CDU: Initiative eines Spitzenmanns:Ruprecht Polenz - die Türkei muss in die EU

Lesezeit: 4 min

Provokateur oder Pionier? CDU-Außenpolitiker Ruprecht Polenz stemmt sich mit seinem neuen Buch gegen die Mehrheitsmeinung seiner Partei. Er ist für einen EU-Beitritt der Türkei.

Gökalp Babayigit

Ruprecht Polenz ist CDU-Abgeordneter und Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestags. Er stellt am Mittwoch sein Buch " Besser für beide. Die Türkei gehört in die EU" gemeinsam mit Hans-Dietrich Genscher in Berlin vor.

"Die Türkei gehört zu Europa" - das sagte der Präsident der Europäischen Kommission, Walter Hallstein (CDU), bereits im Jahre 1963. Ruprecht Polenz erinnert in seinem Buch daran, dass die CDU keineswegs immer schon gegen einen Beitritt Ankaras war. (Foto: dpa)

sueddeutsche.de: Herr Polenz, in ihrem Buch plädieren Sie für einen Beitritt der Türkei in die Europäische Union. Das sei besser als die Idee von einer "privilegierten Partnerschaft". Fühlen Sie sich als Provokateur in der CDU?

Ruprecht Polenz: Nein, das tue ich nicht - zumal es in der Union die eine oder andere Stimme gibt, die diese Auffassung mit mir teilt. Richtig ist, dass meine Partei mehrheitlich der Auffassung ist, man solle die Türkei in einer privilegierten Partnerschaft an die EU binden. Aber das war nicht immer die Mehrheitsauffassung in der Union - und das kann sich ja auch wieder ändern. Daran will ich jedenfalls arbeiten.

sueddeutsche.de: Wie fielen die Reaktionen Ihrer Parteikollegen auf das Buch aus?

Polenz: Die Reaktionen waren insgesamt freundlich. Ich habe bereits einige Rückmeldungen bekommen, nach dem Motto: "Na, da bist du ja ganz schön gegen die Mehrheitsmeinung der Partei." Es ist also nicht so, dass man in der CDU wegen einer abweichenden Meinung persönlich angegriffen würde.

sueddeutsche.de: Angeblich war Ihr Buch schon früher fertig - und sei wegen der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen am 9. Mai zurückgehalten worden.

Polenz: Nein, das ist nicht richtig. Ursprünglich sollte das Buch im März erscheinen. Dann ist aber von der Verlagsdisposition gesagt worden, es solle im Mai erscheinen. Ich habe darauf bestanden, dass es Ende Mai rauskommt. So ist es dann vereinbart worden. Es ist in der Tat so, dass ich das Thema vor dem Hintergrund der Wahl in Nordrhein-Westfalen nicht einer Diskussion aussetzen wollte, die sachfremd geworden wäre.

sueddeutsche.de: Um für den EU-Beitritt der Türkei in der Bevölkerung Akzeptanz zu erhalten, müssten die hearts and minds der Menschen gewonnen werden, schreiben Sie. Der Verstand lässt sich vielleicht mit Argumenten wie in Ihrem Buch gewinnen - aber wie erreicht man die Herzen?

Polenz: Die Herzen können Sie mit einem Buch nur sehr begrenzt gewinnen. Die Emotionen in dem Thema sind vor allem geprägt von einer tiefen Besorgnis gegenüber dem Islam und werden gespeist durch die Probleme, die es in Deutschland mit manchen türkischen Einwanderern und deren Integration noch gibt. Bei beiden Fragen, vor allen Dingen beim Integrationsthema, werden Fortschritte auch dazu führen, dass die emotionalen Bedenken schwächer werden. Beim Islam-Thema geht es darum, immer wieder zu erklären, dass diese Weltreligion mit 1,3 Milliarden Gläubigen alles andere als das ist, was Fundamentalisten und gewalttätige Extremisten unter fälschlicher Berufung auf den Islam vorführen.

sueddeutsche.de: Ist der Beitrittsprozess der Türkei also ein innenpolitisches Thema in Deutschland?

Polenz: Auf alle Fälle. Gerade in Deutschland gibt es folgende Assoziationskette: "Wir haben noch ziemliche Probleme mit der Integration von Türken. Wenn die Türkei EU-Mitglied wird, kommen noch mehr und wir haben noch mehr Probleme. Also wollen wir das nicht." Da kann man einige Fakten dagegenhalten. Dass wir etwa bilateral die Freizügigkeit dauerhaft ausschließen könnten, wissen viele nicht. Das wissen meiner Meinung nach auch viele meiner Kollegen nicht. Deshalb habe ich es im Buch ausdrücklich erwähnt, ohne dass ich eine solche Maßnahme befürworten würde. Sie gäbe aber eine Art Versicherung für die, die jetzt sehr besorgt sind. Außerdem kann man es auf die knappe Formel bringen: Die Türkei will der EU beitreten - und nicht Deutschland.

sueddeutsche.de: Die Türkei versucht seit einiger Zeit, außenpolitisch eine neue Rolle zu finden. Sie spricht mit einst verfeindeten Nachbarn und versucht frühere Konflikte mit anderen Staaten beizulegen. Wie ist die aktivere Rolle der Türkei hinsichtlich des Beitrittsbestrebens zu bewerten?

Ruprecht Polenz (Foto: dpa)

Polenz: Grundsätzlich positiv. Wir haben auch von früheren Beitrittskandidaten stets erwartet, dass sie Konflikte, die sie mit Nachbarn haben, nicht mit in die EU bringen, sondern sie vorher lösen. Zum Zweiten dient ein besseres Verhältnis der Türkei zu ihren Nachbarn auch den Zielen der EU, die auch eine friedliche Nachbarschaft um sich herum haben möchte. Und zum Dritten hängt der gewonnene Einfluss der Türkei in der Region sehr stark vom EU-Beitrittsprozess ab. Die Rolle, die sie außenpolitisch spielen kann, ist mit ihrer wirtschaftlichen Entwicklung eng verknüpft. Da zeigen die sprunghaft angestiegenen Auslandsinvestitionen mit Beginn der Beitrittsverhandlungen von zwei Milliarden auf mehr als 20 Milliarden Euro einen ganz klaren Zusammenhang auf.

sueddeutsche.de: Der EU-Beitrittsprozess als Pfund, mit dem die Türken wuchern können?

Polenz: Das Interesse in den arabischen Nachbarländern an der Türkei hängt eng mit deren EU-Beitrittsprozess zusammen. Man kann das auch mit einem Vergleich deutlich machen. Nach 1989, nach dem Ende der Sowjetunion, hatte man in der Türkei die Vorstellung, dass die Turkvölker, die früher zur UdSSR gehörten, sich nun Richtung Ankara orientieren würden. Davon ist fast nichts verwirklicht worden. Ich führe das darauf zurück, dass es den Beitrittsprozess damals noch nicht gab. Das muss man jenen Stimmen in der Türkei sagen, die heute fragen: "Wer weiß, ob wir die EU überhaupt brauchen? Wir sind ja jetzt selbst eine beachtliche Regionalmacht."

sueddeutsche.de: Aktuell verschlechtert sich das Verhältnis der Türkei zu Israel drastisch. Ist der Beitrittsprozess dadurch gefährdet?

Polenz: Die Türkei sollte in ihrer Außenpolitik darauf achten, dass sie sich gerade in der Israel- und Nahostpolitik in jenem Korridor bewegt, den die Europäische Union verfolgt. Wenn sie sich davon zu weit entfernt, kommen sicherlich Fragen auf. Außerdem schwächt die Türkei so ihre eigene Handlungsmöglichkeit.

© sueddeutsche.de/gba - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: