Politische Kultur:Geschrei aus der Wagenburg? Deutschland hält das aus

Pegida-Demonstration in Dresden

Zur Pegida-Demonstration in Dresden sind weniger Menschen gekommen, als erwartet.

(Foto: dpa)

Wir gegen die da oben: Die Minderheit derer, die sich zu Kämpfern gegen "das System" stilisieren, ist größer geworden. Ach Gottchen.

Kommentar von Kurt Kister

Es gibt nicht viel, was Donald Trump, Frauke Petry und Beppe Grillo verbindet. Eines aber haben der zynische Milliardär aus New York, die Rechtsauslegerin aus Sachsen sowie der egomanische Polit-Sponti aus Norditalien gemeinsam: Sie stilisieren sich als Kämpfer gegen "das System". Zum "System" gehören alle, die grundsätzlich anderer Meinung sind als sie selbst.

Jene, die für sich in Anspruch nehmen, die Machenschaften des Systems zu durchschauen, führen zumeist einen Kampf aus der Wagenburg heraus. Die Welterkenntnis innerhalb der Wagenburg gilt ihnen dabei als das Normale, das Vernünftige. Außerhalb der selbstgeschaffenen Einfriedung aber herrscht "das System". Hier kontrolliert die Elite die Bevölkerung, über Medien und das Errichten von Tabuzonen. Wer sich gegen den befohlenen "Mainstream" wendet, der wird als radikal abgestempelt und verleumdet. Man weiß zwar nicht genau, wie das funktioniert. Aber dass es funktioniert, kann man ja immer sehen, wenn man aus der Wagenburg herausschaut.

Glücklicherweise ist der größte Teil der Auseinandersetzung in Deutschland nicht von der Wir-gegen-das-System-Mentalität geprägt. Der bodenständige Konservative, der Angela Merkels Flüchtlingspolitik ablehnt, ist ebenso wenig ein Insasse der Wagenburg wie der Wechselwähler, dem unkontrollierte Zuwanderung nicht passt. Und doch ist die Minderheit jener, die Politik als Kampf gegen Eliten, Gutmenschen und Staatsversager versteht, größer geworden. Dies schlägt sich auch in Umfragewerten der AfD, der klassischen Wagenburg-Partei, nieder.

Zu den Leitmotiven der Wir-gegen-Die-da-oben-Politik gehört die Darstellung der Lage als desaströs: Das Land wird von Lügnern und Naivlingen regiert; Deutschland schafft sich ab, und das Abendland geht unter, weil es von Muslimen und sonstigen Fremden überschwemmt wird. Vor allem aber, das hört man bei Pegida und beim Friseur, ist die Gesellschaft angeblich so zerrissen wie nie zuvor: hier das Volk, dort die anderen.

Politischer Streit ist kein Menetekel des Untergangs

Ach Gottchen, sagte Frank Schirrmacher früher gerne als Reaktion auf manche schlichte Analyse. In Deutschland ist aus guten Gründen schon immer viel und manchmal auch sehr intensiv gestritten worden. Als in den Siebzigerjahren die RAF wütete, waren die Meinungskämpfe - und leider auch die gegenseitigen Verleumdungen - viel schärfer als heute.

Oder: In den Jahren der Nachrüstung bekriegten sich Befürworter und Gegner nahezu. Und: Selbst in den Umbruchjahren der deutschen Vereinigung gingen tiefste Gräben durchs Land, die sich keineswegs nur zwischen Ost und West auftaten.

Der Staat hat bei alledem nicht versagt. Die deutsche Geschichte seit 1945 war auch eine Geschichte der Debatten darüber, was dieses Land ist, was es darf und was es kann. Wenn eine Gruppe von sich behauptet, sie sei "das" Volk, muss man genauso skeptisch sein, wie wenn von "dem System" geredet wird. Politischer Streit ist kein Menetekel des drohenden Untergangs, sondern Bestandteil der Demokratie. Deutschland hat schon schwierigere Situationen - Wiederaufbau, Demokratisierung, Vereinigung - gemeistert als die sicher schwierige Flüchtlingskrise. Sie erfordert große Anstrengungen. Wenn dazu auch das Geschrei aus der Wagenburg gehört, sei's drum.

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