NSU-Prozess in München:Ein Tag für die Rehabilitierung der Opfer

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Vertreter der Nebenklage bringen am 31. Prozesstag einen Hauptkommissar erheblich in Bedrängnis. Die Rechtsanwälte erinnern damit noch einmal an die falschen Verdächtigungen, denen die mutmaßlichen NSU-Opfer jahrelang ausgesetzt waren - von Drogenkriminalität bis zur Beziehungstat.

Aus dem Gericht von Tanjev Schultz

Im NSU-Prozess sind am Donnerstag die Ermittlungsmethoden der Polizei hinterfragt worden. Vertreter der Nebenkläger brachten den Kriminalhauptkommissar Albert Vögeler in Bedrängnis, der bei den Morden in Nürnberg ermittelt hatte. Anwalt Stephan Lucas, der die Kinder des ermordeten Enver Simsek vertritt, hielt dem Beamten einen alten Vermerk vor. Darin behauptete die Polizei, die Familie des Opfers habe sich bei Vernehmungen "auffällig" zurückgehalten und ihr Wissen womöglich nicht preisgegeben. "Woran wurde das festgemacht?", fragt Lucas. "Konkrete Tatsachen haben wir nicht gehabt", sagt Vögeler.

Es war also nur ein Eindruck, ein Gefühl der Ermittler, dass die Angehörigen des Mordopfers vielleicht mehr wissen könnten, damit aber hinter dem Berg hielten. Die Polizei hörte ihre Telefone ab und verwanzte ein Fahrzeug. Die Witwe Adile Simsek holte gemeinsam mit ihrem Bruder bei der Polizei den Sprinter ab, in dem Enver Simsek im Jahr 2000 ermordet worden war. Die Beamten hören mit, was sie und ihr Bruder auf der Fahrt sprechen. Viel ist es nicht, die Fahrgeräusche übertönen das meiste. Ihr Mann habe noch viele Träume gehabt, sagt die Witwe. Der Polizei brachte die Operation keine Erkenntnisse.

So verwandelt sich das Gericht an diesem Tag in eine Art weiteren Untersuchungsausschuss, in dem das Behördenversagen Thema ist. Die Nebenklage-Vertreter fragen aber fast alle ruhig und sachlich, der Beamte antwortet ebenfalls unaufgeregt. Im Saal sitzen Angehörige von Enver Simsek und hören zu.

Albert Vögeler schildert noch einmal ausführlich, welche Hinweise es gab, die die Polizei auf die falsche Fährte führten. So hatte beispielsweise ein Zeuge behauptet, ein Konkurrent Simseks habe einen Auftragskiller bestellt. Es gab außerdem vage Spuren ins Rauschgift-Milieu, die sich dann nicht bestätigten. Vögeler muss einräumen, dass lange Zeit überhaupt nicht in Richtung Rechtsextremismus ermittelt wurde, es habe dafür ja keine konkreten Anhaltspunkte gegeben. Adile Simsek hatte den Verdacht, ihr Mann könnte von Neonazis ermordet worden sein, durchaus geäußert. Bei den Ermittlern mochte ihr niemand glauben.

Zeitweise glaubten die Kommissare stattdessen, Enver Simsek könnte eine Freundin gehabt haben. Auch das erwies sich als falsch, führte aber zu sehr unangenehmen Vernehmungen der Witwe. Und spätestens, als klar wurde, dass es sich um eine bundesweite Mordserie handelte, war eine Beziehungstat äußerst unwahrscheinlich, wie der Nebenklage-Vertreter Yavuz Narin bei der Befragung des Polizisten gut herausarbeitet.

"Lassen Sie doch bitte mal den Zeugen ausreden"

Der Anwalt Mehmet Daimagüler, der Angehörige des Mordopfers Abdurrahim Özüdogru vertritt, thematisiert schließlich die umfangreichen Finanzermittlungen, mit denen die Polizei die Familien überzog. Die Beamten mutmaßten, die Opfer könnten Schwarzgeld kassiert und verschoben haben. Vögeler sagt nun aber, bei Özüdogru habe es "geordnete Verhältnisse" und "keine Auffälligkeiten" gegeben. So trägt der Prozesstag auch dazu bei, die Opfer der Mordserie zu rehabilitieren. Nur kurz vor Schluss stört der Nebenklage-Vertreter Adnan Erdal die bis dahin sehr sachliche Atmosphäre durch einen übermäßig aggressiven Fragestil. Der Vorsitzende Richter Manfred Götzl weist ihn scharf zurecht: "Lassen Sie doch bitte mal den Zeugen ausreden. So geht es einfach nicht!"

Beinahe wäre das schon das letzte Wort an diesem 31. Verhandlungstag gewesen, aber dann trägt nach einer kurzen Pause, in der sich die Gemüter abkühlen sollten, Stephan Lucas noch eine kurze Erklärung vor. Sie fasst zusammen, wie die Polizei über Jahre hinweg und zu Unrecht eine Verwicklung der NSU-Opfer in kriminelle Geschäfte vermutet hatte: "Der Zeuge hat sehr klar gesagt, dass alle diese Spuren falsch waren."

© SZ vom 02.08.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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