SPD-Delegiertenkonferenz:"Viel Spaß, den Sack Flöhe zusammenzuhalten"

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Der scheidende SPD-Parteivorsitzende und Außenminister Sigmar Gabriel (rechts im Bild) und Martin Schulz, SPD-Kanzlerkandidat und künftiger Parteivorsitzender, am 15.03.2017 in Wolfenbüttel auf der Bühne. (Foto: dpa)
  • Sigmar Gabriel hält seine letzte Rede als SPD-Vorsitzender im Wahlkreis Wolfenbüttel.
  • Applaus will er nicht hören, sondern Martin Schulz die Bühne bereiten, der ihn als Parteichef und Kanzlerkandidat ablöst.
  • Die Botschaft ist eindeutig: Zwischen Gabriel und Schulz ist alles in Butter.

Sebastian Fischer, Wolfenbüttel

Es geht an diesem Abend um seinen Applaus, doch in diesem Moment will er ihn nicht hören. Sigmar Gabriel steht am Mittwochabend bei der SPD-Delegiertenkonferenz in einer vollbesetzten Turnhalle in Wolfenbüttel auf der Bühne, er steht noch einmal im Mittelpunkt: Gabriel hält seine letzte Rede als SPD-Vorsitzender in seinem Wahlkreis.

Am Sonntag wird er auf dem Sonderparteitag in Berlin die Parteiführung an den Kanzlerkandidaten Martin Schulz abgeben, er wird dann für manche als Verlierer gelten. Doch seine Vorredner in Wolfenbüttel preisen Gabriel so sehr als ihren Gewinner, dass es fast kitschig ist. Er wird später mit 99 Prozent der Stimmen als Direktkandidat für die Bundestagswahl bestätigt.

"Bei diesen Lobesyhmnen kann man sich eine Frage stellen", sagt Gabriel also, und stellt sich dann diese rhetorische Frage: "Warum hast du es nicht selbst gemacht?" Als in einer Ecke der Halle ein paar Zuhörer zaghaft klatschen, raunt er: "Bitte nicht".

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Schulz attestiert Gabriel außergewöhnliche Charakterstärke

Eineinhalb Stunden vorher sind Sigmar Gabriel und Martin Schulz gemeinsam in die Halle eingelaufen, in der sonst Basketballer spielen. Die Musik klingt wie vor einem Boxkampf, Handy-Kameras blitzen, die Leute stehen auf und klatschen im Rhythmus, als wäre der Schlagersänger Jürgen Drews schon da, der hier in ein paar Tagen auftreten wird.

Gabriel legt Schulz vor den Fotografen eine Hand um den Rücken. Schulz sagt, er sei "als Freund" gekommen. Darum geht es an diesem Abend: Dass die beiden wichtigsten Politiker der SPD Einigkeit demonstrieren, und die Geschichte von ihrer angeblich strapazierten Freundschaft beenden wollen.

Als sie im Januar zuletzt gemeinsam auf einer Bühne standen, hatte Gabriel Schulz gerade zum Kanzlerkandidaten erklärt und damit ein monatelanges Taktieren beendet, in dem jeder für sich selbst zu arbeiten schien. Seitdem ist die SPD in den Umfragen an der Union vorbeigezogen, und seitdem ist Gabriel Außenminister und zum dritten Mal Vater geworden. Er werde "mit ganz großer Überzeugung, mit allem was ich tun kann" für Schulz als nächsten Kanzler kämpfen, sagt Gabriel.

Gabriel spricht voller Pathos, aber mit Witz

Er wirkt entspannt am Mittwoch, fast befreit. Er wisse, sagt er, dass er für den Ist-Zustand stehe, die große Koalition, die Menschen aber Aufbruch haben wollten. Während Gabriels Rede steht ein Mann im Publikum auf und fotografiert Martin Schulz. Ein Junge, vielleicht zwölf Jahre alt, holt sich ein Schulz-Autogramm.

Für den designierten SPD-Vorsitzenden ist es ein ungewohnter Abend, weil er nicht, wie sonst in diesen Tagen, der alleinige Hauptdarsteller ist. Er spricht vor Gabriel - und eigentlich nur über Gabriel. Er sagt, es sei dessen "außergewöhnliche Charakterstärke", eigene Ambitionen zurückzustellen und auf die Kandidatur zu verzichten. Er nennt ihn einen "Glücksfall" für die Partei. Er sagt: "Einen Außenminister wie Sigmar Gabriel können wir wahrlich gut gebrauchen." Ein paar Passagen seiner Wahlkampfrede flicht er zwar ein, doch vor allem bereitet er seinem Parteigenossen die Bühne, der ihm von Sonntag an die große Bühne überlässt.

Gabriel spricht dann voller Pathos, aber mit genug Witz, damit es nicht allzu sehr trieft. Es habe ihn stolz gemacht, sagt er, siebeneinhalb Jahre lang die Partei anzuführen. Und ja, es sei ihm schwergefallen, auch den Parteivorsitz abzugeben. Er wünsche Schulz mehr als siebeneinhalb Jahre, sagt Gabriel, und "viel Spaß, den Sack Flöhe zusammenzuhalten".

Gabriel ist am Mittwoch nicht Außenminister und Realpolitiker, sondern Sigmar, Kandidat für Salzgitter, Wolfenbüttel und Goslar. Der Sigmar habe mit seinem Rückschritt das Richtige getan, für sich und für die Partei, sagt ein Kreistagsabgeordneter, roter Schal, SPD-Pin am Revers, Bier in der Hand. Der Sigmar würde sich auch um Radwege kümmern und zum Schützenfrühstück kommen, sagt ein anderer. Ohne den Sigmar und seinen Einsatz für das VW-Werk hätten viele hier keine Arbeit, sagt eine Jungsozialistin. Gabriel nennt die SPD die "Industrie-Partei Deutschlands". Er preist Bodenständigkeit als größte Stärke der Sozialdemokratie und nennt "Heimat" einen "modernen Begriff". Schulz nickt und applaudiert.

Gabriel und Schulz, eine Männerfreundschaft

Wenn etwas haften bleibt von diesem Abend, dann ist es auch die Geschichte des früheren Bundestagsabgeordneten Wilhelm Schmidt, der von einer Begegnung mit Gabriel im September erzählt. Als sie in dessen Büro gemeinsam auf die Ergebnisse der Berlin-Wahl warteten, habe Gabriel überlegt, nicht mehr für den Wahlkreis zu kandidieren, hinzuschmeißen. Doch was haften bleiben soll, ist natürlich etwas anderes. Keine Zweifel, sondern die klare Antwort auf die Frage, warum Gabriel nicht selbst Kanzlerkandidat geworden ist: "Ich bin saufroh", ruft er. Saufroh, dass Martin Schulz gerade SPD-Wähler erreiche, die er nie erreicht hat. Und dass die SPD durch seine Entscheidung wieder Chancen auf einen Wahlsieg hat.

Gabriel und Schulz, eine Männerfreundschaft. Für alle, die es immer noch nicht verstanden haben, fallen sich die beiden auf der Bühne um den Hals, als hätten sie Jahre darauf gewartet. Als hätte das Ankündigungsplakat für Jürgen Drews draußen vor der Halle etwas mit der SPD zu tun. Dort steht: "Es war alles am besten".

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