SPD-Krise:Die letzte Glut

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Das Feuer in der Partei ist erloschen: Die Sozialdemokratie braucht eine geordnete Insolvenz - und den Vorsitzenden als Insolvenzverwalter. Denn die SPD ist geworden, was die CDU einmal war: Ein lascher, diskussionsfauler Verein.

Heribert Prantl

Die Parteien haben voneinander einiges gelernt. Die CDU von der SPD eher das Richtige; die SPD von der CDU gewiss das Falsche. Die CDU hat seit 2005 ihre Wirtschafts- und Sozialpolitik erfolgreich sozialdemokratisiert; das hat ihr eher gutgetan. Die SPD dagegen hat ihre Parteikultur christdemokratisiert; das hat ihr furchtbar geschadet, das hat sie fast kaputtgemacht.

Sigmar Gabriel (rechts) muss der SPD das Feuer zurückbringen. Er tritt die Nachfolge von Franz Müntefering (links) als Parteivorsitzender an. (Foto: Foto: Reuters)

Die SPD ist so geworden, wie die CDU einmal war: ein diskussionsfauler Verein, ein Kanzlerwahlverein - aber einer ohne Kanzler und jetzt auch ohne Vizekanzler. Aus einer einst debattenfreudigen ist eine debattenfeindliche Partei geworden. Aus den Programmdebatten von einst sind längst Programmdiktate geworden. Die SPD ist eine ergebene Partei: Sie hat sich ergeben in ihr Schicksal und in das, was ein kleiner Kreis von Führungsleuten ihr an politischen und personellen Entscheidungen vorsetzt.

Das innerparteiliche Feuer ist erloschen. Es brennt nichts mehr in der SPD, es glimmt nur noch ein wenig. Um die kümmerlichen Reste des alten Feuers drängen sich die sogenannten Spitzen der Partei und handeln unter sich aus, wer im nächsten Jahr in die Glut blasen soll: Sigmar Gabriel soll es jetzt sein.

Auf den Parteitagen der SPD werden keine politischen Feuer mehr entfacht. Es sind Veranstaltungen geworden, bei denen die Klüngeleien von Führungskadern oder putschähnliche Aktionen akklamiert werden sollen: Das war vor einem Jahr so, beim Parteitag nach dem Müntefering/Steinmeier-Putsch gegen den Vorsitzenden Kurt Beck.

Das wird in Kürze beim Parteitag in Dresden so sein, nach der Nahles/Gabriel-Putschelei gegen den Vorsitzenden Müntefering.

Lasch, kraftlos, autoritär

Man kann das, was jetzt nach dem Wahldesaster passiert ist, den Fluch der bösen Tat nennen: Nun ist halt Müntefering widerfahren, was er vor einem Jahr seinem Vorgänger Beck hat widerfahren lassen. Aber damit erfasst man nicht, was in der SPD passiert: Ihr ist die innerparteiliche Solidarität abhandengekommen. Und wer selbst nicht solidarisch ist, kann nicht glaubhaft Solidarität als politisches Programm verkünden. Die SPD ist ein merkwürdiger Verein geworden: eine lasche, kraftlose und zugleich autoritäre Partei ohne Autoritäten.

Ihre Geschichte lehrt, dass die SPD dann strahlt, wenn sie mit sich ringt: Seit Eduard Bernstein, seit hundert Jahren also, hat sie auf diese Weise geistige Kraft gewonnen - und schließlich den Weg zur Volkspartei gefunden. Sie ist Volkspartei geworden, weil sie es verstanden hat, Partei der kleinen Leute zu bleiben und zugleich Partei der gesellschaftlichen Mitte zu werden.

Entweder es gelingt ihr wieder, als Partei der sozialen und wirtschaftlichen Gerechtigkeit anerkannt zu werden, oder ihre Geschichte verweht. Dann wird das Erbe der Kleine-Leute-SPD übernommen von der Linkspartei, und das der Schröderschen Große-Leute-SPD von der FDP; der Rest wird aufgeschleckt von der CDU und den Grünen.

Man kennt die SPD, aber man braucht sie nicht

Die SPD ist unter den Parteien das, was Opel in der Autoindustrie ist: Man kennt und schätzt zwar die Opel-Autos, braucht sie aber nicht unbedingt; man kann auch mit anderen Modellen fahren. Womöglich braucht die SPD keinen neuen Vorsitzenden, sondern eher einen Insolvenzverwalter - einen, der die verbliebene Vermögensmasse sichert, das Unternehmen von Altschulden befreit und dann zusammen mit der Belegschaft, nicht über ihre Köpfe hinweg, den Betrieb saniert. Aus dem politischen Konkurs, dem unaufhaltsamen Verfall der SPD, würde so eine geordnete Insolvenz: nicht mit Wiederauferstehungsgarantie, aber mit Wiederauferstehungschance.

Vor fünfzig Jahren beschloss die SPD ihr Godesberger Programm: Es wurde ihr nicht von der Führung oktroyiert, es wuchs aus der Partei heraus, war Ergebnis jahrelanger Diskussionen. Der Sinn des 50. Jahrestages ist es, sich daran zu erinnern, was die SPD einst starkgemacht hat: Solidarität und Demokratie wagen.

© SZ vom 07.10.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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