsehen, da schien er ganz nett. Ich glaube trotzdem, dass die meisten Leute für Geert Wilders stimmen werden. Das Klima ist diesmal aufgeheizter, die Leute halten hartnäckiger an ihren Positionen fest als sonst. Ich halte mich da raus.

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Im Fernsehen sprechen die Leute hauptsächlich über Wilders. Er sagt, das Land sei voll und die Grenzen müssten dichtgemacht werden, dann reagieren andere und widersprechen ihm. Wilders spricht aber auch davon, sich mehr um ältere Menschen und Arbeitslose zu kümmern. Meine Rente ist in den vergangen zwei Jahren auch runtergegangen. Die Regierung hat zudem die Gelder für nicht ausgebildete Pfleger gestrichen. Ich hatte so einen, er war für mich fast Teil der Familie. Mir wurde zwar eine neue, professionelle Pflegerin angeboten, aber das will ich nicht.

Natürlich hat das Einfluss auf meine Wahl. Ich will jemanden, dem die Alten und die Arbeitslosen wichtig sind. Wen ich wähle, möchte ich aber nicht sagen. Es wird die Partei sein, die sich am meisten für alte Menschen einsetzt.

Bas Doodeman, 26, ist Risikomanager bei einer Wirtschaftsprüfungskanzlei in Amsterdam und wird die linksliberale D66 wählen.

Die Niederlande hatten es während der Finanzkrise nicht leicht, aber jetzt geht es wieder aufwärts. Wir haben mehr Geld und es gibt auch wieder mehr Arbeitsplätze. Trotzdem polarisiert die PVV mit Geert Wilders, der gegen Migration wettert.

Wir in den Niederlanden haben eine sehr fragmentierte Parteienlandschaft. Deshalb denke ich nicht, dass Wilders in die Regierung kommen wird. In den Niederlanden müssen diesmal wohl vier bis fünf Parteien miteinander koalieren. Viele Parteien sprachen sich gegen eine Koalition mit Wilders aus. Ich glaube also, er hat keine Chance.

Bas Doodeman geht davon aus, dass Wilders keine Chance hat, sich an der Regierung zu beteiligen. (Foto: Privat)

Auch gibt es für Parteien in den Niederlanden eine sehr niedrige Sperrklausel - selbst wenn man bei der Wahl nur ein paar Prozentpunkte erreicht (genauer: ca. 0,67 Prozent; Anm. d. Red.), bekommt man einen Sitz im Parlament. Selbst die Tierschutzpartei hat sitzt im Parlament. Das heißt, bei uns ist alles sehr auf Konsens gepolt.

Ich selbst werde die linksliberale D66 wählen, weil sie sich für Bildung einsetzt. Ich finde auch den rechtsliberalen Premierminister Mark Rutte und die VVD gut, aber sie haben die Ausgaben für das Militär erhöht. Damit war ich nicht einverstanden.

Hedda van Heijnzen, 28, ist Kundenberaterin aus Utrecht. Sie schwankt zwischen GroenLinks, D66 und der Tierschutzpartei.

In einem sind alle Politiker gleich: Sie streiten und diskutieren, sind in Talkshows und platzieren ihre Slogans, wo sie nur können. Konkrete Vorschläge, eine konstruktive Debatte, sich einander zuhören: Fehlanzeige. Zum Beispiel die Frauenquote: Seit langem plädieren die Grünen dafür, für mehr Frauen in den Vorständen großer Unternehmen zu sorgen. Das klingt natürlich gut, nur tut sich nie etwas. Das ist aber nichts Neues.

Wenn Wilders' PVV stärkste Kraft wird, erzählt Hedda van Heijnzen, dann überlegen einige ihrer Freunde, auszuwandern. (Foto: Privat)

Dass die politischen Positionen sowohl bei den Linken als auch bei den Rechten immer extremer werden, hat auch damit zu tun. Aber ehrlich gesagt, weiß ich nicht, wie das politische Klima so schlecht werden konnte. Manche Probleme wurden einfach nicht angesprochen: Lange Zeit traute sich kein Politiker laut zu fragen, warum vor allem marokkanische Jungs kriminell werden, weil sie nicht als Rassisten abgestempelt werden wollten. Jetzt wird die PVV vielleicht stärkste Kraft und einige meiner Freunde überlegen, auszuwandern.

Viele sind auch einfach desillusioniert. Meine Mutter wählt nicht, mein Bruder auch nicht. Ich schwanke noch zwischen GroenLinks, D66 und der Tierschutzpartei. Aber auch für mich waren die vergangenen Jahre nicht einfach: Alles wird teurer, Benzin, meine Krankenversicherung, obwohl ich schon die Billigste habe. In den Pflege- und Entwicklungsbereichen, die mich interessieren, sind in den vergangenen Jahren Fördergelder immer nur gestrichen worden. Von einer brummenden Wirtschaft kommt bei mir wenig an. Aber hey, es ist leicht sich zu beschweren - wir leben ja noch.

Rutger Dwars, 27, ist Angestellter in einem Pflanzenzuchtunternehmen und kommt aus Heerhugowaard. Er wählt D66.

Die Stimmung vor der Wahl ist nicht überall gleich, auch wenn die Situation insgesamt schon als sehr angespannt beschrieben werden kann. In Städten wie Amsterdam und Rotterdam gibt es viele wütende Menschen, Menschen die sich abgehängt fühlen, keinen Job haben und womöglich den Populisten Geert Wilders wählen.

Ich selbst komme aus einer kleinen Stadt in Nordholland. Bei uns ist es ruhiger. Wir sehen, dass es der Wirtschaft besser geht und Stellen ausgeschrieben werden. Bei uns gibt es keine Konflikte mit Migranten wie etwa Zuwanderern aus Marokko, die bei uns eine große Gruppe darstellen.

Rutger Dwars wählt die Partei, die sich für die Ehe für alle sowie einen freien Markt einsetzt. (Foto: Privat)

Migration ist das große Wahlkampfthema. Ich fürchte mich nicht vor dem Populisten Geert Wilders. Er ist nur ein verrückter Typ mit einer komischen Frisur. Seine Wähler machen mir Sorgen. Ich kenne selbst welche. Sie haben Angst, dass ihnen jemand das Land wegnimmt. Das kann ich nicht nachvollziehen. Aber ich glaube dennoch nicht, dass Wilders gewinnen wird.

Ich selbst werde D66 wählen. Sie sind liberal, setzen sich für die Ehe für alle ein und für einen freien Markt. Ich mag die Einstellung der Partei: Jeder denkt für sich, wir finden eine pragmatische Lösung, losgelöst von sozialdemokratischen und konservativen Denkrichtungen. Ich glaube nicht, dass diese Wahl irgendwie außergewöhnlicher ist, als die Wahlen in den vorangegangenen Jahren.

Auch wenn unser Premierminister Mark Rutte oft kritisiert wird, mag ich ihn. Er sagt, was er denkt - auch wenn ich nicht immer übereinstimme, finde ich das gut. Er ist kein Lügner, für ihn muss man sich nicht schämen.

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