Schwarz-Rot vs. Schwarz-Gelb:Die geheime Sehnsucht der Angela Merkel

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Die große Koalition beherrschte 2006 das politische Einmaleins - anders als Merkel und Westerwelle heute. Acht Thesen zum Regierungsvergleich.

Th. Denkler

Der 1. März 2006 ist ein wunderbarer Tag für Angela Merkel und ihren Vizekanzler Franz Müntefering. Der politische Aschermittwoch steht an, und just zu diesem Datum haben die beiden ihre ersten 100 gemeinsamen Regierungstage in der großen Koalition hinter sich gebracht.

Was ist die Freude groß!

Union und SPD haben sich bis zu diesem 1. März 2006 nicht viel vorzuwerfen. Der damalige CSU-Chef Edmund Stoiber rät den Genossen in seiner Aschermittwochrede, sich nicht zu sehr auf Kosten der Union zu profilieren. SPD-Chef Matthias Platzeck wiederum lobt die SPD als das "Herz der Koalition" und bemängelt ansonsten nur die mangelnde Präsenz einzelner Unions-Minister.

In den Umfragen steht die große Koalition glänzend da. Fast drei Viertel der Deutschen halten ihre Arbeit für gut bis befriedigend. Selbst die Opposition hat kaum etwas zu mäkeln. Stillstand vielleicht, das war da schon das härteste Argument.

Traumhafte Zustände im Vergleich zu heute. Die schwarz-gelbe Koalition - angeblich eine Wunschformation - hat in den Umfragen schon abgewirtschaftet, bevor die sie richtig losgelegt hat. Am politischen Aschermittwoch vor wenigen Wochen haben CSU und FDP derart aufeinander eingedroschen, dass sich der Beobachter fragen muss, wer hier eigentlich mit wem - oder besser gegen wen - regiert.

Nahezu täglich tauschen die Regierenden gezielt Bösartigkeiten untereinander aus. Die FDP fühlt sich von der Union über den Tisch gezogen - weil sie die Gesundheitsprämie ausbremst und Steuersenkungen prominent ignoriert werden. Die Union dagegen sieht im dem kleinen Partner FDP nur noch eine Aufstellung aufgeblasener Gartenzwerge, die gegen jede Vernunft Milliarden zum Fenster hinauswerfen wollen. Und mittendrin versucht Kanzlerin Angela Merkel zu moderieren, was noch zu moderieren ist.

Viel ist das nicht. Acht Thesen, warum Schwarz-Rot besser lief als Schwarz-Gelb.

I. Keine Ehe, eine Scheidung.

Angela Merkels Vizekanzler Guido Westerwelle ist ganz unstaatsmännisch auf Krawall gebürstet, um das eigene und das Profil der Partei zu schärfen. Die CSU hält mit aller Kraft dagegen, froh wieder einen Gegner auf Augenhöhe zu haben. Und Merkels CDU ist sich uneins, ob sie nun lachen oder weinen soll.

Schon erstaunlich: Die angebliche Liebesehe von Konservativen und Liberalen, auf die sie seit elf Jahren hingearbeitet haben, sie befindet sich drei Monate nach dem Eheversprechen augenscheinlich mitten im Scheidungskrieg. Die Zwangsverheirateten aus Union und SPD hingegen waren nach 100 Tagen allerbester Dinge. Damals wuchs zusammen, was doch eigentlich nicht zusammengehören durfte.

Die Wochen und Monate nach der Bundestagswahl 2005 sind eine Zeit der Ernüchterung. Die Union hat die Wahl nicht wirklich gewonnen. Die SPD so gerade nicht verloren. Beide Lager retten sich mehr in die Regierung, als dass sie sie sich verdient hätten. Beide haben sich vorher aufs Messer bekämpft. Die Wunden sind noch nicht verheilt, da müssen sie mit dem schärfsten Kontrahenten gemeinsame Sache machen.

II. Gefragt ist Nüchternheit.

Angela Merkel und Franz Müntefering begreifen im Herbst 2005 wohl als Erste, dass die Zeit der Grabenkämpfe erst mal vorbei ist. Sie müssen zusammen regieren. Also machen sie das Beste draus. Es ist die Zeit der Ausnüchterung. Nach Jahrzehnten ideologischer Debatten erlebt die Republik, wie aus Gegnern Partner werden. Eine Zweckgemeinschaft, in der die Mitspieler plötzlich überrascht waren, wie gut es mit den anderen laufen kann.

Aber langweilig ist sie, die große Koalition. Die Mehrheiten im Bundestag sind immer ganz große Mehrheiten. Innerparteiliche Kritiker haben keine Relevanz mehr, weil sie nie genug Abgeordnete hinter sich versammeln können, um die ganz großen Mehrheiten auch nur ansatzweise in Gefahr zu bringen. Es zählt, was im Koalitionsausschuss verabredet wird. Das macht das Regieren zu einer überschaubaren Angelegenheit.

Aber die große Koalition regiert immerhin. Still und effizient. Das stört nur die Medien, die wenig zu schreiben haben. Die Menschen freut es. Sie sind nach den aufreibenden letzten rot-grünen Agenda-Jahren reformmüde. Sie sind dankbar, dass Merkel die Politik entschleunigt.

Von der großen Koalition werden am Anfang keine Wunder erwartet. Natürlich, sie hat rechnerisch die Macht, die großen Probleme des Landes zu lösen. Zwei-Drittel-Mehrheit in Bundestag und Bundesrat sind ein ziemliches Pfund. Aber dafür sind sich Union und SPD dann inhaltlich doch nicht einig genug.

III. Entscheide nur, wenn es nicht strittig ist.

Ein Problem für den inneren Zusammenhalt der Koalition ist das nicht. Merkels Leitsatz lautet damals: Entscheide kein strittiges Thema, das du nicht entscheiden musst. Der Atomstreit bricht deshalb nicht richtig aus, weil beide Seiten wissen, dass sie nie eine Einigung finden werden. Also gilt einfach der Status quo fort. Merkel reicht das. Vizekanzler Franz Müntefering auch.

Und wo es nicht anders geht - siehe Gesundheitsreform - wird so lange an einem Kompromiss geschraubt, bis es eine Lösung gibt, die beide Seiten nach einer eventuellen gewonnenen Wahl wieder aufbohren können.

Dass das funktioniert, liegt an der besonderen Geschichte dieser großen Koalition. 2005 haben sich zwei vom Wähler geprügelte Parteien zusammengetan mit dem gemeinsamen Ziel, die kommenden vier Jahre politisch zu überleben.

IV. Jeder Klientel Zucker geben.

Sie wussten, das geht nur, wenn Erfolge gemeinsam gefeiert und Niederlagen gemeinsam durchgestanden werden. Und wenn jeder seiner Klientel auch mal Zucker geben darf. Jeder hält sich geflissentlich an die Regeln, weil es kein Handbuch dafür gibt, was passiert, wenn die Regeln gebrochen werden.

Die große Koalition ist eine Art Notregierung. Schwarz-Gelb und Rot-Grün haben das Land nach und nach ins Fünf-Parteien-System regiert. Das hat auch Hartgesottene nachdenklich gemacht.

Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) sagt in den Anfangstagen der großen Koalition: "Es gibt eine raison d'être, dass wir hier eine Verantwortung haben, die bis hin zur Frage der Legitimation von Politik geht."

Die Demut, die aus dem Satz spricht, hat auch Merkel verinnerlicht. Sie wolle dem Land dienen, sagt sie kurz nach der Wahl. Es ist ihr anzumerken, dass dies keine Floskel ist.

V. Die Parteipolitik bleibt vor der Tür.

Als erste Frau im Kanzleramt genießt Merkel einen großen Vertrauensvorschuss in der Öffentlichkeit. Ihr unaufgeregt moderierender Regierungsstil, ihr Pragmatismus beindruckt die Menschen. Sie will Parteipolitik möglichst vor der Tür lassen.

Dass sie auch CDU-Vorsitzende ist, wird lediglich bei den wenigen Gelegenheiten spürbar, bei denen sie im Konrad-Adenauer-Haus vor die Presse tritt. Das ist noch heute so. Merkel macht die große Koalition nicht zu einer Regierung der Herzen, aber zu einer der Regierung der Vernunft.

VI. Ein Kleiner zu groß.

Jetzt ist alles anders. Jetzt ist Guido Westerwelle Vizekanzler, jetzt krakeelt da ein kleiner Koalitionspartner. Die FDP sieht sich als einziger Gewinner der Bundestagswahl 2009 und tut mit ihren 14,6 Prozent, als hätte sie die Union in Grund und Boden gerammt.

Auf der anderen Seite steht die Union, die nicht besser abschneiden konnte als 2005, was schon schlimm genug für sie ist, sich aber nicht von der FDP an der Nase herumführen lassen möchte.

Von der Union sind viele Wähler zur FDP übergelaufen. Das Grundproblem dieser Koalition: Die Union will diese Wähler zurück. Die Freidemokraten wollen sie behalten und bekommen gerade Panik, dass ihnen das nicht gelingen könnte.

Darum hat die FDP den Realitäts-Check nach der Bundestagswahl gar nicht erst gemacht. Westerwelle will nach der Wahl eins zu eins umsetzen, was er vor der Wahl versprochen hat. Jemand hätte ihm sagen müssen, dass angesichts der Wirtschafts- und Finanzkrise schon die Versprechen unsinnig waren. Stattdessen opponiert er einfach durch. Er scheut nicht mal davor zurück, sich im Auswärtigen Amt zur Parteipolitik zu äußern. Merkel würde da im Traum nicht drauf kommen.

Die große Koalition hat am Anfang auch einfach Glück. Sie startet in eine Phase der wirtschaftlichen Erholung. Die Steuereinnahmen sprudeln. Bald schon gilt ein Haushalt ohne Neuverschuldung als möglich. Das verhindert Verteilungskämpfe.

Wer Regierungsmitglieder damals nach ihrem Verhältnis untereinander fragt, hörte Worte wie "verlässlich", "vertrauenswürdig", "partnerschaftlich". Nicht immer und überall, aber doch grundsätzlich.

Wer heute fragt, hört Worte wie "Misstrauen", "Gegnerschaft" und "unzuverlässig". Und zwar ganz grundsätzlich, fast immer und überall.

VII. Fraktionschefs und das Gebot der Wirklichkeit.

Dass es in der großen Koalition besser läuft, liegt vor allem an den handelnden Personen. Mit den Fraktionschefs steht und fällt eine Koalition. Volker Kauder (CDU) und SPD-Mann Peter Struck verstehen sich von Beginn an gut. Es entsteht eine echte Polit-Partnerschaft der Fraktionsvorsitzenden.

Wenn es Knatsch gibt, haben die beiden das unter sich geklärt. Jeder weiß, was dem anderen zuzumuten ist und was nicht. "Politik beginnt mit der Betrachtung der Wirklichkeit": Das sagt Kauder gerne und meint es auch so. Struck hätte ihm da nicht widersprochen.

Heute muss Kauder mit FDP-Fraktionschefin Birgit Homburger leben. Manche sagen, er empfinde das als Strafe. Wobei er nicht mal wisse, womit er dies verdient habe. Birgit Homburger hingegen sieht Kauder als Rivalen. Sie kommen aus demselben Bundesland, aus Baden-Württemberg - und doch scheint es, als trennten sie Welten.

VIII. Banalitäten als "Tabubruch".

Also müssen Konflikte eine Etage höher im Kanzleramt geklärt werden. Nur dass es Merkel mit Westerwelle nicht viel einfacher hat. Ihre Spitze gegen den Außenminister und FDP-Chef, er verkaufe Banalitäten als Tabubruch, war ein schon fast verzweifelter Versuch, ihren Koalitionspartner in der von Westerwelle ohne Not angezettelten Sozialstaatsdebatte wieder auf den Teppich zu holen.

Statt zu regieren muss Angela Merkel das Kindermädchen spielen. Das hätte sie sich auch nicht träumen lassen. Und das mit einem, den sie einst beim Cabrio-Fahren und beim Wohnzimmer-Plausch über den zu wählenden Bundespräsidenten Horst Köhler näher zu kennen glaubte.

In der großen Koalition kann Merkel die wichtigsten Fragen noch auf dem kurzen Dienstweg mit den SPD-Größen Müntefering und später Frank-Walter Steinmeier klären. Das ist effizient und vor allem geräuschlos. Sie mag mit den beiden Sozialdemokraten auch das ein oder andere Problem gehabt haben. Aber das Einmaleins verantwortlicher Regierungspolitik kannten beide schon vor Beginn der großen Koalition auswendig.

Westerwelle dagegen bleibt auch in der Regierung noch Oppositionspolitiker. Er müsste wissen, dass das auf Dauer keine erfolgreiche Strategie sein kann.

Kandidat Steinmeier hat vor der Wahl gesagt, Merkel werde sich noch nach der SPD zurücksehnen, wenn es mit der FDP klappen sollte. In Merkels Kopf kann niemand schauen - aber sehr gut möglich, dass der Genosse in diesem Punkt recht behalten hat.

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