Terror in Katalonien:"Der Anschlag auf der Rambla war auch ein Anschlag auf uns"

Terror in Katalonien: Musliminnen trauern am Samstagnachmittag auf der Rambla, die Ziel eines Terroranschlags wurde.

Musliminnen trauern am Samstagnachmittag auf der Rambla, die Ziel eines Terroranschlags wurde.

(Foto: AFP)
  • Nach dem Terroranschlag in Barcelona haben sich trauernde Muslime an der Rambla versammelt.
  • Viele fürchten nun, für das islamistische Attentat verantwortlich gemacht zu werden.
  • Die Mehrheit der Muslime ist in Spanien gut integriert - doch junge muslimische Männer gehören zu den Verlierern.

Von Thomas Urban, Barcelona

"Islam bedeutet Frieden", steht auf dem großen Pappschild, das ein vielleicht zehnjähriges Mädchen mit schwarzen Locken in der Hand hält. Die Mutter, durch ihr Kopftuch als Muslima erkennbar, stellt zwei Grablichter neben all die Blumensträuße, Kinderzeichnungen, Kerzen zum Gedenken an die Opfer des Terroranschlags vom Donnerstag. Am oberen Ende der Rambla, der Flaniermeile von Barcelona, haben sich mehrere Dutzend Frauen und Mädchen mit Kopftuch versammelt, dazu die Ehemänner und Söhne, die sich allerdings in ihrer Kleidung in keiner Weise von den Spaniern unterscheiden.

"Damit keine Missverständnisse aufkommen", sagt ein junger Mann, der sich als Said vorstellt, er studiert an der Universität Barcelona Jura. "Wir sind auch Spanier." Spanische Staatsbürger muslimischen Glaubens. Fast zwei Millionen Muslime sind offiziell in Spanien gemeldet, ein Viertel davon in der Region Katalonien. Barcelona zählt die größte islamische Gemeinde.

"Der Anschlag auf der Rambla war auch ein Anschlag auf uns"

Doch von einer geschlossenen Gemeinschaft kann nicht die Rede sein, wissen Soziologen. Die Nachkommen von Arabern aus dem Maghreb, von "schwarzen Muslimen" (wie sie sich selbst nennen) aus den Ländern südlich der Sahara, von Türken und Pakistanern - all diese Gruppen halten Distanz zueinander und pflegen gegenseitige Vorurteile. Die größte Gruppe sind Einwanderer aus Marokko, viele sind als Saisonarbeiter in die großen Obst- und Gemüseanbaugebiete der Regionen Andalusien, Murcia sowie Valencia gekommen und geblieben.

"Der Anschlag auf der Rambla war auch ein Anschlag auf uns", ruft einer der Redner bei der kurzen Gedenkfeier, zu der mehrere islamische Verbände, die sonst gern miteinander konkurrieren, nun einmütig aufgerufen haben. Er spricht ein Gebet - auf Spanisch, so wie auch die Moschee im Stadtteil Raval die Opfer der Rambla schon in das Freitagsgebet eingeschlossen hatten.

"Natürlich machen wir uns Sorgen", sagt der Jurastudent Said. "Wir wollen nicht, dass wir für die Verbrechen einer kleinen Gruppe Verirrter verantwortlich gemacht werden. "Wir leiden auch", steht auf einem weiteren Schild, das eine junge Frau mit violettem Kopftuch hochhält.

Nach den Anschlägen von 2004 setzte die Aufklärungsarbeit ein

Die Muslime in Spanien stehen seit den Terroranschlägen auf vier Madrider Vorortzüge 2004, bei denen 191 Menschen starben, nicht nur unter besonderer Beobachtung, sondern wurden auch Gegenstand zahlreicher soziologischer Studien. Sowohl muslimische Verbände als auch Politik und staatliche Organe haben in den letzten Jahren viel Aufklärungsarbeit betrieben. Zwar gab es vielerlei Polizeiaktionen gegen Islamisten, doch bis heute keine Anschläge auf islamische Gemeinden in Spanien.

Die Regierenden in Madrid, gleich welcher politischen Couleur, haben damals begriffen, dass die Devise nur Integration, nicht Repression lauten kann. Vielen Muslimen eröffneten sich Aufstiegschancen. In allen großen Parteien, auch der jetzt regierenden konservativen Volkspartei, die sich auf die katholischen Traditionen Spaniens beruft, sind Muslime vertreten.

Zu diesem historischen Erbe gehört die Reconquista, die Zurückdrängung der Mauren, die im 8. Jahrhundert von Nordafrika aus das heutige Spanien eroberten und eine Hochkultur mit den Zentren Sevilla, Granada und Córdoba aufbauten. In spanischen Moscheen erinnern Imane immer wieder an diese große Zeit und vermitteln nach Meinung mancher Kommentatoren offen die Botschaft, dass das Land von Muslimen wieder in Besitz genommen werden müsse.

Auch der Iman, dessen Wohnung die spanische Polizei am Samstag durchsuchte, zählte offenbar zu diesen Radikalen. Die Ermittlungen nach dem Mordanschlag haben ergeben, dass der Geistliche mehrere der nun getöteten Terroristen kannte, dass diese seine Predigten gehört haben. "Das ist ein Schock", sagte dazu ein Sprecher des Rates der Muslime Kataloniens.

Deutlich mehr junge muslimische Frauen als Männer studieren

Doch sind sich Experten einig, dass nicht die Religion den Anstoß zu der Radikalisierung der überwiegend jungen Täter gegeben hat, sondern ihre persönlichen Misserfolge in Schule und Beruf. Die spanische Wirtschaftskrise, ausgelöst durch das Platzen einer Immobilienblase, traf besonders die junge Generation, Spanien musste Rekordwerte bei der Jugendarbeitslosigkeit vermelden.

Zu den ganz großen Verlierern gehören männliche Nachkommen von Einwanderern aus Nordafrika. Eine Untersuchung der Universität Melilla über diese Gruppe erbrachte klare Ergebnisse: Patriarchalisch sozialisiert, engagieren sich Jungen aus moslemischen Familien unterdurchschnittlich in der Schule. Dagegen erkennene Mädchen in Bildung eine Chance zur Selbstbestimmung - und ergreifen sie. In Melilla ist die Statistik eindeutig: Um ein Vielfaches mehr junge muslimische Frauen als Männer schaffen den Sprung an eine Universität.

Die Folgen: Viele von ihnen suchen auf dem Weg zur Emanzipation nicht-muslimische Ehepartner. Die jungen Männer als Bildungsverlierer lassen sich dann Bräute aus dem Heimatland der Vorfahren kommen - und eine Generation später beginnt der Emanzipationsprozess der Töchter, die in Spanien zur Schule gehen und sich meist schnell als Spanierinnen fühlen. Vor fünf Jahren gründete eine Gruppe von Hochschulabsolventinnen und Studentinnen einen eigenen Verband, selbstironisch nennen sie sich "moslemische Mädchen" (chicas musulmanas).

Es ist nach Ansicht von Soziologen dieses Bündel an persönlichen Frustrationen - im Berufsleben, in der Gesellschaft, bei der Partnersuche -, die einen Bruchteil der davon betroffenen jungen Männer zu Dschihadisten werden lässt. Auch die bislang identifizierten Angehörigen der Terrorzelle, der der Anschlag von Barcelona sowie die verhinderte Aktion in der Küstenstadt Cambrils wenige Stunden später zugeschrieben werden, entsprechen diesem Profil.

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