Urteil des Bundesverfassungsgerichts:Meinungsfreiheit auch für Neonazis

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Welche Äußerungen sind erlaubt, welche verboten? Das Bundesverfassungsgericht kippt das Publikationsverbot für einen rechtsextremen Terroristen, der an Anschlagsplanungen auf die jüdische Gemeinde München beteiligt war.

Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Das Bundesverfassungsgericht hat ein Publikationsverbot gegen einen verurteilten Rechtsterroristen aufgehoben. Dem mehrfach vorbestraften Neonazi war nach der Haftentlassung die Weisung erteilt worden, fünf Jahre lang kein "rechtsextremistisches oder nationalsozialistisches Gedankengut publizistisch zu verbreiten". Dem Gericht zufolge ist die Anordnung zu weit gefasst, weil sie auch legale Äußerungen umfasst; sie komme einer zeitweiligen "Aberkennung der Meinungsfreiheit" nahe.

Neonazis wollten 2005 einen Anschlag auf die Synagoge mit Gemeindezentrum am Münchner St.-Jakobs-Platz verüben. Einer von ihnen hatte nun vor dem Bundesverfassunsgericht Erfolg - es ging um Meinungsfreiheit. (Foto: ddp)

Der Beschwerdeführer war im Mai 2005 als Mitglied der - als terroristische Vereinigung eingestuften - "Schutzgruppe" um den Münchner Neonazi Martin Wiese zu vier Jahren und drei Monaten Haft verurteilt wurden. Dabei ging es um einen Anschlagsplan anlässlich der Grundsteinlegung des Jüdischen Gemeindezentrums am Münchner St.-Jakobs-Platz. Das Bayerische Oberste Landesgericht verurteilte die Neonazis wegen Vorbereitung eines Sprengstoffverbrechens: Die "Schutzgruppe" sei entschlossen gewesen, "Mord und Totschlag zu begehen".

Während seiner Haft versuchte der wegen Volksverhetzung vorbestrafte Mann, antijüdische und rechtsextremistische Beiträge in einschlägigen Zeitschriften zu lancieren - weshalb ihm bei der Entlassung im Rahmen der sogenannten Führungsaufsicht auch solche Veröffentlichungen untersagt wurden, die unter normalen Umständen erlaubt wären. Aus Sicht der Verfassungsrichter ist diese Weisung zu unbestimmt. Es sei nicht abgrenzbar, was erlaubt und was verboten sei.

Dem Verbot der Verbreitung "rechtsextremistischer" Positionen fehlten bestimmbare Konturen: "Denn die Einstufung einer Position als rechtsextremistisch ist eine Frage des politischen Meinungskampfes und der gesellschaftswissenschaftlichen Auseinandersetzung", heißt es im Beschluss der 1.Kammer des Ersten Senats. (Az: 1 BvR 1106/08)

Zwar ist es laut Gericht "möglicherweise" nicht von vornherein ausgeschlossen, einem verurteilten Straftäter nach der Haft eine gewisse Zeit die Verbreitung von Meinungen "unterhalb der Strafbarkeitsschwelle" zu verbieten. Eine solche Maßnahme sollte sich aber eher auf äußere Umstände beschränken und nicht auf die Inhalte selbst abzielen.

Jedenfalls sei die vorbeugende Unterdrückung bestimmter Meinungsinhalte unverhältnismäßig, wenn es dem Betroffenen dadurch für eine gewisse Zeit praktisch unmöglich sei, mit seinen politischen Ansichten am Meinungskampf teilzunehmen. Das Oberlandesgericht München muss erneut über den Fall entscheiden. Derweil ist der Kläger nach Angaben des Antifaschistischen Informations- und Dokumentationsarchivs wieder in der Münchner Neonaziszene aktiv.

© SZ vom 05/06.01.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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