EU-Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD) hat Großbritannien aufgefordert, schon beim EU-Gipfel am Dienstag den Austritt aus der Europäischen Union zu beantragen. "Ein Zögern, nur um der Parteitaktik der britischen Konservativen entgegenzukommen, schadet allen", sagte Schulz der Bild am Sonntag (BamS).
Eine lange Hängepartie führe "zu noch mehr Verunsicherung und gefährde dadurch Arbeitsplätze. Deshalb erwarten wir, dass die britische Regierung jetzt liefert. Der Gipfel am kommenden Dienstag ist hierfür der geeignete Zeitpunkt."
Der Chef der konservativen EVP-Fraktion im EU-Parlament, Manfred Weber (CSU), kritisierte das Verhalten der britischen Regierung. "Die beginnende Verzögerungstaktik in London ist inakzeptabel", sagte Weber der BamS und plädierte für einen schnellen Austritt "innerhalb der geplanten Frist von zwei Jahren, besser sogar innerhalb eines Jahres".
Nach der historischen Brexit-Entscheidung dringen die EU-Mitgliedstaaten auf ein schnelles Ausscheiden Großbritanniens. Sie sehen sich unter Zeitdruck für eine Neuordnung, da in mehreren Ländern nach dem Brexit-Votum Befürworter eines EU-Austritts Aufwind erhalten.
Belgier soll Brexit-Austrittsverhandlungen leiten
In Brüssel wurden deshalb schon eine "Brexit Task Force" und eine "Artikel 50 Task Force" gegründet. Leiter der Arbeitsgruppe ist der belgische Diplomat Didier Seeuws. Er soll im Auftrag der EU die Austrittsverhandlungen mit Großbritannien führen. Der 50-Jährige verantwortet derzeit das Ressort für Verkehr, Telekommunikation und Energie im Europäischen Rat. Zuvor war er Sprecher des ehemaligen belgischen Ministerpräsidenten Guy Verhofstadt sowie langjähriger Mitarbeiter des ehemaligen EU-Ratspräsidenten Herman Van Rompuy.
Die "Artikel 50 Task Force" soll Gesetzesvorlagen für den Austritt Großbritanniens ausarbeiten. Artikel 50 des EU-Vertrags von Lissabon schreibt zwar die Möglichkeit eines EU-Austritts vor, besteht aber nur aus fünf kurzen, sehr vage formulierten Paragrafen.
Millionen Briten fordern Neuabstimmung über Brexit
Nach dem Brexit-Votum fordern inzwischen Millionen Menschen ein zweites Referendum über die Mitgliedschaft Großbritanniens in der Europäischen Union. Bis zum Abend unterzeichneten mehr als zwei Millionen Anhänger den Appell. Bereits 100 000 Unterstützer reichen aus, damit das Parlament in London eine Debatte "in Betracht ziehen" muss, wie es auf der Webseite heißt.
Die Unterzeichner verlangen, dass es eine neue Volksabstimmung geben soll, wenn die Wahlbeteiligung unter 75 Prozent liegt oder weniger als 60 Prozent der Wähler für oder gegen den Brexit stimmen - beide Bedingungen treffen auf das Ergebnis des Referendums zu.
Die Petition wurde bereits Ende Mai ins Netz gestellt. Sie findet derzeit rasant Zuspruch. Pro Minute kommen mehr als 3000 digitale Unterschriften hinzu. An der Petition dürfen sich nur Bürger des Vereinigten Königreichs beteiligen.
Premierminister David Cameron, der nach dem Brexit-Ergebnis seinen Rücktritt bis Oktober angekündigt hatte, hatte erklärt, es werde kein zweites Referendum geben. Den Austritt aus der EU solle sein Nachfolger regeln.