Regierung Merkel in Nöten:Nun singet und seid froh

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Die Regierung Merkel erlebt turbulente Zeiten - und eine angeschlagene Kanzlerin versucht, mit handelsüblichem Taktieren innenpolitisch über die Runden zu kommen.

Stefan Braun

Diesmal gibt es selbst bei Angela Merkel Zeichen der Erschöpfung. Die Kanzlerin ist zwar bekannt dafür, dass sie Stress länger aushält als die meisten. In diesen Tagen aber wächst auch bei ihr das Bedürfnis, endlich Pause zu machen.

Hölzern abgelesen: Bundeskanzlerin Angela Merkel spricht beim Kopenhagener Klimagipfel. (Foto: Foto: AFP)

Als sie am Donnerstagmorgen im Bundestag zur Regierungserklärung ansetzt, schafft sie es binnen Sekunden, der Aufgeregtheit der letzten Tage einschläfernde Ruhe entgegenzusetzen. Es kommen keine satten Sätze, keine überraschenden Aussagen. Es kommt eine ziemlich leise, ziemlich monoton langweilige Stimme.

Merkel spricht zwar von "großer Zufriedenheit" und "Aufbruch", sie freut sich über den Lissabon-Vertrag und mahnt vor dem Klimagipfel in Kopenhagen, endlich voranzukommen. Dabei aber liest die Kanzlerin ihren hölzernen Text minutenlang einfach müde vom Blatt ab. Und das sagt alles: In einer Woche, in der die Öffentlichkeit ihre Scheinwerfer besonders grell auf die Regierung, den Verteidigungsminister und den Steuerstreit mit den Ländern lenken, dimmt die Kanzlerin mit einer einschlummernden Rede einfach das Licht herunter.

Das hat tatsächlich viel mit aufgestauter Müdigkeit zu tun. Nach einem wahl- und ereignisreichen Jahr "schleppt sich auch die Kanzlerin Richtung Feiertage", erzählt einer aus ihrer engsten Umgebung. Aber Merkels Tonlage an diesem Donnerstag passt auch zu ihrem Bedürfnis, langweilige Normalität auszustrahlen. Für Merkel nähert sich eine Woche ihrem Ende, in der alle Probleme der neuen schwarz-gelben Regierung kulminiert sind.

Eigentlich wollte sie mit dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz einen ersten großen Aufschlag machen. Statt dessen muss sie sich, wenn an diesem Freitag im Bundesrat alles gut gehen soll, sehr mühsam über die Ziellinie schleppen. Sie wollte zudem mit dem zweiten Bildungsgipfel unterstreichen, wie sehr sie sich um das zentrale Zukunftsthema Bildung kümmert - und musste mit ansehen, wie die Länderchefs sie trotz hoher Geldzusagen des Bundes eifersüchtig ausgebremst haben.

Sie wollte drittens von Kopenhagen aus Gutes fürs Klima verkünden, doch auch das scheint am Donnerstagnachmittag ferner zu sein als noch vor ein paar Tagen. Und über all dem heizt der Streit um Afghanistan, den Verteidigungsminister und den Ex-Generalinspekteur Schneiderhan die politische Luft seit Tagen so an, dass sich in der aufgeregten Hauptstadt ein Gefühl von Skandal und Affäre festgesetzt hat.

Auch wenn Merkel zu diesem Thema bislang nichts gesagt hat, so hat sie und haben vor allem die fleißigen Helfer um sie herum im Kanzleramt doch alles unternommen, um die Fakten zu sammeln. Von Krisenstab will keiner sprechen. Krisenhafte Eile aber ist geboten gewesen. "Das legt keinen Regierungsapparat lahm", betont einer, der mit dabei ist. Trotzdem müsse alles gesichtet und politisch "waffenfähig" sein, damit sie sich im Untersuchungsausschuss verteidigen kann.

Ein bisschen Entspannung

Kein Wunder, dass Merkel auch zu diesem Thema dauernd aufs Handy achtet und sich auf dem neuesten Stand hält. Wer sieht, wie sie am Donnerstag gleich nach der Regierungserklärung in ihre SMS-Welt eintaucht, ahnt, wie das in den letzten Tagen gewesen sein muss.

Dabei, das glauben sie im Kanzleramt inzwischen, ist zumindest für die Kanzlerin selbst bei dem Thema ein bisschen Entspannung eingetreten. Die jüngsten Erkenntnisse, dass entscheidende Informationen und Berichte bei Merkel erst später eintrafen, werden in der Regierungszentrale als Entlastung gewertet. Jetzt gehe es "vor allem um die Organisation im Verteidigungsministerium", das nehme Druck raus, wie es intern heißt.

Ein Gefühl, das bei Merkel gegen Ende der Woche ohnehin wieder gewachsen ist- nur darf sie die Gründe dafür auf keinen Fall aussprechen. Allenfalls ein "es sieht doch deutlich besser aus als vor vier Wochen" ist aus ihrer Umgebung zu vernehmen. Gemeint ist die Tatsache, dass ihr am Sonntag etwas gelang, was ihr im Bundesrat in der nächsten Zeit noch sehr helfen könnte.

Denn was von den Sprechern der Bundesregierung zum Kaffeekränzchen runtergedimmt wurde, hat tatsächlich einen für Merkel vielleicht zentralen Weg geebnet. Im Treffen mit dem widerborstigen schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten Peter Harry Carstensen (CDU) und dessen Koalitionspartner Wolfgang Kubicki (FDP) gelang es Merkel, durch eine Zusage das wahrscheinliche Wohlwollen der Kieler zu erhalten. Die mündliche Zusage lautet, dass der Bund sich im kommenden Frühjahr noch einmal ganz genau die Haushaltslage der schwachen Länder und ihre Verpflichtungen aus der Schuldenbremse anschauen werde.

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Was kompliziert klingt, ist in Wahrheit einfach: Ich, die Kanzlerin, werde nächstes Jahr Verständnis für die Grenzen haben, die sich aus der Schuldenbremse ergeben. Das heißt: Bei der zweiten Steuerreform wird der Bund Kiel und andere nicht zwingen, etwas zu tun, was sie nicht mehr schultern können.

Das Prinzip des ehrbaren Kaufmanns

Diese Botschaft wollte Carstensen auf Dauer haben, zumal Merkel am Mittwoch auf dem Bildungsgipfel das zweite Zugeständnis folgen ließ. Der Bund wird im nächsten Sommer mit den Ländern umfassend über zusätzliche Anteile an den Umsatzsteuereinnahmen verhandeln. Wer die Steuerschätzung im Mai 2010 dazu zählt, weiß, worauf das alles hinaus läuft. Es wird die zweite, größere Steuerreform, wie sie sich die FDP so wünscht, kaum mehr geben. Carstensen spricht seitdem lächelnd davon, dass er auf das Prinzip des "ehrbaren Kaufmanns" vertraue.

Ein CDU-Mann aus der Regierung kommentiert es weniger prosaisch: "Jetzt bekommen FDP und CSU ihre Klientelgeschenke, aber mehr wird es nicht mehr geben." Hilfreich war dabei, dass der FDP-Mann Kubicki und der FDP-Chef Guido Westerwelle sich nicht eben grün sind. Sich mit Kubicki gegen weitere Steuersenkungen zu organisieren - ein echter Coup Merkels und der CDU-Spitze. Wie sagt es einer aus ihrer Riege: "Allmählich fallen die Puzzlesteine doch so, wie wir es brauchen."

Dass das alles nicht kostenlos ist, zeigte sich am Mittwoch. Als Merkel nach dem Bildungsgipfel auftrat, sprach sie plötzlich von einem "kleinen Rest an Kompetenz", ja von einer "Restkompetenz des Bundes" bei der Bildung. So kleinlaut ist Merkel bei diesem Thema noch nie zu erleben gewesen.

Immerhin hat es diese Woche aber auch einen wirklich fröhlichen Moment für sie gegeben. Als die Unionsfraktion am Dienstag ihre Weihnachtsfeier abhielt, kletterten Merkel und Volker Kauder auf die Bühne und begannen zu singen. "Oh, du fröhliche" hatten sie sich ausgesucht, um ihre Fraktion als Vorsinger zu beglücken. Dabei wurde mit großem Schmunzeln registriert, dass Kauder diesmal auch Merkel ein Mikrofon organisiert hatte. "So hörte man gut, dass auch Frau Merkel nicht jeden Ton trifft", heißt es seither.

© SZ vom 18.12.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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