Türkeibesuch der Kanzlerin:Gemeinsam lächeln

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Bei Merkels Ankunft in der Türkei ist von Spannungen nichts mehr zu spüren - die Eintracht mit Erdogan ist so demonstrativ wie zuvor der Streit. Das lässt einen Verdacht aufkommen.

Stefan Braun

Man kann nicht behaupten, dass die türkischen Gastgeber nicht alles gegeben hätten. Fast eine geschlagene Stunde lang tun sie sehr viel, um sich schön zu machen für Angela Merkel. Die Soldaten polieren wieder und wieder ihre Stiefel. Sie zupfen an ihren Mänteln, sie testen den Sitz ihrer Helme, rücken ihre Orden zurecht. Und dann zerren sie noch inständig am roten Teppich, bis wirklich nichts mehr krumm aussieht zur Begrüßung.

Als die Kanzlerin in der kleinen Straße vor dem Sitz des türkischen Ministerpräsidenten eintrifft, bleibt ihr nichts anderes übrig als "merhaba asker" zu rufen. So heiter klingt dieses "Guten Tag, Soldaten", dass Merkel und Recep Tayyip Erdogan von da an gemeinsam lächeln.

Was auf den ersten Blick wie ein Widerspruch zum Sturm der vergangenen Tage aussieht, passt in Wahrheit sehr gut zum Verhältnis zwischen Türken und Deutschen. Denn mit einer vergleichbaren Präzision hatten die Regierungschefs in den Tagen zuvor deutliche Worte gefunden, um dem anderen mal heftiger (Erdogan), mal ein wenig eleganter (Merkel) klar zu machen, wo die Grenzen liegen.

Türkische Gymnasien in Deutschland, EU-Beitritt der Türkei, Sanktionen gegen Iran - immer klarer wurden die Distanzierungen. Der türkische Ministerpräsident hatte am Ende gar vom "Hass" der Deutschen gesprochen. Die Kanzlerin hatte dagegengehalten, sich hartleibig gezeigt in der Debatte um eine türkische EU-Mitgliedschaft - und sich fast ein bisschen gesonnt im Image der eisernen Lady.

Bis zum Start der Reise war das für beide nützlich gewesen. Ohne großen Aufwand konnten sie den eigenen Anhängern Entschlossenheit demonstrieren. Manchmal ist es leicht, mit ein paar harschen außenpolitischen Tönen innenpolitisch zu punkten.

Im nahenden Frühling von Ankara und Istanbul ist davon nicht mehr die Rede. Kaum ist die Kanzlerin auf türkischem Boden, weht ein wärmeres Lüftchen. Schon beim Anflug hieß es in der Delegation, das persönliche Verhältnis zwischen Merkel und Erdogan sei ausgezeichnet. Eine Botschaft, die sich bei ihrem Treffen und danach auch vor den Medien wie selbstverständlich bestätigt.

Plötzlich sind es allein die Medien gewesen, die im Vorfeld für Aufregung und Zuspitzung gesorgt haben. Erdogan spricht plötzlich von großer Freude, die ihn beim Besuch der Kanzlerin befalle. Derlei sei so wichtig für die Beziehungen beider Länder. Die Kanzlerin ergänzt, auch sie freue sich sehr, immerhin handele es sich um besondere Beziehungen, die besonders gepflegt werden müssten.

So friedlich geht es zu, dass beide dieses Gefühl sogleich durch ihre Kompromissbereitschaft unterstreichen möchten. Erdogan betont, dass sich die Türken in Deutschland natürlich auch integrieren müssten. Merkel erklärt, dass diese dabei selbstverständlich ihre kulturelle Identität behalten sollten.

Mehr noch: Da Deutschland Schulen im Ausland habe, sei es nur richtig, wenn die Türkei Gleiches in Deutschland erhalte - jedenfalls solange sie nicht als Ausrede dienen, nur noch türkisch zu sprechen. Fast überschwänglich fügt die Kanzlerin an, die Menschen in der Türkei sollten wissen, "dass uns die türkischstämmigen Bürgerinnen und Bürger in Deutschland herzlich willkommen" seien. Noch Stunden zuvor wären solche Klänge beiderseits undenkbar gewesen.

Das allerdings verstärkt vor allem den Verdacht, dass da zwei ziemlich laut gestritten haben, um sich anschließend ziemlich demonstrativ zu versöhnen. Aus Merkels Delegation heißt es später, das türkische Temperament sei halt ein bisschen stürmisch.

Tatsächlich aber hat Merkel sich sehr gern an diesem garstig-freundlichen Duett beteiligt. Deutlich wird, dass da zwei keineswegs in allen Fragen einer Meinung sind, aber begriffen haben, dass sie wichtige Ziele ohne den anderen nicht erreichen werden.

Was für Merkel eine bessere Integration der Türken in Deutschland ist, ist für Erdogan die EU-Vollmitgliedschaft. Wer also das eine will, darf beim anderen nicht zu abweisend erscheinen. Wenig verwunderlich ist es deshalb, dass Merkel beim Thema EU-Beitritt ein wenig leiser auftritt. Sie erklärt erstmals öffentlich, dass die von der eigenen Partei so lautstark beförderte Idee einer privilegierten Partnerschaft in der Türkei leider sehr schlecht ankomme. Das heißt nicht, dass sie die Position schon geräumt hätte. Aber sie ahnt offenbar, dass es wenig bringen wird, an einer Idee festzuhalten, die der andere als Beleidigung auffasst und auf ewig ablehnen dürfte.

So kommt es, dass atmosphärisch Fortschritte erzielt werden - und andere brisante Themen unter den Tisch fallen. Dass Deutschland trotz der gigantischen griechischen Haushaltsprobleme noch immer Waffen an Griechen und Türken verkauft, statt Verzicht zu üben, ist ein Thema, über das man viel reden könnte. Dass die Türkei womöglich froh ist über die taktischen Atomwaffen der USA auf türkischem Boden - auch darüber könnte mit Blick auf Irans Atomprogramm manches ausgetauscht werden. Stattdessen gibt es vor allem eines: Schweigen.

Da trifft es sich wenigstens gut, dass Reisen auch diesmal bildet. Am zweiten Tag besucht Merkel staunend die Hagia Sofia. Und in der benachbarten Blauen Moschee lässt sie sich vom Mufti erklären, dass ein Imam doch wichtiger ist als ein Muezzin.

Die Schüler der deutschen Schule dürfen ihrerseits erleben, wie Merkel bei ihrer Visite viel Zeit hat, um mit immer wieder anderen Schülern zu plauschen. Die einen fragt sie nach dem Schulweg (bei vielen gut eine Stunde), die nächsten nach Motiven für ihre Schulwahl (die Eltern), die dritten nach ihren Zukunftsplänen (ein Studium in Deutschland). In der Aula präsentiert sich die Kanzlerin gar als Moderatorin, die manches spitz kommentiert, aber verschont bleibt von schweren Fragen. Wie sagt es ein Junge nach einem Handschlag zum Abschied? "Sie hat mich berührt, sie hat mich berührt, da wasche ich mich nie wieder."

Die Kanzlerin - ein Popstar? Nein, es ist nicht so, dass sie das zum Ende dieser Reise gestört hätte.

© SZ vom 31.03.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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