Parteipolitik:Kretschmann ist Segen und Fluch für die Grünen

Sondersitzung der MinisterprâÄ°sidenten zu Fl¸chtlingen

Die Linken bei den Grünen fürchten, dass Winfried Kretschmann seine Partei zu sehr in Richtung der Union drängt.

(Foto: dpa)
  • Seit Wochen liegen die Grünen in Umfragen bundesweit zwischen elf und 13 Prozent - vor allem weil Kretschmann so beliebt ist.
  • Doch im Streit über die Vermögensteuer, die Kretschmann ablehnt, dürften der Partei schwere Wochen bevorstehen.
  • Auch Kretschmanns Einlassungen zum Thema Koalition stören zunehmend den internen Frieden in der Partei.

Von Stefan Braun, Berlin

Wie ambivalent Erfolg doch sein kann. Das erleben die Grünen ein halbes Jahr nach Winfried Kretschmanns großem Sieg. Ihr Superstar aus dem Südwesten dominiert gerade so sehr alle Debatten und Fragen, dass sich das Führungsquartett im Bund anstrengen muss, um überhaupt noch wahrgenommen zu werden. Schaut man auf die Umfragen, mag ihnen das nutzen. Schaut man dagegen auf die Aufgaben, die der Partei bevorstehen, dann könnte Winfried-Omnipräsent ihnen das Leben noch schwer machen. Segen und Fluch - das ist es, was viele in der Bundespartei mit ihm verbinden. "Es ist wunderbar, dass wir viel Aufmerksamkeit ernten", sagt einer aus der Führungsspitze, "aber wir dürfen uns auch von Kretsch nicht dominieren lassen."

Stolz und Unsicherheit - beides gehört dazu in diesen Tagen. Dabei ist der Stolz zweifellos erheblich. Seitdem ausführlich über Kretschmann als möglichen Bundespräsidenten spekuliert wird, verspüren alle Grünen, ob Linke oder Oberlinke, Realos oder Oberrealos, dass sie wieder eine Rolle spielen. Das liegt an Kretschmanns Beliebtheit in der Bevölkerung. Und es liegt an der Tatsache, dass bei der Präsidentenwahl im Februar wie bei der Bundestagswahl im September 2017 viele Optionen nur mit den Grünen funktionieren. Schwarz-Grün, Rot-Rot-Grün, Jamaika oder Ampel - die Partner würden wechseln, die Grünen würden bleiben. Das regt überall die Fantasie an.

Kretschmann ist so beliebt, wie es nur Joschka Fischer in seinen besten Zeiten geschafft hat. Während alle anderen Grünen sich furchtbar mühen, um überhaupt ins offizielle Ranking der Umfrageinstitute zu kommen, macht Kretschmann den beliebtesten Politikern Platz eins streitig. Und das schmeichelt nicht nur ihm persönlich. Es kommt auch seiner Partei zugute. Von Attributen wie Ernsthaftigkeit, Bescheidenheit, Gewissenhaftigkeit, die ihm schon fast selbstverständlich zugeschrieben werden, fällt auch etwas für die Partei ab. Derzeit wird sie für so seriös gehalten, wie sie es, wenn überhaupt, nur in Fischers allerbester Phase erlebte. Die Folge: Seit Wochen liegen die Grünen in Umfragen bundesweit zwischen elf und 13 Prozent. Würden sie ein solches Ergebnis am Wahltag ins Ziel schaffen, wäre es das beste seit ihrer Gründung.

Schon im letzten Bundestagswahlkampf verursachte die Vermögensteuer viel Streit

Doch was einfach nur schön sein könnte, hat eine Schattenseite. Denn Kretschmann strahlt nicht nur, er agiert auch. Und da wird es gefährlich, jedenfalls wohl aus Sicht der Parteispitze. Obwohl dort nicht wenige gehofft hatten, Kretschmann werde nach einem Triumph still genießen - macht der Mann aus Oberschwaben genau das Gegenteil. Unter der Überschrift "Nicht mehr schweigen, wenn man was für falsch hält", erklärt er seiner Partei seit Wochen, dass sie alle Gedanken an eine Vermögensteuer tunlichst aufgeben sollte.

Den Realos um Parteichef Cem Özdemir tut das nicht weh. Aber die Parteilinken um Parteichefin Simone Peter, Fraktionschef Anton Hofreiter und Ex-Guru Jürgen Trittin sehen das ganz anders. Deshalb stehen der Partei, befeuert von Kretschmanns Ansage, schwere Wochen bevor, in denen sie ihr "Gerechtigkeitskonzept" für den Wahlkampf beschließen muss. Ausgerechnet auf dem Feld ist ihr bisher wenig nach Konsens zumute.

Schon im letzten Bundestagswahlkampf vor drei Jahren verursachte die Vermögensteuer viel Streit; nun sollte eine Parteikommission bis Sommer eine Linie ausbaldowern. Doch als die Anfang Juli ihre Ergebnisse vorstellte, lautete das wichtigste Resultat: Wir werden uns erst im Herbst entscheiden. Seither gibt es viele Stellungnahmen, aber wenig Versöhnliches zu vernehmen. Wenn wichtige Grüne intern davor warnen, die Partei könne sich aktuell nur selbst ein Bein stellen, dann denken sie zuallererst an das Steuerthema.

Bisher halten sich alle an die vereinbarte Kampflinie - nur einer nicht

Nicht minder heikel bleiben die Debatten, die sich um Schwarz-Grün ranken. Dass Kretschmann derlei Bündnisse nach der Bildung einer grün-schwarzen Koalition in Stuttgart ganz passabel findet, ist eigentlich logisch. Schmerzlich wird es, wenn er das immer wieder sehr laut öffentlich bekundet. So entsteht der Eindruck, er will das und nichts anderes auch nach der nächsten Bundestagswahl - was manche leise hoffen, aber alle zusammen haben offiziell jede Debatte darüber auf die Zeit nach dem Wahltag verbannt.

Wochenlang, monatelang, jahrelang mühten sich die vier an der Partei- und Fraktionsspitze darum, das Thema Koalition auf den Tag nach der nächsten Bundestagswahl zu verschieben. Kretschmanns Einlassungen aber halten das Thema am Leben - und stören zunehmend den internen Frieden. Ob Özdemir und Habeck oder Hofreiter und Peter - alle fürchten die altbekannten Reflexe und damit einen Streit, aus dem die Grünen noch nie gestärkt hervorgingen.

Zumal der Partei im Herbst der Wettbewerb um die Spitzenkandidatur bevorsteht. Von denen, die da antreten, will sich keiner vorher auf ein einziges Bündnis festlegen. Viel zu unsicher ist die Gesamtlage, und viel zu groß wäre die Gefahr, es sich mit einem Teil der Partei zu verscherzen. Also halten sich alle an die vereinbarte Kampflinie, die Partei wolle diesmal aus sich selbst heraus stark sein, nicht durch Koalitionsaussagen. Kretschmanns Trommelei kommt für alle zur Unzeit. Und so verwundert es nicht, wenn Parteichef Özdemir am Montag sichtlich bemüht erklärte, Kretschmann habe ihm gegenüber betont, dass sein Loblied auf eine schwarz-grüne Kooperation ausschließlich der eigenen Landesregierung gegolten habe.

Ob damit Ruhe einkehrt, ist offen. Das gilt auch für den internen Wettbewerb, der vor allem bei den Männern alles andere als entschieden sein dürfte. Bislang ist zwischen Fraktionschef Hofreiter, Parteichef Özdemir und dem Kieler Umweltminister Robert Habeck alles friedlich geblieben. Hofreiter gibt den Kämpfer gegen die Agrarlobby; Özdemir konzentriert sich auf Flüchtlinge, Integration, den Nahen Osten. Und Habeck will als erfahrener Pragmatiker punkten. Offiziell aber beginnt das Ringen erst am 17. Oktober. Und dann werden die Leute nicht nur sehen, was die Kandidaten können, sondern auch, welche Lücken klaffen. "Das Ganze kann uns als Partei helfen", sagt einer aus der Parteispitze. "Aber nur, wenn wir unsere üblichen Streitereien dieses Mal vermeiden."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: