Petition gegen EU-Austritt:Warum die Petition gegen den Brexit wenig Chancen hat

Lesezeit: 2 min

"Ja zur EU": Junge Briten demonstrieren nach der Brexit-Abstimmung in London. (Foto: Getty Images)

Mehr als drei Millionen Menschen unterzeichnen eine Petition, in der sie eine erneute Abstimmung verlangen - doch diese Forderung ist vergebens.

Von Julian Dörr

Es ist der dritte Tag nach der großen Abstimmung, doch Großbritannien und der Welt bleibt keine Zeit, den Schock zu verdauen. In einem Interview fordert EU-Parlamentspräsident Martin Schulz die britische Regierung dazu auf, schon beim EU-Gipfel am Dienstag den Austritt aus der Europäischen Union zu beantragen. Keine Verzögerungstaktik, bitte. Die Gewinner kassieren Wahlversprechen ein und die Verlierer protestieren. Im Netz haben mehr als drei Millionen Menschen eine Petition auf der Webseite des britischen Parlaments unterzeichnet, in der sie ein zweites EU-Referendum fordern.

Laut einer offiziellen Karte sind die Unterstützer über das ganze Land verteilt, aber sie kommen vermehrt aus Edinburgh und Belfast, aus Manchester, Oxford, Bristol und natürlich aus London. Es sind die Großstädter, die Vielfalt und Multinationalität vor ihren Haustüren erleben. Es sind vielleicht auch die jungen Briten, die sich durch den EU-Austritt ihrer Zukunft beraubt sehen. Wie viele der Unterzeichner jedoch tatsächlich aus Großbritannien stammen, ist unklar. Zwar ist die Petition britischen Staatsbürgern vorbehalten, doch lässt sich diese Vorgabe leicht umgehen.

Nach dem Brexit
:Jetzt braucht die EU eine Generalrevision

Die Kluft zwischen Bürgern und europäischen Institutionen scheint unüberwindbar. Die Union muss ihre Politik so grundlegend überprüfen, wie sie das seit 1957 nicht getan hat.

Kommentar von Stefan Kornelius

Die Zielmarke ist längst erreicht. Bei mehr als 100 000 Unterschriften kann das Parlament eine Debatte über die Petition erwägen. Dort werden - gerade einmal drei Tage nach dem Votum - erste Zweifel laut. Der Labour-Abgeordnete David Lammy sagte gegenüber dem Guardian: "Wir müssen das nicht tun. Wir können diesen Wahnsinn stoppen und diesem Albtraum mit einer Abstimmung im Parlament beenden." Selbst im konservativen Lager gibt es Bedenken: "Vor diesem Referendum wurde vieles gesagt, worüber wir noch einmal nachdenken sollten", sagte der Tory-Abgeordnete Liam Fox.

Im Nachhinein eine Klausel zu fordern, ist müßig

Doch auch wenn eine zweite Abstimmung theoretisch möglich ist, hat die Petition praktisch keine Chance. Das Parlament unterliegt keiner gesetzlichen Verpflichtung, die Petition tatsächlich auf die Tagesordnung zu heben - auch wenn sie von Millionen Menschen unterzeichnet wurde. Darüber hinaus fordert sie etwas, was in einer rechtsstaatlichen Ordnung nicht vorgesehen ist: eine rückwirkende Veränderung der Abstimmungsregeln. Ein neues Referendum sei notwendig, weil die Austrittsbefürworter weniger als 60 Prozent aller Stimmen erhalten hatten und die Wahlbeteiligung unter 75 Prozent lag. So lautet die Forderung der Petition.

Selbstverständlich kann man ein Votum mit Prozent-Hürden und Schwellenwerten versehen. So taten es die Schotten im Jahr 1979, als sie über ein eigenständiges Parlament abstimmen sollten. 51,6 Prozent unterstützen diesen Vorschlag - doch das Referendum scheiterte. Vor der Abstimmung hatte man sich auf eine Klausel geeinigt, die vorsah, dass mehr als 40 Prozent aller Wahlberechtigten für eine eigene Nationalversammlung stimmen müssten. Da aber nur 64 Prozent der Schotten überhaupt ihre Stimme abgaben, repräsentierten die Befürworter gerade einmal 32,9 Prozent der möglichen Wähler.

Eine solche Klausel gab es beim Brexit-Votum nicht. Sie im Nachhinein zu fordern oder gar das Abstimmungsergebnis an ihr zu messen, ist müßig. Die britischen Bürger haben entschieden. Und auch wenn das Ergebnis knapp war, müssen sie nun mit den Konsequenzen leben.

© SZ.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Nach der Brexit-Entscheidung
:Londoner suchen den Exit aus dem Brexit

Vor dem Parlament versammeln sich EU-Befürworter. Mehr als zwei Millionen Briten wollen ein zweites Referendum. Und die Schotten wollen alleine in die EU. Ein Samstag in der Metropole.

Reportage von Thorsten Denkler, London

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: