Terrorfahndung:Die Selfie-Dschihadisten

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Harun P. war dabei, als eine Miliz 2013 das Gefängnis in Aleppo stürmte. Wegen Beihilfe zum versuchten Mord wurde er zu elf Jahren Haft verurteilt. (Foto: dpa)

Islamisten aus Deutschland rühmen sich gerne in den sozialen Netzwerken ihrer Kriegsuntaten in Syrien und dem Irak. Den Ermittlern daheim erleichtert dieser Hang zum Handy-Foto die Arbeit.

Von Georg Mascolo, Berlin

Im Juni dieses Jahres machte die Geschichte über den sogenannten Schwachkopf-Terroristen Schlagzeilen. Ein Kämpfer der Miliz Islamischer Staat (IS) hatte vor einem der angeblichen Hauptquartiere der Terroristen posiert, machte ein Selfie und stellte das Bild online. Eine Spezialeinheit der US-Luftwaffe in Florida fand das Foto im Netz und identifizierte den Ort. 22 Stunden später warfen amerikanische Kampfjets drei Bomben ab. Das Gebäude wurde nach US-Angaben völlig zerstört.

Auch deutsche Behörden wissen die Neigung der Dschihadisten zu schätzen, ihre Erlebnisse aus dem Kriegsgebiet sozialen Netzwerken anzuvertrauen. Sie nutzen sie nicht für Luftschläge, sondern für Anklagen. Überall im Land kommen in diesen Tagen Islamisten, die aus Syrien oder dem Irak zurückkehrten, vor Gericht. 600 Ermittlungsverfahren laufen laut Bundeskriminalamt, sie betreffen etwa 900 Tatverdächtige. Beim Generalbundesanwalt ging schon die Sorge vor einem Burnout des Haftrichters am Bundesgerichtshof um.

In den meisten Verfahren spielen Handy und Internet eine entscheidende Rolle, die Ermittler bedienen sich der Fotos und der Internet-Kommunikation um nachzuweisen, wer im Kriegsgebiet war und was er dort tat. Die Fußnoten in den Anklagen lesen sich auffällig gleich: Siehe Skype-Chatverlauf, siehe Whatsapp-Chatverlauf, siehe Facebook.

"Abschlachten macht Spaß", textete ein Kämpfer an die Freunde zu Hause

Die Beweise für ihre Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung oder gar wegen Kriegsverbrechen liefern die Dschihadisten so oft ganz freiwillig: Sie melden stolz ihre Ankunft beim IS, bei Dschunud Al-Scham oder der al-Qaida nahestehenden al-Nusra-Front. Sie posten über ihre militärische Ausbildung in den Lagern der Terroristen und berichten, wenn sie in die Schlacht ziehen. Viele melden sich fast täglich bei ihren Familien und Freunden in Deutschland.

Textnachrichten wie "Morgen geht es gegen die Ungläubigen, ich werde kämpfen bis ich falle" oder "Abschlachten macht Spaß" finden sich zuhauf in den Ermittlungsakten. Samt falscher Rechtschreibung landen die Meldungen in den Ermittlungsakten: "gerade wache stähen. waffe immer mit dir - ist wie hose."

Ebenso weit verbreitet ist unter Dschihadisten die Liebe zum Selfie: Meist zeigt der Kämpfer sich mit Kalaschnikow vor einer IS-Flagge, seltener mit einem Raketenwerfer. Manche lassen sich bei den ungeheuren Grausamkeiten filmen, die gerade für den IS typisch sind: Es gibt Bilder von der Hinrichtung von Geiseln oder von deutschen Islamisten, die abgeschlagene Köpfe in der Hand halten. Einer von ihnen speicherte auf seinem Handy gleich 164 Bilder, darunter eines, auf dem er den Namen seiner verstorbenen Tochter aus Patronenhülsen legte.

Der Selfie-Extremismus ist ein Segen für die Ermittler

So verbreitet ist das Phänomen, dass es unter Kriminalisten inzwischen einen Namen hat: Selfie-Extremismus. Er ist ein Segen für die Ermittler.

Terrorismus-Prozesse gelten üblicherweise als aufwendig, die Beweislage ist schwierig. Wer der dritten Generation der linksterroristischen Rote Armee Fraktion angehörte, ist nach jahrzehntelangen Ermittlungen bis heute nicht klar. Vor dem Oberlandesgericht in München steht bald der 240. Verhandlungstag im Verfahren gegen die mutmaßliche NSU-Terroristin Beate Zschäpe an. Gäbe es ein Bild von ihr mit der Mordwaffe der rechtsextremistischen Anschlagserie, wäre die Beweisführung einfacher.

Es sei erstaunlich, wie viele der islamistischen Terroristen sich selbst auslieferten, heißt es in Ermittler-Kreisen. Viele sind jung, das Durchschnittsalter der Syrien-Reisenden aus Deutschland liegt laut einer Studie des Bundesamts für Verfassungsschutz bei 25,9 Jahren. Dass sie soziale Medien nutzen, ist wenig erstaunlich. Dass sie aus dem Kriegsgebiet oft so freimütig berichten wie von einer Party in Berlin-Kreuzberg, verblüfft.

Als Beweise dienen in Prozessen wie dem gegen Harun P. oft Fotos, die Kämpfer - etwa des IS im Nordirak - selber aufnehmen (Foto: Salahuddin/AFP)

Vor dem Oberlandesgericht in Frankfurt wurde im Verfahren gegen Soufiani K. ein Selfie von ihm gezeigt, der Finger am Abzug eines Sturmgewehrs. In Stuttgart erklärte Ismail I., wie es zu einem Bild mit Maschinengewehr, Patronengurt und Kriegerpose kam: "Ich wollte einen auf cool machen. Ich habe da den Patronengurt um den Hals, das kennen wir alle von John Rambo."

In München wurde im Juli Harun P. unter anderem wegen Beihilfe zum versuchten Mord in 400 Fällen zu elf Jahren Haft verurteilt. Die elektronischen Spuren, die er hinterlassen hatte, bestimmten weite Teile des Verfahrens: Man sah Harun P., meist lächelnd, mit einer Kalaschnikow, einem Raketenwerfer oder beim Laden eines Mörsers. Eines der Selfies zeigt ihn auf dem Boden liegend, daneben ein Gewehr. Harun P. erklärte, wie es zu dem Bild kam: Er habe die Anweisung bekommen, sich zu tarnen, da habe er sich die Wiese gelegt und halt ein Bild von sich gemacht. So wichtig wie die Bilder sind in vielen Verfahren auch die Texte - auch bei Harun P. Auf Whatsapp schrieb er: "Ich darf ganz vorne in den Sturm."

Facebook lieferte Tausende Seiten Chat-Protokolle

Oft lesen die Ermittler die verräterischen Spuren direkt aus den Speicher-Chips der bei den Verdächtigen beschlagnahmten Handys aus. Aber auch große amerikanische Internet-Provider, sonst oft zögerlich, wenn es um Rechtshilfe geht, scheinen bei Terrorismus-Verfahren zur Kooperation bereit zu sein. So lieferte Facebook im Prozess gegen zwei Wolfsburger Syrien-Heimkehrer Tausende Seiten Chat-Protokolle. Der Generalbundesanwalt hatte über das Bundesamt für Justiz das US-Justizministerium dringend um die Herausgabe ersucht. In einer solchen Sache, argumentierte die Bundesanwaltschaft, könne man den Weltkonzern im kalifornischen Palo Alto auch durchsuchen. Einer der Angeklagten, Ayoub B., soll eine Freundin stolz darauf hingewiesen haben, dass er nun einen Sprengstoffgürtel trage: "Hast Du den Gürtel gesehen, den ich anhabe. Voll mit tnt. schprang gurtel."

Solche Bilder und Chats machen es vielen der Angeklagten unmöglich, ihre Reise in den Dschihad zu bestreiten. Inzwischen haben einige der zurückgekehrten Islamisten allerdings angegeben, der IS habe sie zu solchen Fotos gezwungen - sie würden für Propaganda-Zwecke gebraucht. Die Bundesanwaltschaft hält dies zumeist für Schutzbehauptungen.

Allerdings scheinen auch die Islamisten die Tücken von Selfie und Internet erkannt zu haben. Viele sind vorsichtiger geworden, die Zahl der Postings aus dem Kriegsgebiet nimmt offenbar ab. Im Internet tauchte bereits vor einigen Monaten eine angeblich vom IS stammende Anweisung ("Was nicht publiziert werden darf") auf: Verboten sind danach Bilder von der Herstellung neuer Waffen, militärischer Konvois oder Meldungen über den Tod von IS-Funktionären, jedenfalls bis der IS dies selbst erklärt. Ebenso verboten ist es danach, Bilder von Kämpfern zu posten - vor allem wenn diese aus dem Ausland stammen.

Dann müssten die deutschen Ermittler künftig ohne Selfies auskommen.

© SZ vom 10.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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