OECD-Studie:Schweden ist mit den Flüchtlingen überfordert? OECD widerspricht

Lesezeit: 3 min

Flüchtlinge mit einem schwedischen Polizisten am Bahnhof in Stockholm. (Foto: dpa)
  • Ein neuer OECD-Bericht beschreibt die Integration von Einwanderern in Schweden, das mehr Flüchtlinge im Verhältnis zu seiner Bevölkerung aufgenommen hat als jedes andere OECD-Land.
  • Das Land sei auf die Aufnahme der Flüchtlinge gut vorbereitet, so die OECD.
  • Es gebe aber auch Probleme, unter anderem: Wohnungsmangel, versteckte Diskriminierung und sehr hohe Anforderungen an die Neuankömmlinge auf dem Arbeitsmarkt.

Von Gunnar Herrmann

Kontrollen an der Grenze zu Dänemark, Anschläge auf Asylbewerberunterkünfte, hohe Umfragewerte für Rechtspopulisten - Schweden, lange Vorbild in Sachen Integration, hat in den vergangenen Monaten eher mit düsteren Schlagzeilen von sich Reden gemacht. Und auch im Regierungsviertel von Stockholm machte sich Pessimismus breit. "Wir befinden uns in einer extrem angespannten Situation", sagte der sozialdemokratische Ministerpräsident Stefan Löfven Ende vergangenen Jahres, als täglich 1500 Flüchtlinge über die Ostsee kamen. Migrationsminister Morgan Johansson warnte: "Wir haben die Grenze des Machbaren erreicht." Schweden war bis dahin über Jahre hinweg das EU-Land, das im Verhältnis zu seiner Bevölkerung die meisten Flüchtlinge aufnahm. Jetzt schien es, als sei diese Politik gescheitert. "Das Musterland Schweden steht vor dem Asyl-Bankrott", titelte zum Beispiel die Welt.

Aber wie schlimm ist die Lage wirklich? Ein paar Antworten finden sich in einer Studie zur Integration von Einwanderern in Schweden, die heute in Stockholm die OECD präsentierte. Die Organisation hat Arbeitsmarkt, Bildungssystem und Erstaufnahme von Flüchtlingen untersucht und kam zu dem Schluss: Ganz so düster ist die Situation nicht. Schweden hat dem Bericht zufolge 2015 mit 163 000 Flüchtlingen mehr Einwanderer im Verhältnis zu seiner Gesamtbevölkerung aufgenommen als jemals ein OECD-Land in der 68-jährigen Geschichte der Organisation (laut EU-Statistik, die etwas andere Zahlen verwedet, lag Ungarn allerdings 2015 noch vor Schweden). Derzeit sind 16 Prozent der schwedischen Bevölkerung im Ausland geboren. Die enorme Zuwanderung bringe durchaus Probleme mit sich, aber, so das Fazit der Studie: "Schweden ist gut vorbereitet."

Aufnahme von Flüchtlingen
:Sogar in Schweden kippt die Stimmung

Lange hat Stockholm die großzügigste Flüchtlingspolitik in der EU betrieben. Doch jetzt beginnen viele Schweden daran zu zweifeln. Schuld daran ist auch die Tatenlosigkeit in Europa.

Von Silke Bigalke

Besonders drei Punkte sind den Autoren der Studie zufolge dafür ausschlaggebend:

  • Die schwedische Wirtschaft floriert und es gibt nach wie vor Jobs.
  • Schweden hat ein insgesamt gut funktionierendes System für Integration, das seit den 90er Jahren stark verbessert wurde. Damals nahm Schweden viele Flüchtlinge unter anderem aus dem Balkan auf, was in der Folge zu Integrationsproblemen führte. Aus den Fehlern von damals habe das Land gelernt.
  • Besonders gut gelingt die Integration von Einwandererkindern - in Schweden besser als in allen anderen OECD-Ländern. Wer im Land geboren ist und von Anfang an am schwedischen Bildungssystem teilnimmt, hat den Statistiken zufolge später im Leben fast ebenso gute Chancen wie Kinder von Einheimischen. Zuletzt habe sich dies allerdings verschlechtert, schreiben die Autoren, was unter anderem auf Lehrermangel zurückzuführen sei.

Die OECD hat aber auch eine ganze Reihe von Problemen identifiziert und bietet in dem Bericht gleich Lösungsvorschläge an. Denn trotz der insgesamt guten Fortschritte bei der Integration von Einwanderern gibt es noch Mängel. Unter anderem nennt der Bericht folgende Punkte:

Versteckte Diskriminierung ist ein Problem in Schweden. Schweden hat der OECD zufolge gute Anti-Diskriminierungsgesetze, die im Laufe der Jahre mehrfach verschärft wurden. Trotzdem ist Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt weiter ein Problem. Etwa haben es Menschen mit ausländisch klingenden Nachnahmen schwerer, einen Job zu finden. Das bestätigen mehrere Untersuchungen. Die statistisch klar nachweisbare Diskriminierung ist im Alltag so subtil, dass die Betroffenen sie oft selbst nicht bemerken, weshalb es selten zu Anzeigen oder Beschwerden kommt. Die OECD empfiehlt Schweden, Diskriminierung nicht nur zu verbieten, sondern auch aktiv auf mehr Vielfalt hinzuwirken. Etwa durch gezielte Beratung für kleine und mittelständische Unternehmen und die bessere Unterstützung zivilgesellschaftlicher Initiativen.

Flüchtlinge in Schweden
:Die Politikerin, die um Flüchtlinge weint

Schwedens Vize-Regierungschefin soll vor der Presse eine Verschärfung des Asylrechts erklären. Nach einer halben Stunde kann sie nicht mehr.

Von Silke Bigalke, Stockholm

Flüchtlinge in die Provinz zu schicken, ist kein Ersatz für Wohnungsbau. Wer als Einwanderer nach Schweden kommt, darf wählen: Entweder er sucht sich selbst eine Wohnung, oder er lässt das den Staat erledigen - nimmt aber dafür in Kauf, dass die Behörden ihm einen Wohnort zuweisen. Da gerade in den Großstädten Wohnraum sehr knapp ist, wählen viele letztere Option. Wegen der enormen Zuwanderung im vergangenen Jahr fanden die Behörden aber kaum noch Plätze, die Menschen mussten oft lange Zeit in Erstaufnahmeeinrichtungen ausharren. Seit einiger Zeit dürfen die Behörden Kommunen zur Aufnahme von Flüchtlingen zwingen, Flüchtlinge werden verstärkt in der Provinz angesiedelt werden. Das sei als kurzfristige Maßnahme gut, schreibt die OECD. Aber es behebe nicht das grundsätzliche Problem: In den Städten gibt es einfach nicht genug Wohnungen. Die Organisation empfiehlt sozialen Wohnungsbau.

Schwedens Bevölkerung ist überdurchschnittlich gut ausgebildet - das erschwert Integration. Schwedens Arbeitnehmer sind im OECD-Vergleich überdurchschnittlich hoch qualifiziert und werden dank starker Gewerkschaften auch gut bezahlt. Selbst ohne gesetzlichen Mindestlohn - so stark ist die Tarifmacht der Arbeitnehmer. Das Land wird dafür oft beneidet. Bei der Integration sind diese Faktoren aber wenig hilfreich. Denn sie erschweren Einwanderern die Jobsuche. Die sind oft weniger gut ausgebildet oder haben ausländische Abschlüsse, die erst anerkannt werden müssen. Einwanderer sind deshalb häufiger ohne Arbeit und auf staatliche Unterstützung angewiesen als Einheimische - das ist zwar überall so, in Schweden ist der Unterschied aber besonders groß. Zwar gebe es bereits zweijährige Integrationskurse, um Flüchtlingen den Weg in den Job zu erleichtern, lobt die OECD. Doch diese reichten nicht aus. Es müsse noch mehr Geld und Zeit in die Qualifikation der Neuankömmlinge investiert werden. Außerdem empfiehlt die Organisation, die arbeitsrechtlichen Bestimmungen für Flüchtlinge ein wenig zu lockern, um ihnen etwa zu ermöglichen, längere Zeit als Praktikant in einem Betrieb zu bleiben.

Linktipp:

Den OECD-Bericht zur Integration in Schweden gibt es hier im englischen Original.

© SZ.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: