Sicherheitsbehörden:Warum Europa im Kampf gegen den Terror versagt

Belgium Mourns After Deadly Brussels Terror Attacks

Polizisten bewachen eine U-Bahn-Station in Brüssel.

(Foto: Getty Images)
  • Nach den Anschlägen in Brüssel verlangen Politiker und Sicherheitsexperten, dass Europa im Kampf gegen den Terrorismus geschlossen zusammenarbeiten müsse.
  • Fakt ist: Es gibt keine wirkliche europäische Zusammenarbeit im Kampf gegen den Terrorismus.
  • Viel Wut ziehen unter Kollegen die belgischen Sicherheitsbehörden auf sich.

Von Lena Kampf und Hans Leyendecker, Brüssel

Das "European Counter Terrorism Center" (ECTC) soll die neue Zentrale Europas im Kampf gegen den Terror sein. Es ist eine Fassade: Das ECTC wurde Anfang des Jahres mit viel politischem Brimborium eingeweiht, aber schon der Begriff Zentrum ist eigentlich irreführend. Die Behörde ist keine ordentliche Zentrale, kein wirklicher Mittelpunkt; ihr Domizil liegt in einem der grauen Betonklötze der europäischen Polizeiorganisation Europol in Den Haag. In all diesen Räumen ist es meist nicht behaglich. Doch beim ECTC fällt schon mal die Heizung aus. Die etwa vierzig Mitarbeiter frieren dann in ihren Büros. Eine Mäuseplage gab es auch schon.

Wenn Besucher die neue Zentrale besichtigen wollten, mussten sie anfangs den Eingang für die Müllabfuhr benutzen. Das konnte man auch als Chiffre für das Versagen Europas im Kampf gegen den islamistischen Terrorismus verstehen.

In der Theorie funktioniert alles. Aber in der Praxis?

Nach den Anschlägen in der belgischen Metropole haben jetzt zahlreiche Politiker, Sicherheitsexperten und Polizeigewerkschafter verlangt, dass Europa im Kampf gegen den Terrorismus geschlossen zusammenarbeiten müsse. Man müsse sich "vernetzen" heißt es, mehr "absprechen", das Wissen "austauschen". Die Realität ist anders: Obwohl es Europa immer noch gibt, gibt es keine wirkliche europäische Zusammenarbeit im Kampf gegen den Terrorismus.

Es gibt nicht mal eine einheitliche Definition für Leute, die in Deutschland als "Gefährder" bezeichnet werden. Grenzüberschreitend agierende islamistische Netzwerke werden nicht grenzüberschreitend beobachtet. Fast jeder in Europa habe seine eigenen Regeln, sagt ein hochrangiger deutscher Sicherheitsexperte. Aus Sicht deutscher Ermittler ist das ECTC momentan eher ein Papiertiger.

Das lässt sich auch an Zahlen ablesen. Früh gab es in Den Haag eine Datenbank für sogenannte Foreign Fighters. Das waren einheimische islamistische Kämpfer. Im Dezember 2014 hatten lediglich zwei der europäischen Mitgliedstaaten dort Einträge gemacht. Dann folgten im Jahr 2015 die beiden Anschläge in Paris. Am Ende hatten 24 Mitgliedstaaten die Namen von 17 000 Kämpfern eingetragen. "Man nahm jeden, den man finden konnte", sagt ein deutscher Sicherheitsbeamter.

Inzwischen haben sich 25 Anti-Terroreinheiten der Mitgliedstaaten in das Europol-Anschlusssystem eingeklinkt. Es gibt einen deutlichen Anstieg der gelieferten Informationen.

Vor allem die Franzosen liefern: Nach den Anschlägen im November 2015 schickten die Franzosen drei Terabyte Daten nach Den Haag. "Die Franzosen schütten uns zu mit Daten", klagt ein Europol-Mitarbeiter. Das Ziel sei klar: "Wenn etwas passiert, haben die Franzosen frühzeitig gewarnt."

Zweifel an einer europäischen Lösung

Außer dem ECTC gibt es die Counter Terrorism Group (CTG) der europäischen Geheimdienste. Bei der klappt es ein bisschen besser als bei der Polizei. Es gibt allerdings auch erhebliche Abstimmungsprobleme. Anfang Dezember kündigte die CTG intern an, man wolle bis Juli 2016 eine gemeinsame Plattform zum Informationsaustausch über Gefährder und ausländische Kämpfer einrichten. Wichtig sei vor allem die einheitliche Definition, wer Gefährder sein könne. In einer CTG-internen Liste, die als "Phoenix-Liste" bekannt ist, werden etwa 2500 mutmaßliche Islamisten geführt. Eine Aktualisierung findet alle drei Monate statt.

Sicherheitsbehörden beschwören auf Kongressen die gute Zusammenarbeit in Europa und beschweren sich in Hintergrundgesprächen über die Defizite bei der Zusammenarbeit. "Man tut so, als ob", sagt ein Sicherheitsbeamter.

Viel Wut ziehen unter Kollegen die belgischen Behörden auf sich

Nach den Anschlägen vom 13. November 2015 in Paris konnte Europol mithilfe der insbesondere von Frankreich gelieferten Daten 75 "Intelligence Reports" erstellen, darunter 47 Analysen von "Cross-Matches", sowie elf Finanz- und 17 Socialmedia-Analysen. Das klingt gewaltig, muss aber in der Praxis nichts bedeuten. Auf nachrichtendienstlicher und auf polizeilicher Ebene gibt es mittlerweile zahlreiche Datenbanken und Gremien, die sich um dasselbe Großthema kümmern. Aber es scheint an der Bereitschaft zur Kooperation zu fehlen.

Auch gibt es mittlerweile immer mehr Zweifel, dass eine europäische Lösung die Terrorgefahr in Europa wirklich begrenzen kann. Viel Wut ziehen unter Kollegen die belgischen Sicherheitsbehörden auf sich: Bei fast allen großen Anschlägen des vergangenen Jahrzehnts in Europa habe eine Spur nach Belgien geführt, sagt einer der höchstrangigen deutschen Sicherheitsbeamten: "Das war schon so bei den Anschlägen auf die Vorortzüge von Madrid im Jahr 2004, und das ist so bei den Attentaten in Paris im Jahr 2015. Immer führte eine Spur nach Belgien." Wenn es heute "Home-grown-Terrorismus" gebe, dann habe der viel mit den Verhältnissen in Belgien zu tun.

Im November 2015 hat der EU-Kommissar für Migration, Inneres und Bürgerschaft, Dimitris Avramopoulos, bei einer Sondersitzung vorgeschlagen, zur besseren Bekämpfung des Terrorismus in Europa einen europäischen Nachrichtendienst aufzubauen. Der Vorschlag war sehr umstritten. Entschieden dagegen waren die Franzosen, die Briten und die Deutschen. Die Belgier sollen nicht abgeneigt gewesen sein, heißt es. "Das zeigt das Problem", sagt der Sicherheitsmann.

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