US-Wahl:Mit diesen Strategien wollen Trump und Clinton im TV-Duell bestehen

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Eine Gruppe von Studenten der Hostra-Universität vor dem Promoposter des TV-Duells. (Foto: Bloomberg)

Fauler Instinktmensch gegen detailverliebte Staatsfrau: So geben sich Trump und Clinton vor der 90-Minuten-Debatte. Heute Nacht geht es darum, Erwartungen zu erfüllen.

Analyse von Matthias Kolb, Washington

Die Regeln sind klar. 90 Minuten dauert die TV-Debatte, Hillary Clinton und Donald Trump stehen hinter ihren Pulten auf der Bühne der Hofstra University und die Fragen stellt NBC-Moderator Lester Holt. Es wird damit gerechnet, dass in den USA 100 Millionen Menschen zuschauen: Im Fernsehen, aber auch in Livestreams bei Facebook, Twitter und Youtube.

100 Millionen Zuschauer schalten sonst nur beim Super Bowl ein, dem Finale im American Football. Die erste Debatte zwischen Barack Obama und Mitt Romney verfolgten 67 Millionen - bisheriger Rekord. Das enorme Interesse liegt vor allem an Trump, der mit seinen Rivalen gern so umgeht wie Football-Spieler oder Wrestling-Stars und dessen Kandidatur so viele Emotionen auslöst.

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:Zu schrill, zu ehrgeizig, zu schwach

In den TV-Debatten ist Donald Trump nicht der einzige Gegner von Hillary Clinton. Als erste Präsidentschaftskandidatin kämpft sie auch gegen Sexismus und unbewusste Vorurteile der Wähler.

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Die mediale Aufregung ist enorm - nicht nur weil Clintons Vorsprung zusammengeschmolzen ist. Alle vier Jahre dreht sich vor dem ersten TV-Duell alles darum, die Erwartungshaltung an den eigenen Kandidaten zu beeinflussen. Zum expectation game gehört es, den Gegner starkzureden - die TV-Debatten werden nämlich seltener gewonnen als von einem der Teilnehmer verloren. 2012 galt Romney als Sieger, weil er neben Obama nicht verblasste (Erwartung übererfüllt!), der Präsident unkonzentriert war und die Mehrheit ein Rhetorik-Feuerwerk von Obama erwartete.

Heute ist es komplizierter: 34 Prozent sagten zuletzt, dass Trump als Sieger aus den Debatten hervorgehen würde; 44 Prozent rechnen mit Clintons Erfolg. Die Zahlen spiegeln zwei gegensätzliche Annahmen wider: Natürlich kennt die Demokratin mehr Einzelheiten als Polit-Neuling Trump, doch zugleich wird vom Ex-Moderator der Reality-TV-Show "The Apprentice" ein Spektakel erwartet.

Diese Erwartungen schüren Trump und Clinton. Unberechenbar, so möchte Präsident Trump außenpolitisch agieren (also verrät er den Plan nicht, wie der IS besiegt werden soll ) und so verhält er sich vor der Debatte. Er wisse nicht, was er auf der Bühne tun werde, sagte Trump zu Fox News. Er wolle seine Gegnerin mit Respekt behandeln und werde einfach seinem Instinkt folgen.

Clinton spielt ihre Favoritenrolle herunter - also übertreibt ihr Sprecher, wie dominant Trump in früheren Debatten war und ihre Unterstützer appellieren an die Moderatoren, Trumps Aussagen auf Faktentreue zu prüfen. Zugleich braucht sie einen guten Auftritt, um nach ihrem Schwächeanfall bei der 9/11-Feier Zweifel an ihrer Fitness zu zerstreuen ( mehr in dieser SZ-Analyse).

Auf diese Strategien setzen Trump und Clinton. Punktsieg für Trump: Durch seine Anwesenheit auf der Bühne neben Clinton erscheint er staatsmännischer. Er hofft, dass er nach den Debatten für mehr Wähler als Präsident vorstellbar ist. Deshalb raten ihm seine Berater, Optimismus auszustrahlen, auf Beleidigungen zu verzichten und "keine blöden Streitigkeiten" anzuzetteln. Zugleich muss er energisch sein und sein Außenseiter-Image pflegen - ob er Clinton offen als Betrügerin ("Crooked Hillary") bezeichnen wird, bleibt offen.

Vor einem ähnlichen Spagat steht Clinton: Sie muss zeigen, dass die Behauptung der Demokraten "Trump ist ungeeignet fürs Weiße Haus" stimmt - und zugleich souverän wirken. Eine Schlammschlacht ist nicht Clintons Ziel und sollte die erste Attacke von ihr ausgehen, könnte das als Verzweiflung interpretiert werden. Sie dürfte viele Fragen an Trump richten ("Wie sanieren Sie den Haushalt? Durch was soll Nafta ersetzt werden?). So könnte sie den Gegner dazu zwingen, etwas Dummes zu sagen - oder ihn fürs Ausweichen kritisieren. Kleine Provokationen könnten Trump verleiten, eine abfällige Geste zu machen - so etwas wäre in Social-Media-Zeiten pures Gold.

Das sind Stärken und Schwächen beider Kandidaten. Dass sich Trump in TV-Studios wohl fühlt, ist neben seinem Selbstvertrauen und seiner Unberechenbarkeit ein großes Plus. Zudem kann er knapper formulieren (nach der Debatte werden 30-Sekunden-Clips und Gifs das Internet fluten). Dass er zuletzt disziplinierter auftrat, lag auch am Einsatz von Telepromptern - die sind nun verboten. Lang ist die Liste seiner "Probleme": Es mangelt ihm an Detailwissen, er ist impulsiv (gerade wenn sein Reichtum angezweifelt wird), er beleidigt gern und verbreitet Unwahrheiten ( die NYT dokumentiert 31 (!) Lügen in dieser Woche). Trump hat weder an einer 1:1-Debatte teilgenommen noch mit einer Frau debattiert - hier sind Konzentration und Sensibilität nötig.

Da Clinton Dutzende Debatten absolviert hat, kennt sie nicht nur unzählige Fakten, sondern kann in jeder Länge formulieren. Zu fast jedem Thema hat sie ein Fünf-Punkte-Programm vorgelegt. Dies ist zugleich problematisch: Die Demokratin wirkt oft steif; bis heute hat sie nicht überzeugend erklärt, wieso sie als Außenministerin private E-Mail-Server nutzte. Clinton kämpft gegen Vorurteile: Die Wähler halten sie für unehrlicher als den Dauer-Lügner Trump und da sie seit Jahrzehnten bekannt ist, dürften persönliche Anekdoten zu keiner Meinungsänderung führen. Ihre Erfahrung ist Fluch und Segen: Anders als bei Novize Trump sind ihre Positionen zu Freihandel, Irak-Invasion oder Syrien-Krieg bestens dokumentiert und werden anders gewichtet.

Dass Clinton Details liebt, ist bekannt und so ackert die Ex-Außenministerin dicke Mappen durch, um für die Debatte gerüstet zu sein. In Sachen Außenpolitik und Steuersätzen kennt sich die Demokratin aus, sie dürfte eher Fakten über die Geldströme von Trumps Stiftung, seine Aussagen über Muslime oder Wladimir Putin auswendig lernen. Clinton hat mehrere Probedebatten durchgeführt - das Trump-Double heißt Philippe Reines.

Das Wall Street Journal meldete schon vor Tagen, dass Clinton zweigleisig fährt. Sie bereitet sich also auf einen disziplinierten Trump vor, der on message bleibt - und sie übt Strategien für den unberechenbaren Trump, der mit Beleidigungen um sich wirft ( am Wochenende kam das Gerücht auf, Trump wollte Gennifer Flowers, eine Ex-Geliebte von Bill Clinton, in der ersten Reihe platzieren). Clintons Botschaft ist klar und soll auch für ihre Präsidentschaft gelten: "Ich habe Erfahrung, nehme die Sache ernst und bin vorbereitet."

Trump und seine Berater warnen davor, sich zu viel vorzubereiten. Der Geschäftsmann schaue Videos von früheren Debatten Clintons, doch eine Probe-Debatte mit einer Clinton-Imitatorin hält er (so wird es kommuniziert) für überflüssig. Der New York Times sagen Trumps Strategen, es sei "Zeitverschwendung, seinen Kopf mit Fakten und Zahlen" zu füllen. Der Republikaner sei überzeugt, dass Details für die Zuschauer unwichtig seien - der Normalbürger kenne diese ohnehin nicht. Die simple Botschaft: "Vertraut mir, ich mache keine Fehler, sondern Amerika wieder großartig."

Experten sind uneins über Bedeutung der Debatten für Wahlsieg

Seit Trump, den zuvor nahezu alle Polit-Experten verspottet hatten, zum Kandidaten der Republikaner nominiert wurde, agieren viele Analysten etwas vorsichtiger. Prognosen haben sich als riskant erwiesen und auch diese Übersicht lässt vieles außer Acht. Niemand weiß, welche Fragen sich Moderator Lester Holt überlegt hat und wie stark er ins Geschehen eingreift (wird er Trump korrigieren, wenn dieser lügt oder Hillary Clinton den Fakten-Check überlassen?).

Und obwohl die Medien verrückt spielen und - auch die SZ - viel berichten, ist die Bedeutung der Debatten für den Wahlausgang umstritten. "Es ist klar, dass der Einfluss der Debatten geringer ist als jener der Parteitage", urteilen Robert Erikson und Christopher Wlezien, die für ihr Buch "The Timeline of Presidential Elections" seit Umfragedaten seit 1960 analysiert haben. Ähnlich urteilt die Professorin Lynn Vavreck: "Die Debatten sind selten der entscheidende Faktor."

Trotzdem wird das Zuschauerinteresse aus mindestens zwei Gründen enorm sein: Im verrückten Wahlkampfjahr 2016 kam es schon oft ganz anders, als es Prognosen und historische Analogien vermuten ließen - und langweilig werden diese 90 Minuten sicher nicht (die anderen Debatten finden am 9. und 19. Oktober statt).

Linktipp: Wie unterschiedlich sich Donald Trump und Hillary Clinton vorbereiten, hat die New York Times in diesem Artikel gegenübergestellt. Seit 2000 schreibt James Fallows alle vier Jahre vor jeder Debatten-Saison ein langes Stück für das Magazin The Atlantic, das auf vielen Interviews und der eigenen Erfahrung als Redenschreiber für Jimmy Carter basiert. Historischen Kontext liefert die Harvard-Professorin Jill Lepore in diesem Text für den New Yorker .

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