US-Politik:Kämpferin für die Abgehängten

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Stacey Abrams ist von den Demokraten in Georgia als erste schwarze Frau überhaupt für ein Gouverneurs-Amt nominiert worden. (Foto: AP)

Historischer Sieg in Georgia: Die Demokraten nominieren Stacey Abrams als erste schwarze Frau für einen Gouverneurs-Posten. Sie könnte mit ihrer dezidiert linken Kampagne zum Vorbild für die Partei im ganzen Land werden.

Von Thorsten Denkler, New York

Gut möglich, dass einige im US-Bundesstaat Georgia am späten Dienstagabend in ihrer Plattensammlung gekramt haben, um "Georgia on My Mind" aufzulegen. Eine melancholisch-schöne Hymne an den Bundestaat, die wohl auf ewig mit Ray Charles verbunden sein wird. Der Grund für den Griff in den Plattenschrank: In Georgia wurde an diesem Abend Geschichte geschrieben.

Zum ersten Mal hat eine der beiden großen Parteien eine schwarze Kandidatin für ein Gouverneurs-Amt nominiert: Stacey Abrams hat die Vorwahlen der Demokraten gewonnen. Und sie hat gute Chancen, den seit 2003 von Republikanern besetzten Posten bei der Wahl Anfang November für die Demokraten zurückzuerobern.

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Dass die Wahl auf Abrams fiel, ist in vielerlei Hinsicht bemerkenswert. Georgia ist seit langem ein republikanisch geprägter Bundesstaat. Von 14 Abgeordneten, die Georgia im Repräsentantenhaus in Washington vertreten, sind nur vier Demokraten. Unter den 14 ist nur eine Frau, eine weiße Republikanerin. Beide Senatoren sind weiß und Republikaner, der Gouverneur ist weiß und Republikaner. Es hat auch noch nie einen schwarzen Gouverneur in Georgia gegeben. Hier keinen weißen Mann aufzustellen, ist wagemutig. Oder spezielles Kalkül.

Gewinnt Stacey Abrams im November, wäre sie die erste Frau, die Georgia regiert. Und die erste schwarze Frau der USA, die einem Bundesstaat vorsteht. Ihre Nominierung ist auch ein Zeichen von Aufbruchsstimmung unter den Demokraten. Noch nie haben sich so viele Frauen für die im Herbst anstehenden Halbzeitwahlen für Ämter auf Bundestaats- und föderaler Ebene beworben.

Viele halten das für einen Trump-Effekt. Frauen fühlen sich von diesem aus ihrer Sicht hochgradig sexistischen Präsidenten herausgefordert wie lange nicht. Am gleichen Abend etwa haben die Demokraten in Kentucky mit Amy McGrath ebenfalls eine Frau nominiert - für einen Platz im Repräsentantenhaus. Die ehemalige Kampfpilotin der Marines war als Außenseiterin gestartet.

Abrams dagegen ist schon ihr halbes Leben im politischen Geschäft. Nach ihrem Jura-Abschluss an der Yale University war die 44-Jährige in der Lokalpolitik von Atlanta aktiv, der Hauptstadt von Georgia. Sie wurde 2007 Abgeordnete im Repräsentantenhaus von Georgia. Und war dort seit 2011 Chefin der Demokraten. Bis sie den Posten aufgrund ihrer Kandidatur aufgab.

Sie scheint ein Multitalent zu sein. Mit 17 Jahren wurde sie als Assistentin für eine Wahlkampagne angeheuert. Sie sollte eine Rede abtippen und erlaubte sich, ein paar Anmerkungen dazu zu schreiben, erzählte sie dem Guardian. Das hat offenbar derart beeindruckt, dass sie umgehend zur Redenschreiberin aufstieg.

Nach Rassenunruhen im Jahr 1992 hat sie eine Aktivisten-Gruppe an ihrem College in Atlanta angeführt. In einer lokalen Fernsehdebatte mit dem damaligen Bürgermeister von Atlanta warf sie ihm vor, nicht genug für junge Menschen zu tun. Und auch das offenbar so überzeugend, dass er ihr einige Monate später einen Job anbot, in dem sie Konzepte für bessere Jugendarbeit entwerfen sollte.

Abrams ist auch eine umtriebige Unternehmerin. Sie hat verschiedene Firmen gegründet, etwa eine, die Bezahlsysteme für kleine Geschäfte anbietet. Sie hat als Steueranwältin gearbeitet. Und sie ist Autorin diverser Liebesromane, die sie unter dem Pseudonym Selena Montgomery geschrieben hat. Am Tag sei sie Anwältin, heißt es. Und zu jeder anderen wachen Stunde eine Autorin.

Ihr erstes Buch hätte eigentlich ein Spionagethriller sein sollen. Aber sie konnte keinen Verlag überzeugen, dass eine Frau anständig über Spione schreiben kann. Abrams, ganz Pragmatikerin, schrieb ihr Buch um. Ihre beiden Hauptcharaktere "haben die gleichen Typen umgelegt wie in der ersten Version. Der Unterschied war, dass sie sich am Ende des Buches ineinander verliebten", sagt sie. Das hat funktioniert. Ihre Bücher wurden mehr als 100 000 Mal verkauft.

Eine beindruckende Biografie. Der Guardian schrieb über sie, ihr ganzes Leben "sei eine Studie über die Kunst, die Grenzen des Möglichen zu erweitern".

Und jetzt will sie Gouverneurin werden. Eine äußerst liberale, eine geradezu linke Gouverneurin obendrein. Unterstützt wird sie von der Schwulen- und Lesbenbewegung, vom Beinahe-Präsidentschaftskandidaten der Demokraten für 2016, Bernie Sanders. Und von schwarzen Bürgerrechtlern wie John Lewis, der sich kürzlich noch ausgiebig vom französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron umarmen ließ.

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Ihre Strategie könnte ein Vorbild für die Demokraten sein, die immer noch nicht wissen, ob sie sich eher links, in der Mitte oder vor allem gegen Trump positionieren sollen. Abrams will vor allem eines erreichen: die nichtweiße Bevölkerung mit einem sozialen Kurs zu motivieren, zur Wahl zu gehen. Zu versuchen, weiße Wähler zurückzugewinnen, die den Demokraten - zuletzt wegen Trump - den Rücken gekehrt haben, das erscheint ihr als der falsche Weg: "Wir können entweder vorangehen. Oder wir können zulassen, dass Präsident Trump und die Faschisten, die ihn umgeben, uns rückwärts ziehen", sagte sie vor einem Jahr der New York Times. "Ich will vorwärts gehen."

Abrams' Gegenkandidatin in der Vorwahl, Stacey Evans, stand für den Kurs, den auch die Parteiführer der Demokraten in Washington bevorzugen. Ginge es nach ihnen, werden die Demokraten in den kommenden Wahlen zu Republikanern in einer Light-Version. Die Demokraten in Georgia haben dem Konzept wohl nicht mehr getraut. Evans hatte keine Chance und verlor deutlich.

Zu viele Kandidaten sind wohl daran gescheitert, die Wechselwähler zurückzuholen. In den vergangenen Jahren fehlten den Demokraten in Georgia immer durchschnittlich gut 230 000 Stimmen für einen Sieg in der Gouverneurswahl. Dem stehen 1,2 Millionen Wahlberechtigte schwarzer, lateinamerikanischer und asiatischer Abstammung gegenüber, die in den vergangenen Wahlen zu Hause geblieben sind.

Die Rechnung von Abrams könnte also aufgehen.

Es bleibt dennoch ein schwieriges Unterfangen, die Wahlbeteiligung ist traditionell gering. Zu den Halbzeitwahlen, den Midterms, geben in der Regel nur rund 40 Prozent der Wähler ihre Stimme ab. Geht es um die Präsidentschaftswahl, sind es meist um die 60 Prozent. Die Wahlbeteiligung der nichtweißen Bevölkerung ist noch geringer.

Abrams weiß um die Schwierigkeiten. Sie hat deshalb schon 2014 die Gruppe New Georgia Project gegründet, die zum obersten Ziel hat, dass sich Wahlberechtigte als Wähler registrieren lassen. Angeblich hat die Organisation schon 200 000 bisherige Nichtwähler dazu gebracht, sich registrieren zu lassen. Die müssten jetzt nur noch wählen gehen - und die aus Sicht der Demokraten richtige Kandidatin wählen.

Was Abrams für die Wähler der oft armen Schichten glaubhaft macht: ihre Herkunft. Auf Wahlveranstaltungen erzählt sie die Geschichte ihres Vaters, der jeden Tag meilenweit zu Fuß zur Arbeit gelaufen ist, weil seine Frau auf das Auto angewiesen war. Nur wenn es regnete, packte sie die Kinder in das Auto und fuhr ihm entgegen. Einmal habe sie ihn an einem sehr kalten Tag ohne Mantel aufgelesen. Völlig durchnässt. Er hat seinen Mantel einem Mann gegeben, der keinen hatte. Er habe ja gewusst, dass er abgeholt werden würde.

Es ist eine Geschichte, die auch von Ray Charles hätte besungen werden können. Seine Version von "Georgia on My Mind" wurde übrigens 1979 zum Staatssong von Georgia ernannt. Es war nach großen Rassendebatten ein Zeichen der Versöhnung, dass die damaligen Parlamentarier von Georgia setzen wollten. Ray Charles, der in Georgia aufgewachsen ist, hat den Song damals im Parlament singen dürfen. Wandel und Einsicht sind also möglich. Auch in einem der Südstaaten.

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