Vor dem EU-Gipfel in Brüssel:Fahrplan mit einer Unbekannten

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Die EU will die neue Kommission benennen. Dazu muss Tschechiens Präsident Vaclav Klaus den Lissabon-Vertrag unterzeichnen - doch keiner traut ihm.

M. Winter

Die letzte Hoffnung der EU, den Vertrag von Lissabon noch in diesem Jahr unter Dach und Fach zu bekommen, richtet sich auf zwei Termine: den 3. und den 12. November. Sollte das Verfassungsgericht in Tschechien am 3. November die Klage gegen den Vertrag zurückweisen, und sollte der euroskeptische Präsident Vaclav Klaus in den darauffolgenden Tagen seinen Widerstand gegen das Reformwerk aufgeben, dann könnte man am 12. November auf einem Sondergipfel die neue EU-Spitze berufen. Das seien aber "ziemlich viele Konjunktive", warnte ein hoher europäischer Diplomat zum Auftakt des an diesem Donnerstag in Brüssel beginnenden EU-Gipfels.

Der euroskeptische Präsident von Tschechien, Vaclav Klaus: Wir er seinen Widerstand gegen den Vertrag von Lissabon aufgeben? (Foto: Foto:)

Auch wenn die 27 Staats- und Regierungschefs der Union davon ausgehen, dass Lissabon diesmal klappt, will doch keiner unter ihnen neue Probleme ausschließen. Wenn sie sich darum beim Abendessen über die auf der Tagesordnung stehenden "institutionellen Fragen" beugen, dann immer noch nicht, um die Spitze der EU auszugestalten und zu besetzen, wie viele gehofft hatten. Sondern es geht erneut darum, wieder einem Mitgliedsland, oder besser gesagt seinem Präsidenten, den Weg zur Unterschrift zu ebnen. Zu diesem Zwecke wird Klaus wohl eine Erklärung bekommen, dass die Charta der Europäischen Bürgerrechte in seinem Land nicht gilt - jedenfalls nicht so, dass sie gegen die Benes-Dekrete ins Feld geführt werden könnten, mit denen nach dem Zweiten Weltkrieg die Vertreibung und die Enteignung der Sudetendeutschen verfügt wurden.

Das war zwar eigentlich schon immer klar, weil der Vertrag nicht rückwirkend angewendet werden kann. Aber dennoch hat die amtierende schwedische EU-Präsidentschaft mit Prag eine Formulierung für die "Schlusserklärung" des Gipfels ausgehandelt, die nach Auskunft von Diplomaten "zufriedenstellend" sei.

Kaum einer traut Klaus noch

Im von den Außenministern am Montag gebilligten Entwurf für die Schlussfolgerungen steht sie allerdings noch nicht. Da findet sich nur das Kürzel "z. E.", was "zur Erinnerung" heißt und bedeutet, dass die Chefs hier selber Hand anlegen müssen. Der Grund ist einfach: Kaum einer traut Klaus noch. Dessen Andeutungen, er werde seinen Widerstand aufgeben, wenn die Sache mit den Benes-Dekreten geregelt sei, reicht unter anderem der deutschen Regierung nicht aus. Vom tschechischen Ministerpräsidenten Jan Fischer und von seinem schwedischen Kollegen Fredrik Reinfeldt würden beim Abendessen "belastbare Versicherungen" erwartet, dass sich Klaus nach der Erfüllung dieses Wunsches nicht noch weitere einfallen lässt, heißt es in diplomatischen Kreisen.

Sollte diese Hürde genommen werden und sollte das Verfassungsgericht in Brno (Brünn) die Klagen gegen den Vertrag zurückweisen - wovon nach bisheriger Erfahrung mit diesem Gericht allgemein ausgegangen wird -, dann könnten in der Tat am 12.November die Beschlüsse gefasst werden, die jetzt noch im Gipfeldokument fehlen. Beschlüsse, mit denen die EU praktisch vom alten Vertrag in den neuen übergeleitet wird. Und natürlich geht es dabei vor allem um die Frage, wer der neue und mächtigere Hohe Vertreter der EU für die Außen- und Sicherheitspolitik wird und wer den neugeschaffenen Posten eines ständigen Präsidenten des Europäischen Rates, also der Versammlung der Staats- und Regierungschefs bekommt.

Der britische Premierminister Gordon Brown befürwortete eine Kandidatur seines Vorgängers Tony Blair. Er würde sich "sehr freuen", Blair zu unterstützen, wenn dieser kandidieren sollte, sagte Brown am Mittwoch im Unterhaus in London. Auch der luxemburgische Ministerpräsident Jean-Claude Juncker gilt als ein möglicher Kandidat.

"Internationale Lastenteilung"

Da geht es um einen Ausgleich von nationalen und parteipolitischen Interessen.Werner Langen, der Vorsitzende der CDU-Gruppe im Europäischen Parlament, geht davon aus, dass die Personalentscheidungen schon am 9. November fallen, wenn die Staats- und Regierungschefs zur Feier von zwanzig Jahren Mauerfall nach Berlin kommen. Ob nun der 9. oder der 12. November, sobald klar ist, wer europäischer Außenminister und damit auch Vizepräsident der EU-Kommission wird, ist der Weg frei für die Benennung der übrigen 25 Kommissare. Die neue Kommission könnte sich dann am 16. Dezember der Abstimmung im Europäischen Parlament stellen. Klappt alles wie erhofft, dann würde der Vertrag von Lissabon zum 1.Dezember in Kraft treten und die neue EU-Kommission zum 1.Januar ihre Arbeit aufnehmen.

Neben den institutionellen Problemen wird der Gipfel von dem EU-internen Streit um den Klimaschutz beherrscht werden. Knapp zwei Monate vor dem internationalen Klimagipfel in Kopenhagen gibt es immer noch keine Einigung, welche Summen die EU in die "internationale Lastenteilung" einbringen wird. Und die osteuropäischen EU-Mitglieder weigern sich unter Führung Polens weiterhin, sich an europäischer Hilfe für arme Drittländer beim Kampf gegen den Klimawandel auch nur mit einem Euro zu beteiligen. Mit einer Lösung beider Probleme wird nicht gerechnet.

© SZ vom 29.10.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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