Piratenpartei in der Krise:Piraten, ihr seid auch nur Politiker

In Umfragen fallen die Piraten unter fünf Prozent. Der politische Geschäftsführer bekommt Talkshow-Verbot, hält sich aber nicht daran. So setzt sich die Krise der jungen Partei fort, die gerne anders wäre als alle anderen und "Themen statt Köpfe" fordert. Dumm nur, dass das nicht klappen kann, wenn die Oberpiraten ein "Gate" nach dem anderen produzieren.

Hannah Beitzer

Hessische Piratenpartei waehlt am Wochenende neuen Vorstand

Die Piraten kritisieren sich fast lieber untereinander als den politischen Gegner.

(Foto: dapd)

Die Piratenpartei ist berühmt für ihre Shitstorms, ihre wenig zielführende Diskussionskultur und die ungebremste Wut, die ihre Führungsfiguren (egal ob selbsternannt oder gewählt) zuweilen von Parteifreunden zu spüren bekommen. Nun ist mal wieder der Bundesvorstand dran mit den Schlagzeilen. Der politische Geschäftsführer Johannes Ponader, bekannt geworden als sandalentragender Verfechter eines bedingungslosen Grundeinkommens und gelegentlicher Hartz-IV-Empfänger, hat seine Vorstandskollegen gegen sich aufgebracht.

Im Sommer hatte er zuerst publikumswirksam mit einem Artikel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung der Agentur für Arbeit den Rücken gekehrt und brachte schließlich zahlreiche Parteifreunde mit einer umstrittenen Spendenaktion gegen sich auf, die wohlwollende Unterstützer zu seinen Gunsten initiiert hatten. Den Piraten brachten die Zankereien jede Menge schlechter Presse, weswegen die Mehrheit von Ponaders Bundesvorstands-Kollegen es für eine gute Idee hielt, dem BGE-Verfechter etwas mediale Zurückhaltung anzuraten.

Doch Ponader selbst sah das anders und nahm diese Woche eine Einladung zu einer Talkshow an. Erbost griff Parteivize Sebastian Nerz seinen Parteifreund auf Twitter an - dieser halte sich nur an Absprachen, solange sie seine eigene Meinung widerspiegelten. Eine wütende Diskussion entbrannte, an der sich auch zahlreiche andere Mitglieder beteiligten.

Wie auf anderes einigen, wenn man sich noch nicht einmal auf eine Talkshow einigt?

Der Streit zwischen Ponader und seinen Vorstands-Kollegen ist kein Einzelfall, beinahe wöchentlich machen die Piraten derzeit mit einem neuen "Gate" von sich reden. So standen unter anderem die bekannten Piratinnen Julia Schramm und Marina Weisband wegen Buchveröffentlichungen in der Kritik, der politische Geschäftsführer der NRW-Piraten musste wegen eines Datenschutzverstoßes zurücktreten. In den Umfragen lagen die Piraten im jüngsten ARD-Deutschlandtrend erstmals wieder unter fünf Prozent.

Einfluss der Piratenpartei in Deutschland

Das ist besonders bitter für die Partei, weil sich in den vergangenen Monaten inhaltlich eigentlich einiges getan hat. Die Piraten initiierten zum Beispiel einen Urheberrechtsdialog zwischen Piraten, Künstlern und Verwertern und konkretisierten ihr Programm mit Vorschlägen für eine Urheberrechtsreform. Andere Parteimitglieder organisierten die Euwikon, eine Konferenz, in der wirtschaftlich interessierte Piraten Programmvorschläge rund um die Themen Wirtschaft, Finanzen und Europa erarbeiteten.

Themen und Köpfe

Allein: Die Umfragewerte sanken. Zahlreiche Mitglieder reagieren darauf mit jenem Ausruf, der wesentlich zum Ruf der Piraten als Alternative zu "etablierten" Parteien beigetragen hat: "Themen statt Köpfe". Man solle sich wieder mehr auf die Inhalte anstelle von Personalien konzentrieren. Erst einmal hört sich das gut an: kein Führungskult, keine Egotrips, keine Kompetenzstreitigkeiten mehr. Stattdessen Basisdemokratie, sachliche Diskussionen, mehrheitsfähige Beschlüsse.

Aber ganz so einfach ist es leider nicht. Denn eine Partei ist weit mehr als nur ihr Parteiprogramm. Um ihre Politik vermitteln zu können, braucht sie Leute, die eben dies tun. Zum Beispiel eine funktionierende Führungsspitze, die sich nicht gegenseitig die Köpfe einschlägt, sondern sich auf eine gemeinsame Linie verständigen kann. Wenn man nicht einmal in seinem eigenen Laden ohne größere Verwerfungen einen Konsens herbeiführen kann - wie soll das dann im Parlament gelingen? Wie soll man sich zum Beispiel mit den anderen Parteien über einen Gesetzesentwurf abstimmen, wenn man sich intern nicht einmal über so etwas Banales wie einen Talkshow-Auftritt einigen kann?

Außerdem brauchen die Piraten Menschen, die die schönen Worte, die ihr Parteiprogramm enthält, in die Realität übertragen - indem sie die dort verschriftlichten Ideale selbst leben. Denn eine Partei erlangt nur Glaubwürdigkeit, wenn ihre Vertreter beweisen, dass man das Wahlprogramm auch leben kann. "Themen statt Köpfe" ist deswegen zu kurz gedacht - Themen UND Köpfe müssen stimmen.

Deswegen war es auch absehbar, dass Buchautorin Julia Schramm, die sich zuvor als Kritikerin des Urheberrechts einen Namen gemacht hatte, hämische Kommentare einfährt, wenn ihr Verlag illegale Kopien ihres Buches im Netz sperren lässt. Und sie muss sich aus verständlichen Motiven die Frage gefallen lassen, warum sie die in der Partei propagierten "alternativen Finanzierungswege" nicht ausprobiert hat.

Ähnliche Erfahrungen haben auch Politiker anderer Parteien schon gemacht: Der CSU-Politiker, der ein Kind aus einer außerehelichen Affäre hat, wird nicht zufällig mit der Frage konfrontiert, wie sich das mit dem konservativ-christlichen Familienbild verträgt. Es ist auch kein Zufall, dass gerade SPD-Chef Sigmar Gabriel als junger Vater mit Fragen nach der Vereinbarkeit von Beruf und Familie gepiesakt wurde - denn schließlich hat seine Partei ebendies im Programm stehen. Und dass wochenlang über den Porsche des damaligen Linke-Chefs Klaus Ernst diskutiert wurde, verwundert eigentlich auch nicht, tritt seine Partei doch als Vertreterin der Armen auf.

Das ist nicht immer fair und sicher auch nicht immer rational. Aber es ist eben so. Denn in Deutschland repräsentiert der Politiker nicht nur seine Wähler im politischen System. Er repräsentiert auch das politische System nach außen. Für seine Wähler ist er "die Politik". Das gilt auch für die Piraten.

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